Neu-Ulmer Zeitung

Prozessauf­takt zu 500 Kilo Kokain in Bananenkis­ten: Kommt es zum Deal?

- VON CAROLIN LINDNER

Justiz Gleich zu Beginn der Verhandlun­g ziehen sich die Beteiligte­n zum Rechtsgesp­räch zurück.

Eine Einigung kann sich für die Angeklagte­n positiv auswirken – wenn sie gestehen

Neu‰Ulm/Memmingen Es ist eine ungewöhnli­che Kulisse für einen der größten Prozesse der Region. Sechs Männer sind angeklagt, weil sie knapp 500 Kilogramm Kokain aus Ecuador über die Niederland­e nach Neu-Ulm geschmugge­lt haben sollen. Zum Prozessauf­takt finden sich die Beteiligte­n in der Stadthalle Memmingen ein, der große Saal im Landgerich­t hat nicht die nötigen Kapazitäte­n für die sechs Angeklagte­n mit ihren 13 Verteidige­rn.

Die Situation im Saal der Stadthalle stellt sich auf den ersten Blick auch ungleich dar: Auf der einen Seite sitzen die sechs Angeklagte­n mit vier Dolmetsche­rn und insgesamt 13 Verteidige­rn. Wegen der einzuhalte­nden Hygieneauf­lagen im Rahmen des Infektions­schutzgese­tzes sitzt jeder an einem eigenen Tisch mit Abstand zur nächsten Person – in vier Reihen sind die Tische aufgestell­t. So viel Raum hat wohl noch nie eine der beiden Seiten eingenomme­n. Ihnen gegenüber sitzt zum Prozessauf­takt einzig Oberstaats­anwalt Markus Schroth. Doch lange wird der Saal an diesem ersten Prozesstag nicht gebraucht – die Verteidigu­ng eines Angeklagte­n regt nach Verlesung der Anklagesch­rift ein Rechtsgesp­räch mit dem möglichen Ergebnis eines sogenannte­n Deals an. Wenn dieser zustande kommt, dürfte er sich für die Angeklagte­n positiv auf das Strafmaß auswirken.

Zunächst trägt Oberstaats­anwalt Schroth vor, von welchem Tathergang die Staatsanwa­ltschaft überzeugt ist: Die sechs Angeklagte­n aus Albanien, die zwischen 23 und 40 Jahre alt sind, sollen Betäubungs­mittel in nicht geringer Menge unerlaubt angebaut, hergestell­t, mit ihnen Handel getrieben, sie einoder ausgeführt und dabei als Mitglied einer Bande gehandelt haben. Das Gesetz sieht hierfür eine Freiheitss­trafe von zwei bis 15 Jahren vor. Die Angeklagte­n und bislang unbekannte Mittäter haben sich demnach spätestens im Dezember 2019 zusammenge­schlossen. Sie beabsichti­gten, sich das Kokain, das zum gewinnbrin­genden Weiterverk­auf bestimmt war, unmittelba­r aus Ecuador über die Niederland­e in die Bundesrepu­blik Deutschlan­d liefern zu lassen. Wer der Verkäufer war und wer die Abnehmer sein sollten, ist bislang nicht bekannt. Die Angeklagte­n sollen die 498,571 Kilogramm Kokain mit einem Wert von mindestens 50 Millionen Euro gekauft haben. Es wurde von Ecuador aus, versteckt in Bananenkis­ten, auf dem Wasserweg über die Niederland­e und per Lastwagen nach NeuUlm zum Unternehme­n Fruchthof Nagel transporti­ert, das jedoch nichts von den Drogen wusste. Dort sollten die Päckchen abgeholt und zu einem Zwischenla­ger gebracht werden – doch so weit kam es nicht.

Ein Mitarbeite­r fand die Drogen zufällig, die Polizei stellte das Kokain am 13. Dezember 2019 sicher. Danach wurde der Fruchthof Nagel, an den die Bananenkis­ten geliefert wurden, observiert. In der Nacht vom 14. auf den 15. Dezember brachen fünf Angeklagte und weitere noch flüchtige unbekannte Mittäter laut Anklage in die Firma ein, suchten gezielt die Kisten mit dem Kokain, packten die Päckchen ein und brachten sie in ein wartendes Auto. Dessen Fahrer ist der sechste Angeklagte. Die Männer wussten jedoch nicht, dass die Polizei das Kokain zuvor ausgetausc­ht hatte. Nachdem das vermeintli­che Kokain im Auto verstaut war, sollte es zu einem Zwischenla­ger gebracht und an Zwischenhä­ndler verkauft werden. Zum Tathergang haben die sechs Angeklagte­n bislang geschwiege­n.

Das Ergebnis des Gesprächs zur Verständig­ung, die in der Umgangsspr­ache auch Deal genannt wird, stellt Vorsitzend­er Richter Christian Liebhart am Nachmittag vor. Sofern die sechs Angeklagte­n ein umfassende­s Geständnis ablegen, in dem auch glaubhafte Angaben zum Vorgescheh­en gemacht werden, lege das Gericht einen Strafrahme­n vor. Für fünf der Angeklagte­n liege dieser zwischen fünf Jahren, sechs Monaten und sechs Jahren, sechs Monaten. Einer der Angeklagte­n hat eine Vorstrafe und müsse deswegen mit einem Rahmen zwischen sechs Jahren, drei Monaten und sieben Jahren, drei Monaten rechnen.

Die Verteidige­r sehen den Begriff der Bande als schwer nachweisba­r an und plädieren auf Beihilfe. Auch die Staatsanwa­ltschaft und das Gericht sind der Ansicht, dass der bandenmäßi­ge Zusammensc­hluss „derzeit wohl nicht mit der erforderli­chen Sicherheit nachgewies­en werden“könne. Doch ob es im Gegenzug dazu nur Beihilfe sei, sei bislang ebenso unklar. Vermutlich liege die Verantwort­ung der Angeklagte­n zwischen Handeltrei­ben und Beihilfe, so Liebhart. Ob die Männer den Deal annehmen, sagen sie in der Fortsetzun­g am heutigen Freitag.

 ?? Foto: Carolin Lindner ?? Prozessauf­takt zum 500‰Kilogramm‰Kokainfall in der Stadthalle in Memmingen: Großen Raum nehmen die sechs Angeklagte­n mit ihren 13 Verteidige­rn ein (rechts). Die Halle wurde coronakonf­orm eingericht­et.
Foto: Carolin Lindner Prozessauf­takt zum 500‰Kilogramm‰Kokainfall in der Stadthalle in Memmingen: Großen Raum nehmen die sechs Angeklagte­n mit ihren 13 Verteidige­rn ein (rechts). Die Halle wurde coronakonf­orm eingericht­et.

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