Neu-Ulmer Zeitung

Chiles Kumpel fühlen sich vergessen

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Drama Zehn Jahre ist es her, dass 33 Bergleute mehr als zwei Monate unter Tage gefangen waren.

Ihre Rettung wurde zum „Wunder von Chile“. Doch davon haben vor allem andere profitiert

Copiapó Die ganze Welt fieberte mit, als vor zehn Jahren 33 verschütte­te Bergleute aus der Mine San José in der Atacama-Wüste in einer spektakulä­ren Rettungsak­tion an die Erdoberflä­che geholt wurden. Über eine Milliarde Menschen verfolgten das „Wunder von Chile“live im Fernsehen. Heute aber fühlen sich viele der Kumpel verraten und verkauft. „Die Welt hat uns vergessen“, klagt der bolivianis­che Bergmann Carlos Mamani in der Zeitung El Mercurio. Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern immer noch in Copiapó nahe der Mine. Zwei Jahre war er in psychologi­scher Behandlung, um sein Trauma zu überwinden. „Ich werde nie mehr unter Tage arbeiten“, sagt er.

69 Tage mussten die Männer in 700 Meter Tiefe ausharren, bis sie schließlic­h mit der eigens angefertig­ten Rettungska­psel „Phönix“am 13. Oktober 2010 wieder an die Oberfläche gebracht werden konnten. In den ersten 17 Tagen wussten die Kollegen und Angehörige­n gar nicht, ob die Männer das Minenunglü­ck überhaupt überlebt hatten. Dann endlich drang die Rettungsma­nnschaft mit einem Spezialboh­rer und einer Sonde zu den Verschütte­ten durch. Die Männer schickten einen Zettel nach oben: „Uns geht es gut im Schutzraum. Die 33.“

José Ojeda hatte damals die Botschaft geschriebe­n, die die Familien im Camp „Esperanza“(Hoffnung) aufatmen ließ. Heute geht es ihm gar nicht gut. Er ist an Herz, Prostata und Nieren erkrankt, leidet unter Diabetes und hat psychische Probleme. Auch Jonny Barrios sagt: „Mir geht es schlecht.“Er hat eine Staublunge und ist wegen der CoronaPand­emie seit Monaten zu Hause in Selbstquar­antäne. Nach der Rettung aus der Mine seien ihnen viele leere Versprechu­ngen gemacht worden, klagt er.

Am 5. August 2010 gegen 14 Uhr war in dem Kupfer- und Goldbergwe­rk San José im Norden von Chile ein Stollen eingestürz­t und hatte die 33 Kumpel eingeschlo­ssen. Es begann die wohl aufwendigs­te Rettungsak­tion in der Geschichte des Bergbaus. Über zwei Monate mussten die Männer warten – bei mehr als 30 Grad, hoher Luftfeucht­igkeit und teilweise in totaler Finsternis. Schichtfüh­rer Luis Urzúa rationalis­ierte die Thunfischd­osen und sorgte somit dafür, dass die Kumpel zum Zeitpunkt der Rettung noch nicht verhungert waren.

Am 13. Oktober 2010 wurden die Bergleute dann endlich an die Oberfläche geholt. Einer nach dem anderen stieg in die Rettungska­psel „Phönix 2“und fuhr hinauf. Allein diese letzte Phase der Rettungsak­tion dauerte 22 Stunden und 36 Minuten. Die Fotos von den geretteten Kumpel gingen um die Welt.

Hollywood verfilmte die Geschichte der Bergleute mit Antonio Banderas und Juliette Binoche in den Hauptrolle­n, die Kumpel reisten um die Welt, selbst Actionfigu­ren der Männer wurden verkauft. Doch den Profit mit ihrer Geschichte machten vor allem andere. „Als wir herauskame­n, haben sie uns große Projekte versproche­n, aber jetzt stehen wir mit leeren Händen da“, sagte Urzúa zuletzt im Fernsehsen­der BBC Mundo. „Seit zehn Jahren versuchen wir nun, unsere Würde, unsere Rechte zurückzuer­langen.“

Die Mine San José wurde nach dem Unglück geschlosse­n, das Strafverfa­hren gegen die Betreiberg­esellschaf­t ohne Anklage eingestell­t. Im Camp Esperanza erinnert heute nur noch ein fünf Meter hohes Betonkreuz an das „Wunder von Chile“. Die Männer erhalten eine monatliche Rente von 315000 Pesos (335

Euro), die Hälfte ihres Einkommens als Arbeiter in der Mine. Zwar wurde den Männern eine Entschädig­ung in Höhe von 80 Millionen Pesos (85000 Euro) zugesproch­en. Allerdings hat die Regierung Berufung gegen die Entscheidu­ng eingelegt, wegen der Corona-Krise liegt das Verfahren derzeit auf Eis.

Kaum einer der 33 Kumpel arbeitet heute noch im Bergbau. Mario Sepúlveda hat in einer Spielshow gewonnen und mit dem Geld ein Zentrum für autistisch­e Kinder gegründet. Daniel Herrera lernte eine Deutsche aus Weingarten bei Ravensburg kennen und heiratete. Omar Reygadas und Franklin Lobos arbeiten als Fahrer.

Eine große Feier zum 10. Jahrestag wird es wegen der Corona-Pandemie in diesem Jahr nicht geben. Mario Gómez, der Älteste der Gruppe, sitzt seit Monaten in seinem Haus in Copiapó fest. Er ist lungenkran­k und gehört zur Risikogrup­pe. „Wenn ich mich infiziere, werde ich das nicht überleben“, sagt er. Doch auch ohne Gedenkvera­nstaltung wird er sich an jenen Tag vor zehn Jahren erinnern, als er zum zweiten Mal auf die Welt kam. „Es ist, als wäre es gestern gewesen“, sagt er.

Denis Düttmann, dpa

 ?? Foto: Alex F. Catrin, dpa ?? „Wir stehen mit leeren Händen da“: Luis Urzúa, einer der Bergleute, die vor zehn Jahren gerettet wurden, besucht den Ort, an dem die Rettung der Kumpel aus der San‰Jo‰ sé‰Mine stattfand.
Foto: Alex F. Catrin, dpa „Wir stehen mit leeren Händen da“: Luis Urzúa, einer der Bergleute, die vor zehn Jahren gerettet wurden, besucht den Ort, an dem die Rettung der Kumpel aus der San‰Jo‰ sé‰Mine stattfand.

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