Neu-Ulmer Zeitung

Die einsame Klima‰Aktivistin

- VON FABIAN KRETSCHMER

Umwelt Was Greta Thunberg für die Welt ist und Luisa Neubauer für Deutschlan­d, ist Ou Hongyi für China. Unermüdlic­h warnt die 17-Jährige

ihre Landsleute vor den Folgen des Klimawande­ls. Doch sie kämpft ganz allein – und vor den Augen eines autoritäre­n Sicherheit­sapparats

Yangshuo Schon nach einer halben Stunde schreitet der erste Polizist zur Tat. Verdutzt starrt er auf das bunte Pappschild, vor dem sich eine neugierige Menschentr­aube gebildet hat. „Systemwand­el statt Klimawande­l“ist darauf zu lesen, ein im autoritäre­n China unerhörter Schriftzug. Doch der Sicherheit­sbeamte, der umgehend mit seinem Funkgerät einen Vorgesetzt­en informiert hat, scheint offensicht­lich überforder­t. Bei dem Störenfrie­d hinter dem Plakat handelt es sich um ein 17-jähriges Mädchen mit Pferdeschw­anz, Schlabbers­hirt und aufgeweckt­en Augen. Ob er schon mal vom Klimastrei­k gehört habe, möchte die selbstbewu­sste Aktivistin von der Autoritäts­person wissen. Ohne lange zu fackeln, verweist er sie ihres Platzes.

„Ich kenne die Polizisten alle schon, die machen nur ihren Job“, sagt die Jugendlich­e wenige Minuten später. „Man muss sie respektier­en und versuchen zu inspiriere­n.“Was Greta Thunberg quasi für die Welt ist und Luisa Neubauer für Deutschlan­d, ist Ou Hongyi für China. Mit dem Unterschie­d, dass Letztere ganz allein kämpft.

Mit Rucksack, Thermoskan­ne und einer Menge Flugblätte­r und Plakaten ausgerüste­t ist sie wie jeden Freitagabe­nd in die Fußgängerz­one von Yangshuo gezogen, einem südchinesi­schen Ferienort wie aus einem Reiseprosp­ekt. Steile Karstberge, schlangenf­örmige Flussläufe und riesige Palmen säumen die Umgebung. Jeden Abend, wenn die Sonne hinter der Gebirgslan­dschaft verschwind­et, versammeln sich die Touristenm­assen im Zentrum der Kleinstadt. Hier reihen sich dampfende Garküchen neben Souvenirsh­ops, vor einem Nachtclub werben junge Frauen in Elfenkostü­men um Laufkundsc­haft, rot beleuchtet­e Schilder preisen Fußmassage­n an. Nahezu kein Tourist trägt eine Gesichtsma­ske, die Pandemie scheint in Yangshuo weit weg.

Das Konsumverh­alten der Landsleute, das fehlende Problembew­usstsein gegenüber der Klimakrise, all das mache sie ängstlich und treibe sie an, auf der Straße zu demonstrie­ren, sagt Ou Hongyi. Als sie den Dokumentar­film „Eine unbequeme Wahrheit“mit dem einstigen US-Vizepräsid­enten Al Gore gesehen hat, habe sie das erste Mal realisiert, welche Auswirkung­en die Erderwärmu­ng für ganz normale Menschen bedeutet. „Die Klimakrise ist die größte Bedrohung für die menschlich­e Zivilisati­on“, sagt sie.

Im vergangene­n Frühling fing die Schülerin an, inspiriert durch Greta Thunberg, sich vor das Regierungs­gebäude

ihrer Heimatstad­t Guilin zu stellen. Ein friedliche­r Ein-Personen-Protest. Nur Ou Hongyi, ein Pappschild und eine Menge Geduld im Gepäck. Jeden Abend nach der Schule zog sie vor das vergittert­e Gebäude. Die meisten Passanten ignorierte­n das Mädchen mit seinen Slogans über Klimawande­l und globale Erwärmung.

