Prozessauftakt zu 500 Kilo Kokain in Bananenkisten: Kommt es zum Deal?
Justiz Gleich zu Beginn der Verhandlung ziehen sich die Beteiligten zum Rechtsgespräch zurück.
Eine Einigung kann sich für die Angeklagten positiv auswirken – wenn sie gestehen
NeuUlm/Memmingen Es ist eine ungewöhnliche Kulisse für einen der größten Prozesse der Region. Sechs Männer sind angeklagt, weil sie knapp 500 Kilogramm Kokain aus Ecuador über die Niederlande nach Neu-Ulm geschmuggelt haben sollen. Zum Prozessauftakt finden sich die Beteiligten in der Stadthalle Memmingen ein, der große Saal im Landgericht hat nicht die nötigen Kapazitäten für die sechs Angeklagten mit ihren 13 Verteidigern.
Die Situation im Saal der Stadthalle stellt sich auf den ersten Blick auch ungleich dar: Auf der einen Seite sitzen die sechs Angeklagten mit vier Dolmetschern und insgesamt 13 Verteidigern. Wegen der einzuhaltenden Hygieneauflagen im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes sitzt jeder an einem eigenen Tisch mit Abstand zur nächsten Person – in vier Reihen sind die Tische aufgestellt. So viel Raum hat wohl noch nie eine der beiden Seiten eingenommen. Ihnen gegenüber sitzt zum Prozessauftakt einzig Oberstaatsanwalt Markus Schroth. Doch lange wird der Saal an diesem ersten Prozesstag nicht gebraucht – die Verteidigung eines Angeklagten regt nach Verlesung der Anklageschrift ein Rechtsgespräch mit dem möglichen Ergebnis eines sogenannten Deals an. Wenn dieser zustande kommt, dürfte er sich für die Angeklagten positiv auf das Strafmaß auswirken.
Zunächst trägt Oberstaatsanwalt Schroth vor, von welchem Tathergang die Staatsanwaltschaft überzeugt ist: Die sechs Angeklagten aus Albanien, die zwischen 23 und 40 Jahre alt sind, sollen Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt angebaut, hergestellt, mit ihnen Handel getrieben, sie einoder ausgeführt und dabei als Mitglied einer Bande gehandelt haben. Das Gesetz sieht hierfür eine Freiheitsstrafe von zwei bis 15 Jahren vor. Die Angeklagten und bislang unbekannte Mittäter haben sich demnach spätestens im Dezember 2019 zusammengeschlossen. Sie beabsichtigten, sich das Kokain, das zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war, unmittelbar aus Ecuador über die Niederlande in die Bundesrepublik Deutschland liefern zu lassen. Wer der Verkäufer war und wer die Abnehmer sein sollten, ist bislang nicht bekannt. Die Angeklagten sollen die 498,571 Kilogramm Kokain mit einem Wert von mindestens 50 Millionen Euro gekauft haben. Es wurde von Ecuador aus, versteckt in Bananenkisten, auf dem Wasserweg über die Niederlande und per Lastwagen nach NeuUlm zum Unternehmen Fruchthof Nagel transportiert, das jedoch nichts von den Drogen wusste. Dort sollten die Päckchen abgeholt und zu einem Zwischenlager gebracht werden – doch so weit kam es nicht.
Ein Mitarbeiter fand die Drogen zufällig, die Polizei stellte das Kokain am 13. Dezember 2019 sicher. Danach wurde der Fruchthof Nagel, an den die Bananenkisten geliefert wurden, observiert. In der Nacht vom 14. auf den 15. Dezember brachen fünf Angeklagte und weitere noch flüchtige unbekannte Mittäter laut Anklage in die Firma ein, suchten gezielt die Kisten mit dem Kokain, packten die Päckchen ein und brachten sie in ein wartendes Auto. Dessen Fahrer ist der sechste Angeklagte. Die Männer wussten jedoch nicht, dass die Polizei das Kokain zuvor ausgetauscht hatte. Nachdem das vermeintliche Kokain im Auto verstaut war, sollte es zu einem Zwischenlager gebracht und an Zwischenhändler verkauft werden. Zum Tathergang haben die sechs Angeklagten bislang geschwiegen.
Das Ergebnis des Gesprächs zur Verständigung, die in der Umgangssprache auch Deal genannt wird, stellt Vorsitzender Richter Christian Liebhart am Nachmittag vor. Sofern die sechs Angeklagten ein umfassendes Geständnis ablegen, in dem auch glaubhafte Angaben zum Vorgeschehen gemacht werden, lege das Gericht einen Strafrahmen vor. Für fünf der Angeklagten liege dieser zwischen fünf Jahren, sechs Monaten und sechs Jahren, sechs Monaten. Einer der Angeklagten hat eine Vorstrafe und müsse deswegen mit einem Rahmen zwischen sechs Jahren, drei Monaten und sieben Jahren, drei Monaten rechnen.
Die Verteidiger sehen den Begriff der Bande als schwer nachweisbar an und plädieren auf Beihilfe. Auch die Staatsanwaltschaft und das Gericht sind der Ansicht, dass der bandenmäßige Zusammenschluss „derzeit wohl nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden“könne. Doch ob es im Gegenzug dazu nur Beihilfe sei, sei bislang ebenso unklar. Vermutlich liege die Verantwortung der Angeklagten zwischen Handeltreiben und Beihilfe, so Liebhart. Ob die Männer den Deal annehmen, sagen sie in der Fortsetzung am heutigen Freitag.