Ein Autor zum Ausleihen
Living Libary
Neu-Ulms Stadtbücherei „verleiht“Gesprächspartner
NeuUlm Die Ruhe und Stille einer Bücherei ist sprichwörtlich. Nicht so in Neu-Ulm am Tag der „lebendigen Bücher“, oder auf Neudeutsch: „Living Libary“. Mit dieser Aktion im Rahmen der interkulturellen Woche 2020 sollen interessante Persönlichkeiten Bände sprechen dürfen.
Wie in einer normalen Bibliothek erhalten die Leser einen Medienkatalog – nur nicht für Bücher, sondern für Gesprächspartner. Auch Hady Jako hat sich bereit erklärt, über seine Lebensgeschichte zu berichten. Als Flüchtling kam der 35-Jährige 2009 aus dem Irak nach Deutschland. Offensichtlich ist seine Verletzung durch den fehlenden linken Arm – vor 14 Jahren wurde Jako das Opfer eines Selbstmordattentäters. „Die Helfer haben mich für tot erklärt und mich schon in einen Leichensack eingepackt, bis ein Arzt zufällig ein Lebenszeichen von mir bemerkte.“In seinem Buch „Explosion – und dann“, das in Kürze erscheinen soll, schreibt Jako über sein Leben nach dem Anschlag: Den Repressalien, die er als Jeside in seiner Heimat erfahren musste, der Flucht nach Deutschland und seiner Integration in Neu-Ulm. Hier arbeitet Jako seit vier Jahren als Betreuungsassistent in einem Seniorenheim, ist in seiner Freizeit begeisterter Marathonläufer und hilft anderen Flüchtlingen bei der Eingliederung. Von einem Happy End will Jako dennoch nicht sprechen: „Ich habe alles verloren“, sagt er und erzählt unter Tränen von seiner Mutter, die noch immer in einem Flüchtlingscamp lebt.
Im wahrsten Sinne eine leichtere Kost in der „Living Libary“verspricht Barbara Stroß, die es geschafft hat, ihr ehemaliges Gewicht von 130 Kilogramm auf die Hälfte zu reduzieren. Auf die Frage, wie man schnell und einfach zum Wunschgewicht kommen könne, winkt die 50-Jährige ab: „Man muss die innere Bereitschaft haben, sein Leben zu ändern, um diesen langfristigen Prozess durchzustehen.“Etwa zehn Jahre habe sie selbst an sich gearbeitet, um dort anzukommen, wo sie heute ist: „Ich habe mich mit einem Fitnessstudio selbstständig gemacht und betreue sowohl Menschen mit Übergewicht als auch Ausdauersportler.“
Um Kirche, Gott und Glauben drehen sich die Gespräche mit Elisa Kreuzer. Die 39-jährige Klosterschwester will aber niemanden bekehren, wie sie versichert. Stattdessen freue sie sich auf kritische Fragen: „Ich hoffe, die Leute trauen sich, heikle Themen anzusprechen, weil es mich interessiert, was die Menschen bewegt.“Die „Living Libary“sei eine tolle Idee, die ihre Neugier geweckt habe, sagt Kreuzer.
Unter den 10 menschlichen Büchern ist auch Neu-Ulms Oberbürgermeisterin Katrin Albsteiger zu finden, die als Mutter und Rathauschefin Rede und Antwort steht. Besucherin Guixia Liu macht nach dem halbstündigen Gespräch aus ihrer Bewunderung kein Geheimnis: „Ich finde es toll, wie sie ihrer Verantwortung gegenüber ihrer Familie und ihrem Amt nachkommt.“Achtung habe aber auch Albsteigers Ehemann verdient, sagt Liu weiter: „Dieser Rollentausch ist ein Zeichen für den Fortschritt.“Der Bürgermeisterin ganz privat gegenüberzusitzen sei „anfangs aufregend“gewesen, erklärt die Besucherin und erzählt, dass Albsteiger jedoch im Gespräch „sehr nett und aufgeschlossen“sei.