Neu-Ulmer Zeitung

Was die Corona‰Warn‰App leisten kann – und was nicht

- VON CHRISTOF PAULUS

Pandemie Das Programm galt internatio­nal als Vorbild. Das Robert-Koch-Institut ist nach wie vor von ihr überzeugt.

Doch Kritiker warnen, die App verliere den Anschluss – etwa weil sie neue Erkenntnis­se nicht einarbeite

Berlin Sie war teuer, sie war umstritten – und jetzt halten sie viele auch noch für wirkungslo­s. Seit rund vier Monaten ist die Corona-Warn-App inzwischen verfügbar. Doch in der zweiten Infektions­welle gelingt es auch mit ihrer Hilfe nicht, den rasanten Anstieg der Fallzahlen zu bremsen. Als „beste Corona-App weltweit“hatte Kanzleramt­schef Helge Braun sie noch bei ihrer Vorstellun­g gerühmt. Nun mehren sich die Stimmen, die sagen: Die Corona-WarnApp verliere den Anschluss.

So formuliert es Linus Neumann, einer der Sprecher des Hackervere­ins Chaos Computer Club. Er hatte zunächst das Konzept und die Umsetzung der App gelobt. Als eines von vielen Elementen in der Kontaktver­folgung sei sie besonders wichtig in „Situatione­n, in denen Fremde sich nah kommen und nicht in der Lage sind, sich später zu alarmieren“. Doch nun träten wesentlich­e Schwachste­llen der Anwendung zutage. Neumanns Hauptkriti­kpunkt: Vieles von dem Wissen, das Forscher in den vergangene­n Monaten über das Virus gesammelt haben, finde sich in der App noch nicht wieder. So sei inzwischen klar, dass das wichtigste Warnkriter­ium der App, sich länger als 15 Minuten in geringerem Abstand als 1,5 Meter zu einer infizierte­n Person aufgehalte­n zu haben, nicht ausreiche. Auch Treffen in größerem Abstand könnten riskant sein, wenn etwa mehrere Menschen über längere Zeit gemeinsam in einem geschlosse­nen Raum seien.

Erst am Montag war ein Update der App erschienen. Nutzer können nun Symptome erfassen, zudem funktionie­rt die App auch in einigen anderen europäisch­en Ländern. „Die internatio­nale Abdeckung kommt pünktlich zum Ende der Ferien- und Reisezeit“, kommentier­t Neumann das Update süffisant. Um die Gefahren von Zusammenkü­nften besser kontrollie­ren zu können, befürworte­t er einen anderen Ansatz.

Seinem Vorschlag zufolge sollte die App auf Anforderun­g für jedes Treffen mehrerer Personen einen Code generieren. Ein Teilnehmer bekommt diesen auf sein Handy, alle anderen scannen ihn. Falls sich im Nachhinein herausstel­lt, dass die Teilnahme einer Person eine RisikoBege­gnung war, könnten alle gewarnt werden. So wären auch Konferenze­n, Busfahrten oder Restaurant­besuche von der App abgedeckt. Für die Nutzer würde dies jedoch Mehraufwan­d

bedeuten, denn bisher läuft die App fast nur im Hintergrun­d.

Lange war darüber diskutiert worden, wie die Warn-App gestaltet werden soll. Vor allem Datenschüt­zer hatten Bedenken. So entstand eine schlanke Anwendung, in der Nutzer letztlich kaum mehr als ihren Risikostat­us betrachten und gegebenenf­alls Testergebn­isse eintragen können. Mithilfe einer BluetoothV­erbindung erkennt das Programm selbststän­dig, welche Nutzer sich in der Nähe aufhalten und ob einer von ihnen möglicherw­eise Kontakt mit einem Infizierte­n hatte. Die gesammelte­n Daten werden dezentral auf den Geräten der Nutzer gespeicher­t und nur abgerufen und anonym übermittel­t, wenn jemand ein Testergebn­is einträgt. Rund jeder vierte Erwachsene in Deutschlan­d hat die App herunterge­laden. Aber nur etwas mehr als die Hälfte der positiv getesteten Personen hat ihre Ergebnisse übermittel­t. Dass dieser Anteil nicht höher ist, liege daran, dass die Kommunikat­ionsstrate­gie der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung „völlig versagt“habe, sagt die Linken-Bundestags­abgeordnet­e Anke Domscheit-Berg.

So fürchteten Menschen etwa „grundlos Nachteile, wenn sie einen positiven Test hochladen“. Domscheit-Berg spricht von einem „Armutszeug­nis für den Stand der Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen“, da viele bis heute ihre Testergebn­isse nur analog mit drei bis vier Tagen Verspätung erhielten. Dennoch erkennt sie an, dass die App im internatio­nalen Vergleich überdurchs­chnittlich häufig genutzt werde – auch aufgrund der „hohen Ansprüche an den Datenschut­z“.

Am Datenschut­z liege es auch, dass es keine genaueren Daten wie Zeit oder Ort bei möglichen Risikobege­gnungen

übermittel­t werden können, erklärt das Robert-KochInstit­ut, in dessen Verantwort­ung die App liegt. Sprecher Robin Houben sagte unserer Redaktion, die App melde Risikokont­akte äußerst umfangreic­h. Um Messfehler­n entgegnen zu können, die etwa in Metallröhr­en wie Bus- oder Bahnkabine­n auftreten könnten, würden „auch Entfernung­sbereiche als Risikobege­gnungen erfasst, die in einem störungsfr­eien Umfeld für eine etwas größere Distanz als die epidemiolo­gisch relevante Zielgröße von zwei Metern sprechen würden“.

So könne die App Zusammenkü­nfte als Risikobege­gnung einschätze­n, bei denen sich mehrere Menschen mit einem Infizierte­n in einem geschlosse­nen Raum aufhielten – auch wenn die Abstände gewahrt wurden. Damit nehme man zwar in Kauf, dass zu viele Nutzer gewarnt werden. Die Wahrschein­lichkeit, dass tatsächlic­he Risikobege­gnungen nicht erkannt werden, reduziere sich aber. Laut Houben sei das Team der Corona-Warn-App daran interessie­rt, „die App kontinuier­lich zu verbessern“. Zu konkreten Neuerungen, wie etwa von IT-Experte Neumann vorgeschla­gen, äußerte er sich jedoch nicht. (mit ydi)

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Foto: Ralf Lienert Die Corona‰App offenbart inzwischen Schwachste­llen.

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