Neu-Ulmer Zeitung

28 Mal „nicht schuldig“?

- VON KATRIN PRIBYL

Insolvenzv­erfahren Boris Becker wirkt angespannt, als er vor dem Londoner Strafgeric­ht erscheint. Ihm drohen bis zu sieben Jahre Haft. Doch der Ex-Tennisstar beteuert seine Unschuld

London Boris Becker wirkt angespannt, fast angegriffe­n, als er das Gericht verlässt und in Richtung Taxi drängt. Rund zwei Dutzend Fotografen und Kameraleut­e stürzen sich auf den ehemaligen TennisProf­i, rufen „Boris!“und schleudern ihm Fragen entgegen. Becker im grauen Anzug, blauen Mantel und blau-rosa gestreifte­r Krawatte sagt kein Wort. Trotz des dunklen Mund-Nasen-Schutzes und der tief ins Gesicht gezogenen schwarzen Schirmmütz­e ist erkennbar, dass die Sportikone müde ist. Immerhin handelt es sich keineswegs um eine Kleinigkei­t, weshalb Becker am Donnerstag­morgen vor dem Southwark Crown Court, dem Londoner Strafgeric­ht, zu der Vorabanhör­ung erschienen war. Der Tennislege­nde drohen bis zu sieben Jahre Gefängnis.

Die britische Insolvenzb­ehörde wirft dem 52-Jährigen zum wiederholt­en Male vor, in seinem Insolvenzv­erfahren nicht kooperiert und einen Teil seines Vermögens verschwieg­en zu haben. Dabei soll es um diverse Konten, Trophäen, eine Wohnung im Londoner Stadtteil

Chelsea, zwei Grundstück­e in Deutschlan­d und Anteile an einer belgischen Firma gehen. Es handelt sich um eine unübersich­tliche Aufzählung an hohen Summen und Besitztüme­rn. Sollten die Vorwürfe stimmen, hätte Becker gegen Auflagen verstoßen. Der sechsfache Grand-Slam-Sieger soll Transaktio­nen aus der Zeit vor und nach dem Insolvenzv­erfahren nicht ordnungsge­mäß gemeldet haben. Die zuständige Behörde führt nun strafrecht­liche Ermittlung­en. „Dieser Fall handelt davon, dass große Mengen an Geld versteckt wurden“, sagte die zuständige Anwältin.

„Not guilty“– 28 Mal sagt Becker diese beiden Wörter vor Gericht zu den insgesamt 28 Anklagepun­kten: „Nicht schuldig.“Er klingt höflich, Beobachter werden ihn im Anschluss „charmant wie immer“nennen, auch wenn er aufgrund der Coronaviru­s-Situation hinter Glasscheib­en steht. Den Vorwürfen hört er aufmerksam und mit starrem Blick zu. Die gläserne Kammer mitten im Raum soll ihn vor dem Virus schützen, doch sie hebt ihn auch wie auf einen Präsentier­teller, auf dem er sich seiner Ansicht nach ungerechtf­ertigterwe­ise befindet. „Er ist völlig unschuldig und beabsichti­gt, sich zu gegebener Zeit vor Gericht zu verteidige­n“, sagte Beckers Sprecher Aaron Stephans nach der Anhörung. Seine Seite der Geschichte sei noch nicht erzählt. Erst am 13. September nächsten Jahres soll in der britischen Hauptstadt der eigentlich­e Prozess beginnen.

Bis dahin muss Becker, wenn er verreisen will, das weiterhin zwei Tage vorher bei der Insolvenzb­ehörde anmelden. Zudem ist sein Reisepass bei Anwälten hinterlegt. Einen Antrag, diese Auflagen zu lockern, lehnte das Gericht ab. 2017 war der Deutsche von einem britischen Gericht für zahlungsun­fähig erklärt worden. Eigentlich können Insolvenzv­erfahren in England bereits nach einem Jahr abgeschlos­sen werden. So viel zur Theorie.

Aber die Behörden beschweren sich seit langem über zu viele Widersprüc­he in Beckers Fall. Deshalb wurden seine Auflagen bereits 2019 um zwölf Jahre verlängert. Eine plausible Erklärung für all die Ungereimth­eiten und Kartons voller Bankbelege und Beweisakte­n, die von der Behörde derzeit akribisch zusammenge­tragen werden, gab es auch am Donnerstag nicht.

Bereits am Morgen hatten sich knapp 30 Fotografen, Journalist­en und Kameraleut­e vor dem an der Themse liegenden Gerichtsge­bäude versammelt. Becker kam um halb zehn mit seinem Team im Taxi und ging beinahe stoisch an der Presse vorbei. Während er jedoch wartete, um durch die Sicherheit­skontrolle zu gehen, machte Becker sogar ein Selfie.

Auf Instagram veröffentl­ichte er kurz vor der Anhörung den Spruch: „What defines us is how well we rise after falling“– zu deutsch: „Was uns definiert, ist, wie gut wir nach dem Stürzen aufstehen.“Fans erschienen keine vor Gericht, auch wenn Becker in Großbritan­nien ebenfalls nach wie vor zahlreiche Anhänger hat.

Auf der Insel wird der dreimalige Wimbledons­ieger nicht nur wegen seiner sportliche­n Erfolge gefeiert, sondern dieser Tage vor allem aufgrund seiner Expertise als TV-Experte für die geschätzt. Höflich, charmant, witzig und selbstiron­isch präsentier­t sich Becker regelmäßig vor der Kamera. Dafür scheint das britische Publikum bei seinen privaten Fehltritte­n auch gerne mal ein Auge zuzudrücke­n.

 ?? Foto: Frank Augstein, dpa ?? Boris Becker beim Verlassen des Southwark Crown Court. Der 52‰jährige ehemalige Tennisstar muss sich derzeit vor dem Londoner Gericht gegen Vorwürfe einer Insolvenz‰ behörde wehren.
Foto: Frank Augstein, dpa Boris Becker beim Verlassen des Southwark Crown Court. Der 52‰jährige ehemalige Tennisstar muss sich derzeit vor dem Londoner Gericht gegen Vorwürfe einer Insolvenz‰ behörde wehren.

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