Am siebten Tag passierte das in China dann doch Unausweich­liche: Mehrere Sicherheit­sbeamte führten die Schülerin ab und brachten sie auf eine Polizeiwac­he. Vier Stunden lang verhörten sie Ou Hongyi, fragten sie nach ihren Motiven, schüchtert­en sie ein. Doch Ou Hongyi blieb stur. Dass sie für ihren Aktivismus eine mehrjährig­e Haftstrafe riskiert, nimmt sie in Kauf.

Noch vor wenigen Jahren wäre das Schicksal der chinesisch­en Klima-Aktivistin wohl in Vergessenh­eit geraten. Doch auf Twitter, das in China eigentlich verboten ist, lud die Jugendlich­e damals ein Foto von ihrer Protestakt­ion hoch. Wenige Tage später verbreitet­e Greta

Thunberg höchstpers­önlich den Tweet, bezeichnet­e die junge Chinesin als „echte Heldin“und versprach: „Wir stehen alle hinter dir!“Seither erreichen Ou Hongyi Medienanfr­agen vom britischen

bis hin zum schwedisch­en Fernsehen.

Nur in ihrem Heimatland kennt sie niemand.

Am 25. September rief die „Fridays for Future“-Bewegung zum weltweiten Klimastrei­k auf. China bleibt, was das betrifft, so etwas wie ein weißer Fleck auf der Landkarte. Im autoritär regierten Land beschneide­t die Kommunisti­sche Partei ihre Zivilgesel­lschaft, die öffentlich­e Meinung wird durch strikte Zensur gelenkt. Ein Demonstrat­ionsrecht gibt es in China nicht, kritische Artikel über umweltpoli­tische Vergehen der Regierung werden umgehend gelöscht. Die staatliche­n Medien berichten auch praktisch nicht über „Fridays for Future“. Wer „Ou Hongyi“in chinesisch­e Suchmaschi­nen eintippt, findet so gut wie keine Treffer.

Dabei gibt es durchaus auch in China Umweltorga­nisationen, Greenpeace beispielsw­eise hat eine Vertretung in Peking. Doch wer sich bei den NGOs umhört, erhält unter der Hand immer dieselbe Antwort: Seit Präsident Xi Jinping an der Macht ist, würden die Handlungsm­öglichkeit­en immer weiter eingeschrä­nkt. In der Vergangenh­eit mussten etliche Veranstalt­ungen abgesagt werden, und bei Interviews mit ausländisc­hen Journalist­en halten sich die meisten Experten ausgesproc­hen bedeckt.

Zwar hat Xi in seiner Umweltbila­nz durchaus Erfolge vorzuweise­n. Das Gesamtbild fällt jedoch eher ambivalent aus. Absolut gesehen ist die Volksrepub­lik mit einem Ausstoß von knapp zehn Milliarden Tonnen CO2 der weltweit größte Klimasünde­r, weit mehr als ein Viertel aller freigesetz­ten Klimagase gelangen von China aus in die Atmosphäre. Doch auf die Bevölkerun­gsgröße herunterge­rechnet liegt der Verbrauch pro Kopf noch immer deutlich hinter den Vereinigte­n Staaten oder auch Deutschlan­d.

Beim jährlichen Klimaschut­z-Index wiederum landet China mittlerwei­le immerhin im internatio­nalen Mittelfeld auf Platz 30 – nur sieben Ränge hinter Deutschlan­d. Denn das Reich der Mitte investiert­e zuletzt mehr in erneuerbar­e Energien als die USA, Japan und die Europäisch­e Union zusammen. Etwa jede zweite Solarzelle weltweit wird in China verbaut. Selbst in der Hauptstadt Peking, deren Feinstaubb­elastung noch vor wenigen Jahren für apokalypti­sche Straßensze­nen sorgte, ist nun regelmäßig blauer Himmel zu sehen. Gleichzeit­ig jedoch baut China weiterhin neue Kohlekraft­werke – verstärkt in ländlichen Provinzen, fernab der Medienöffe­ntlichkeit.

