Neu-Ulmer Zeitung

Lohnen Lebensvers­icherungen noch?

- VON BERRIT GRÄBER

Vorsorge Die Allianz hat das Aus für die 100-prozentige Beitragsga­rantie der einst sicheren Säule

der Altersvors­orge verkündet. Was dieser Schritt für Neu- und Altkunden bedeutet

Früher galt sie als sichere Säule der privaten Altersvors­orge. Jetzt steht die jahrzehnte­lange Konstrukti­on der kapitalbil­denden Lebensvers­icherung vor dem Einsturz: Deutschlan­ds größte Lebensvers­icherung, die Allianz Leben, hat die 100-prozentige Beitragsga­rantie gekippt. Ab 2021 können Neukunden nicht mehr auf den vollen Erhalt ihrer eingezahlt­en Gelder bauen. Die künftigen Lebens- und Rentenpoli­cen bieten nur noch 60, 80 oder 90 Prozent Beitragsga­rantie.

„Das heißt letztendli­ch Verlust, das Produkt wird zum Risikoinve­stment“, warnt Axel Kleinlein, Vorstandss­precher des Bundes der Versichert­en (BdV). Verbrauche­rschützer erwarten, dass die Konkurrenz nachzieht und der endgültige Niedergang der Lebensvers­icherung nur noch eine Frage der Zeit ist. Was das für Neu- wie auch Altkunden bedeutet:

Wie attraktiv sind Lebensvers­icherungen noch als Altersvors­orge?

Kapitalbil­dende Lebensvers­icherungen haben immer noch einen guten Ruf – obwohl das Produkt komplizier­t ist, unflexibel, intranspar­ent. Und meist enttäusche­nd, weil die Auszahlung oft weit unter der Prognose von einst liegt. Im Moment gibt es rund 92 Millionen abgeschlos­sene Verträge. Die Mischung aus Sparen und Versichern für den Todesfall galt in den 80er und 90er Jahren noch „als dritte Säule der Altersvors­orge“, wie Andrea Heyer erklärt, Finanzexpe­rtin der Verbrauche­rzentrale Sachsen. Tatsächlic­h gab es früher vergleichs­weise hohe Zinsen. Bei Vertragsab­schluss im Juli 1994 lockten vier Prozent auf die Spareinlag­en, nach Abzug von Kosten. Heute liegt der Garantiezi­ns bei nur noch 0,9 Prozent. Vor allem die Dauerniedr­igzinsphas­e macht es den Versichere­rn schwer, ihre Verspreche­n zu halten. Dass die Kapitalleb­ensversich­erung nach 2005 stark an Attraktivi­tät einbüßte, lag auch am Wegfall des Steuerpriv­ilegs.

Was kommt?

Ab Anfang 2021 dürfte es noch schwerer werden, die Kundschaft von den Vorteilen einer Kapitalleb­ensversich­erung zu überzeugen. Branchenpr­imus Allianz Leben kündigte an, dass der Kunde künftig die Wahl haben soll, wie viel Risiko er eingeht. Für den Verzicht auf volle Garantie winke die Chance auf höhere Renditen, heißt es in Stuttgart.

„Das ist der endgültige Bruch mit Produkten, die wenigstens Verluste verhindern“, kritisiert Versicheru­ngsmathema­tiker Kleinlein. Für Verbrauche­r bedeute es: „Wer heute 100 Euro in den Sparstrump­f steckt, hat in zehn Jahren noch immer 100 Euro. Bei der Allianz kann man zukünftig nur noch sicher sein, dass es 90, 80 oder gar nur 60 Euro sind.“Nach Ansicht Kleinleins habe das mit der Idee einer Versicheru­ng nichts mehr zu tun. „Wir können davon ausgehen, dass die Branche nachziehen wird“, so der BdV-Vorstandss­precher. Der Mix aus hohen Kosten, Dauerniedr­igzins und jahrelange­n Fehlkalkul­ationen habe die gesamte Lebensvers­icherungsb­ranche in Deutschlan­d zum Wanken gebracht. Viele Versichere­r seien desolat aufgestell­t. Statt den Rotstift bei den Kosten und Provisione­n anzusetzen, müsse der Kunde die Misere ausbaden, so Kleinlein.

Was heißt das für Neuabschlü­sse?

Verbrauche­rschützer

raten schon seit Jahren dazu, Sparen und Versichern getrennt zu halten – und Mischforme­n wie etwa die Lebensvers­icherung zu meiden. Interessen­ten sollten sich jetzt auf keinen Fall zum Neuabschlu­ss drängen lassen, warnt Heyer. Weder mit dem Argument, man könne nur noch bis zum Jahresende von der 100-ProzentGar­antie profitiere­n. Noch im kommenden Jahr mit der Aussicht auf höhere Renditen. „Die Lebensvers­icherung ist ein Auslaufmod­ell, so oder so“, betont auch Elke Weidenbach, Versicheru­ngsexperti­n der Verbrauche­rzentrale NordrheinW­estfalen. Es lohne sich nicht mehr. Auch der Abschluss der neu angebotene­n privaten Rentenvers­icherungen mit abgesenkte­n Garantien sei alles andere als sinnvoll, mahnen die Experten von Stiftung Warentest. Dazu kommt: Niemand kennt bei Vertragssc­hluss seinen tatsächlic­hen Finanzbeda­rf während der Laufzeit, die meist 30 Jahre und länger beträgt. Viele Verbrauche­r wollen oder müssen vorzeitig aus ihren Versicheru­ngen raus, weil sich die Lebensumst­ände verändern. Und dann wird es richtig teuer.

Was gilt jetzt für Altkunden?

Wer Allianz-Kunde ist und schon länger eine Lebens- oder Rentenvers­icherung abgeschlos­sen hat, braucht sich um den Fortbestan­d seines Vertrags keine Sorgen zu machen, betont Heyer. Die einst vereinbart­e Garantie beziehungs­weise die Verzinsung der gezahlten Beiträge bleiben unangetast­et. Dieser Grundsatz gilt auch für Kunden von Versichere­rn, die in den kommenden Wochen ähnliche Einschnitt­e ankündigen werden.

Was, wenn ich raus will aus dem Vertrag?

Wer unzufriede­n ist mit seiner Police oder aussteigen will, weil er sich die Beiträge nicht mehr leisten kann, sollte auf keinen Fall überhastet kündigen, mahnt Kleinlein zur Vorsicht. Ein vorzeitige­r Ausstieg ist immer ein herbes Verlustges­chäft. Die Reißleine zu ziehen, rechnet sich höchstens dann, wenn der Vertrag erst wenige Monate alt ist – oder wenn die Rendite sehr gering ausfällt. Läuft er länger als fünf Jahre, ist eine Berufsunfä­higkeitsve­rsicherung eingeschlo­ssen und die Beitragsla­st zu stemmen, raten Verbrauche­rschützer in der Regel zum Durchhalte­n. Ist das Geld knapp, kann es sinnvoll sein, den Vertrag beitragsfr­ei zu stellen und auf Eis zu legen. Aber auch dieser Schachzug kostet Geld.

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Foto: Andreas Gebert, dpa Die Allianz Leben hat die 100‰prozentige Beitragsga­rantie bei der Lebensvers­iche‰ rung gekippt.

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