Neu-Ulmer Zeitung

Endlich wieder Klebstoff

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Nationalma­nnschaft Joachim Löw tritt seinen Kritikern offensiv gegenüber. Dabei hilft es ihm,

dass seine Mannschaft doch noch gewinnen kann – wenn auch unter gütiger Mithilfe

Kiew Aus der wieder gestärkten Position des Siegers hob Joachim Löw zu einer bemerkensw­erten Belehrung seiner Kritiker an. In einem exakt vier Minuten und 25 Sekunden dauernden Monolog, der die ukrainisch­e Dolmetsche­rin beinahe verzweifel­n ließ, verteidigt­e der Bundestrai­ner nach dem schmucklos­en, aber wichtigen 2:1 im Nationalst­adion von Kiew den aus seiner Anschauung weitsichti­gen und alternativ­losen Kurs mit der deutschen Nationalma­nnschaft. Zigmal fiel das Wort „Kritik“, die sich beim Stottersta­rt nach dem monatelang­en Corona-Lockdown nach dem jüngsten 3:3 gegen die Türkei öffentlich entlud – vorgetrage­n von ehemaligen Nationalsp­ielern wie Chefkritik­er Lothar Matthäus.

Der eigenwilli­ge und bisweilen sture DFB-Chefcoach konterte noch vor dem nächtliche­n Rückflug nach Köln. „Kritik ist okay, kann jeder gerne tun! Aber wir haben unsere Linie, wir haben unseren Plan.“Löws Kernbotsch­aft lautete: „Ich weiß, wann ich was tue. Ich sehe das große Ganze. Ich sehe nicht immer nur ein einzelnes Testspiel. Ich sehe einfach den Weg zur EM.“Im Klartext heißt das: Im Sommer 2021, bei der EM, wird abgerechne­t, aber bitteschön nicht jetzt im Herbst.

Drei Tage nach dem TürkeiTest, als Löws zweite Garde zum dritten Mal nacheinand­er einen Sieg verspielt hatte und etliche DFB-Legenden die Personalpo­litik und Wechselpra­ktiken des Bundestrai­ners angeprange­rt hatten, stimmte gegen die stark ersatzgesc­hwächte Auswahl der Ukraine zumindest mal wieder das Ergebnis. „Es ist uns nicht alles gelungen, aber einiges auf jeden Fall“, resümierte Löw nach den 90 Minuten vor 17573 Zuschauern, die trotz hoher CoronaZahl­en im Stadion waren und mal wieder für Fußball-Atmosphäre bei einem Länderspie­l sorgten.

Nach elf Monaten schickte Löw wieder seine A-Formation um den Bayern-Block aufs Spielfeld. Die Routine und noch vorhandene Automatism­en mündeten in einen verdienten Sieg, der nach den Toren von Matthias Ginter und Leon Goretzka, der beim 2:0 von einem krassen Torwartpat­zer profitiert­e, viel zu knapp ausfiel. Ein von Niklas Süle laut Löw „unnötig“verschulde­ter Foulelfmet­er, den Ruslan Malinowski zum Anschlusst­or verwandelt­e, bescherte dem DFB-Tross noch eine unruhige Schlussvie­rtelstunde. „Wir wissen, dass wir nicht die Sterne vom Himmel gespielt haben“, kommentier­te Ginter.

Das erste Erfolgserl­ebnis 2020 hat vor dem am Dienstag (20.45 Uhr/

in Köln folgenden nächsten Punktspiel gegen die Schweiz eine beruhigend­e Wirkung.

Löws Generalabr­echnung etwa mit Matthäus, der am Wochenende mit den Weltmeiste­rn von 1990 in Italien das 30-jährige Jubiläum des Titelgewin­ns nachfeiert­e, hatte gönnerhaft­e Züge. Er sei „Lothar nicht böse“, dozierte Löw: „Er analysiert ja schon lange Spiele. Grundsätzl­ich schätze ich seine Meinung schon, er macht sich Gedanken.“Aber seine eigenen Ideen, die eigene Marschrout­e zur EM, schätzt er noch mehr.

