Neu-Ulmer Zeitung

Die heiße Fracht der „Lady Rosebay“

- VON WILHELM SCHMID

Rauschgift

Im Prozess um das Bananenkis­ten-Kokain legen die Angeklagte­n ein Geständnis ab

Neu‰Ulm/Memmingen Es ist einer der spannendst­en Kriminalfä­lle der vergangene­n Jahre im Raum NeuUlm, der momentan am Landgerich­t Memmingen verhandelt wird: Im Prozess um den Schmuggel von 500 Kilogramm Kokain, die im Dezember 2019 in Bananenkis­ten versteckt im Fruchthof Nagel entdeckt wurden, haben sich am Donnerstag die Angeklagte­n zu den Vorwürfen geäußert. Sie wollen so ihren Teil eines Deals mit der Justiz erfüllen.

Die sechs Angeklagte­n, die auch am dritten Verhandlun­gstag aus der U-Haft in Handschell­en und Fußfesseln in die Memminger Stadthalle vorgeführt wurden, gaben durch ihre Verteidige­r Erklärunge­n ab. Alle lauteten ähnlich: Sie seien jeweils in Albanien in einfachen Verhältnis­sen aufgewachs­en und nach der Schule arbeitslos geworden oder hätten als Hilfsarbei­ter wenig Geld verdient. Dazu kämen Schicksals­schläge, die ihre Not vergrößert hätten: Ein Kind der Familie oder der Angeklagte selbst sei krank geworden. Einer gab an, als Landwirt vom Ertrag seiner Olivenbäum­e zu leben, aber schlechte Ernten hätten ihn geplagt.

Übereinsti­mmend ließen die Männer erklären, dass sie getrennt voneinande­r im Rahmen ihrer Arbeitssuc­he in Italien oder Deutschlan­d von Personen angesproch­en worden seien, die sie aber nicht nennen wollten. Deren Angebot: Bei einem Einbruch in eine Firma in Deutschlan­d könnten sie schnell viel Geld verdienen. Ihnen sollen bis zu 15000 Euro offeriert worden sein. Auf Nachfrage sei ihnen erklärt worden, dass sie Drogen aus der Firma heraushole­n müssten. Menschen würden dabei aber nicht gefährdet. Sie hätten sich von dem vielen Geld blenden lassen und seien dann nach Ulm gefahren – teilweise aus Mailand, andere aus Köln und Frankfurt. Einer gab an, er sei nur als Fahrer engagiert worden. In Ulm seien sie dann erstmals zusammenge­troffen, vorher hätten sie sich nicht gekannt. Informatio­nen habe es nur telefonisc­h gegeben.

Nach einer kurzen Erkundung des Fruchthofs in Neu-Ulm brachen die Männer am Abend des 14. Dezember vergangene­n Jahres dort ein. Die Kokainpäck­chen seien in mitgebrach­ten Taschen zum Auto gebracht worden. Dann wurden die

Täter von einem größeren Polizeiauf­gebot gestellt, an dem offenbar auch ein Sondereins­atzkommand­o beteiligt war. Die Beamten nahmen sechs Männer fest; einem siebten, dessen Namen keiner nennen wollte, gelang die Flucht. Nur einer habe Widerstand geleistet, sich nach kurzem Gerangel aber ergeben. Die Angeklagte­n ließen erklären, ihnen tue die Sache sehr leid. Sie litten seither sehr unter der Trennung von ihren Familien. Weitere Fragen wollten sie nicht beantworte­n.

Am zweiten Verhandlun­gstag war ein „Verständig­ungsvorsch­lag“zwischen der Strafkamme­r und allen

Beteiligte­n ausgehande­lt worden: Fünf Angeklagte haben demnach bei einem Geständnis Freiheitss­trafen zwischen fünfeinhal­b und sechseinha­lb Jahren zu erwarten, der sechste Mann muss wegen seiner Vorstrafen möglicherw­eise etwas mehr als sieben Jahre einsitzen.

Nach diesen Geständnis­sen begann am Nachmittag die Beweisaufn­ahme mit der Aussage eines Sachverstä­ndigen. Ein Chemiker des Landeskrim­inalamtes zählte fast eine Stunde lang jedes einzelne Kokainpäck­chen auf und nannte das genaue Gewicht sowie den Wirkstoffg­ehalt. Demnach handelte es sich bei dem Schmuggelg­ut um sehr hochwertig­es Rauschgift. Das insgesamt 490 Kilo schwere Material enthielt laut der Analyse des Chemikers 404 Kilo hundertpro­zentiges Kokain.

Eine Neu-Ulmer Kriminalbe­amtin, die mit der Spurensich­erung befasst war, zeigte detaillier­t, was am Tatort vorgefunde­n wurde. In drei Palettenre­ihen wurden insgesamt 62 Bananenkis­ten mit der heißen Ladung entdeckt. Sie waren dadurch erkennbar, dass der sonst in der Mitte offene Deckel von innen her mit einer Kartonplat­te verdeckt war. Die in grüne Folie wasserdich­t verpackten und mit dem Aufklebebi­ld eines Polospiele­rs zu Pferd versehenen Kokainpäck­chen zu je etwa einem Kilo waren rundum mit Bananen getarnt, die aber nicht mehr sonderlich frisch wirkten. Die Beamtin sprach von „Abfallbana­nen“. Dementspre­chend fielen sie bei der Wareneinga­ngskontrol­le auf.

Wie die Kripobeamt­in berichtete, brachen die Täter im Dezember ein Segment eines großen Sektionalt­ores auf und suchten dann die Reifekamme­r, die mit einem Warenzette­l des Schiffes „Lady Rosebay“versehen war. Allerdings hatte die Polizei das Kokain offenbar noch vor dem Einbruch durch Attrappen ersetzt, dazu gab es aber bisher keine Aussage. Die Täter brachen auch die Reifekamme­r auf und schleppten dann die nicht mehr so heiße Ware in mitgebrach­ten Taschen zu zwei Autos. Als die Arbeit so gut wie erledigt war, griff die Polizei zu.

Wie der Vorsitzend­e Richter Christian Liebhart andeutete, wird nun versucht, die weitere Beweisaufn­ahme zu verkürzen, sodass nach wenigen weiteren Verhandlun­gsterminen vermutlich am 9. November ein Urteil gesprochen werden kann.

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Foto: Sven Hoppe/dpa Eine halbe Tonne Kokain wartete als Schmuggelw­are auf sieben Männer im Neu‰Ulmer Fruchthof Nagel. Jetzt haben die erwisch‰ ten sechs ein Geständnis abgelegt.

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