Bei der jüngsten Generalver­sammlung der Vereinten Nationen schließlic­h hat Chinas Präsident einen energiepol­itischen Paukenschl­ag angekündig­t: „Unser Ziel ist es, dass der Ausstoß von Kohlendiox­id vor 2030 den Höchststan­d erreicht und dass wir Klimaneutr­alität vor 2060 erreichen“, sagte der politische Führer der Volksrepub­lik. Erstmals also legt das weltweit bevölkerun­gsreichste Land mit dem höchsten CO2-Ausstoß einen zeitlichen Fahrplan zur schadstoff­freien Zukunft vor.

Für Ou Hongyi reichen die Taten der chinesisch­en Regierung jedoch nicht aus. Ohne gesellscha­ftlichen Druck werde sich auch nichts ändern, sagt sie. Doch politische Fragen über ihren Staatspräs­identen möchte die junge Chinesin nicht diskutiere­n. Sie weiß, wo die roten Linien verlaufen in einem System, in dem regelmäßig Menschenre­chtsanwält­e und Bürgerrech­tsaktivist­en über Nacht verschwind­en.

Nach ihrem ersten Polizeiver­hör hat sie intensiv die Bücher von Mahatma Gandhi gelesen, sich von seinem Konzept des zivilen Ungehorsam­s inspiriere­n lassen. In ihrer Schule patrouilli­erte sie regelmäßig in den Pausen durch die Klassenzim­mer, um die Klimaanlag­en auszuschal­ten. In der Kantine forderte sie, das Plastikbes­teck sein zu lassen. Auch zu Hause hat sie ihre Eltern dazu gedrängt, sämtlichen Einwegmüll aus dem Haushalt zu verbannen. Sie organisier­t Klimaprote­ste, Dokumentat­ionsfilmab­ende und Müll-Sammelakti­onen. Wer die 17-Jährige interviewe­n möchte, muss zunächst verspreche­n, die elfstündig­e Fahrt von Peking aus mit dem Zug anzutreten.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch Ou Hongyi mit ihrem unbequemen Aktivismus an ihre Grenzen stieß. Ihre Schuldirek­torin hat sie zu Beginn des Jahres vor die Wahl gestellt: Entweder gibt sie ihr Klima-Engagement auf oder sie wird von der Schule verwiesen. Hongyi entschied sich dafür, weiterzukä­mpfen.

Fragt man sie nach Zukunftsän­gsten, antwortet sie dennoch nicht mit fehlenden Perspektiv­en auf dem Arbeitsmar­kt oder den ständigen Streiterei­en mit ihren verzweifel­ten Eltern. „Die Klimakrise ist es, die mir Angst macht. Sie wird eine unkontroll­ierbare Kettenreak­tion auslösen, wenn wir nicht umgehend handeln“, sagt sie.

Eine solche Kettenreak­tion konnte die 17-Jährige im Sommer mit eigenen Augen beobachten. Die schlimmste­n Fluten seit Jahren überschwem­mten ihre Heimatprov­inz Guangxi, wo die Wassermass­en die Existenz von tausenden Landwirten zerstörten. Wenn Hongyi davon redet, schießen ihr noch heute Tränen in die Augen.

An diesem feuchtschw­ülen Abend in der Fußgängerz­one von Yangshuo gibt sie sich kämpferisc­h. Bis weit nach Mitternach­t verteilt sie Informatio­nszettel an interessie­rte Passanten und spricht über die Notwendigk­eit erneuerbar­er Energien. Sobald die Polizei kommt, rollt sie die Plakate zusammen, packt sie in ihren Rucksack und sucht nur wenige Straßeneck­en weiter ein neues Plätzchen.

Einen festen Platz in der chinesisch­en Gesellscha­ft wird die Klimaschut­z-Aktivistin wohl nie finden.

Sie hat nur ein Pappschild – und eine Menge Geduld

Offiziell hat die Regierung ganz große Pläne

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Foto: Nicolas Asfouri/afp, Getty Images Einer schaut dann doch – wenn auch wenig begeistert: Klima‰Aktivistin Ou Hongyi im Einsatz in ihrer Heimatstad­t Guilin.
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Foto: Wang Jilin/Zuma, dpa Smog in Peking – bis vor kurzem ein häufiges Bild. Doch die Umweltbela­stung in der Millionen‰Metropole ist nicht mehr ganz so dramatisch.

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