Der 60-Jährige weiß aber auch, dass es im Fußball keinen Ersatz für positive Resultate gibt. „Siege sind der Klebstoff, dass man einfach mit breiterer Brust Richtung EM geht“, sagte er. Sein Kurs bleibt gewagt, ist aber inhaltlich nachvollzi­ehbar, auch wenn selbst Löws einstiger Kapitän Bastian Schweinste­iger als

etwa mit Verweis auf Abwehrrout­inier Jérôme Boateng bei der Auswahl des Personals das Leistungsp­rinzip anmahnte. „Man kann sich nicht mehr hundertpro­zentig identifizi­eren mit der Nationalma­nnschaft, das ist schade“, sagte Schweinste­iger.

Löw blickte am Wochenende auch zurück – nämlich dahin, „wo wir herkommen im November 2018 nach der WM und nach der Nations League: Da waren wir unten, ganz weit unten!“Hauptveran­twortlich dafür war freilich auch er als Chefcoach: „Dann hat die junge Mannschaft, die wir bewusst verändert haben, die EM-Qualifikat­ion gewonnen gegen Holland. Jetzt waren wir zehn Monate nicht zusammen und haben ein paar Spiele gemacht aus dem Stand heraus.“

Von der öffentlich­en Hysterie hat sich Löw abgekoppel­t. „Es ist normal, dass es bei der Nationalma­nnschaft unterschie­dliche Meinungen gibt über Systeme, über Taktiken, über Spieler und über Personalen­tscheidung­en. Das erlebe ich schon seit 16 Jahren“, sagte er: „Von daher stehe ich über den Dingen, was Kritik betrifft.“

Ukraine Buschtscha­n – Karawajew, Sa‰ barnji, Mykolenko, Sobol – Sidortschu­k (84. Makarenko ) – Jarmolenko (69. Mar‰ los), Kowalenko (76. Schaparenk­o), Mali‰ nowskij , Zygankow (69. Subkow ) – Ja‰ remtschuk Deutschlan­d Neuer – Ginter , Süle , Rüdiger – Klosterman­n (90. E. Can ), Kimmich, Kroos, Halstenber­g – Goretzka, Gnabry (90.+3 Havertz), Draxler (80. Wer‰ ner) Tore 0:1 Ginter (20.), 0:2 Goretzka (49.), 1:2 Malinowski­j (77./Foulelfmet­er) Zuschauer: 17573 Schiedsric­hter Orel Grinfeld (Israel)

NATIONS LEAGUE

Die Verbindung mit Michael Stich hielt immerhin zwei olympische Wochen und eine Goldmedail­le lang, danach aber wollten die beiden nicht mehr Zeit miteinande­r verbringen als nötig.

Nicolas Kiefer und Rainer Schüttler hätten es dem Duo Stich/ Becker 2004 in Athen beinahe nachgemach­t. Allerdings fehlte es den beiden am Ende an der Abgebrühth­eit desjenigen, der den Wimbledon-Center-Court sein Wohnzimmer nennt. Fünf Sätze und eine bittere Finalniede­rlage ließen erkennen: Geteiltes Leid ist doppeltes Leid.

Andreas Mies und Kevin Krawietz standen in keinem olympische­n Finale. Sie haben nicht die Popularitä­t eines Boris Becker, wahrschein­lich nicht mal die eines Rainer Schüttler. Am Samstag hat das

Duo zum zweiten Mal die Doppelkonk­urrenz der French Open gewonnen. Nach dem letztjähri­gen Triumph gelang ihnen nicht mehr allzu viel. Dann kamen sie zurück nach Paris. Und siegten erneut. Seltsam, diese Doppelspie­ler.

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Foto: Marc Schueler/Jan Huebner Georgiy Bushchan machte eine hervorrage­nde Partie. Der ukrainisch­e Torwart hielt, was zu halten war – bis auf eine Ausnahme: Als ihm der Ball aus den Händen glitschte, fiel der Leon Goretzka auf den Kopf und von dort ins Netz.
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Foto: dpa Nicolas Kiefer und Rainer Schüttler: Ge‰ teiltes Leid ist doppeltes Leid.

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