Die heiße Fracht der „Lady Rosebay“
Rauschgift
Im Prozess um das Bananenkisten-Kokain legen die Angeklagten ein Geständnis ab
NeuUlm/Memmingen Es ist einer der spannendsten Kriminalfälle der vergangenen Jahre im Raum NeuUlm, der momentan am Landgericht Memmingen verhandelt wird: Im Prozess um den Schmuggel von 500 Kilogramm Kokain, die im Dezember 2019 in Bananenkisten versteckt im Fruchthof Nagel entdeckt wurden, haben sich am Donnerstag die Angeklagten zu den Vorwürfen geäußert. Sie wollen so ihren Teil eines Deals mit der Justiz erfüllen.
Die sechs Angeklagten, die auch am dritten Verhandlungstag aus der U-Haft in Handschellen und Fußfesseln in die Memminger Stadthalle vorgeführt wurden, gaben durch ihre Verteidiger Erklärungen ab. Alle lauteten ähnlich: Sie seien jeweils in Albanien in einfachen Verhältnissen aufgewachsen und nach der Schule arbeitslos geworden oder hätten als Hilfsarbeiter wenig Geld verdient. Dazu kämen Schicksalsschläge, die ihre Not vergrößert hätten: Ein Kind der Familie oder der Angeklagte selbst sei krank geworden. Einer gab an, als Landwirt vom Ertrag seiner Olivenbäume zu leben, aber schlechte Ernten hätten ihn geplagt.
Übereinstimmend ließen die Männer erklären, dass sie getrennt voneinander im Rahmen ihrer Arbeitssuche in Italien oder Deutschland von Personen angesprochen worden seien, die sie aber nicht nennen wollten. Deren Angebot: Bei einem Einbruch in eine Firma in Deutschland könnten sie schnell viel Geld verdienen. Ihnen sollen bis zu 15000 Euro offeriert worden sein. Auf Nachfrage sei ihnen erklärt worden, dass sie Drogen aus der Firma herausholen müssten. Menschen würden dabei aber nicht gefährdet. Sie hätten sich von dem vielen Geld blenden lassen und seien dann nach Ulm gefahren – teilweise aus Mailand, andere aus Köln und Frankfurt. Einer gab an, er sei nur als Fahrer engagiert worden. In Ulm seien sie dann erstmals zusammengetroffen, vorher hätten sie sich nicht gekannt. Informationen habe es nur telefonisch gegeben.
Nach einer kurzen Erkundung des Fruchthofs in Neu-Ulm brachen die Männer am Abend des 14. Dezember vergangenen Jahres dort ein. Die Kokainpäckchen seien in mitgebrachten Taschen zum Auto gebracht worden. Dann wurden die
Täter von einem größeren Polizeiaufgebot gestellt, an dem offenbar auch ein Sondereinsatzkommando beteiligt war. Die Beamten nahmen sechs Männer fest; einem siebten, dessen Namen keiner nennen wollte, gelang die Flucht. Nur einer habe Widerstand geleistet, sich nach kurzem Gerangel aber ergeben. Die Angeklagten ließen erklären, ihnen tue die Sache sehr leid. Sie litten seither sehr unter der Trennung von ihren Familien. Weitere Fragen wollten sie nicht beantworten.
Am zweiten Verhandlungstag war ein „Verständigungsvorschlag“zwischen der Strafkammer und allen
Beteiligten ausgehandelt worden: Fünf Angeklagte haben demnach bei einem Geständnis Freiheitsstrafen zwischen fünfeinhalb und sechseinhalb Jahren zu erwarten, der sechste Mann muss wegen seiner Vorstrafen möglicherweise etwas mehr als sieben Jahre einsitzen.
Nach diesen Geständnissen begann am Nachmittag die Beweisaufnahme mit der Aussage eines Sachverständigen. Ein Chemiker des Landeskriminalamtes zählte fast eine Stunde lang jedes einzelne Kokainpäckchen auf und nannte das genaue Gewicht sowie den Wirkstoffgehalt. Demnach handelte es sich bei dem Schmuggelgut um sehr hochwertiges Rauschgift. Das insgesamt 490 Kilo schwere Material enthielt laut der Analyse des Chemikers 404 Kilo hundertprozentiges Kokain.
Eine Neu-Ulmer Kriminalbeamtin, die mit der Spurensicherung befasst war, zeigte detailliert, was am Tatort vorgefunden wurde. In drei Palettenreihen wurden insgesamt 62 Bananenkisten mit der heißen Ladung entdeckt. Sie waren dadurch erkennbar, dass der sonst in der Mitte offene Deckel von innen her mit einer Kartonplatte verdeckt war. Die in grüne Folie wasserdicht verpackten und mit dem Aufklebebild eines Polospielers zu Pferd versehenen Kokainpäckchen zu je etwa einem Kilo waren rundum mit Bananen getarnt, die aber nicht mehr sonderlich frisch wirkten. Die Beamtin sprach von „Abfallbananen“. Dementsprechend fielen sie bei der Wareneingangskontrolle auf.
Wie die Kripobeamtin berichtete, brachen die Täter im Dezember ein Segment eines großen Sektionaltores auf und suchten dann die Reifekammer, die mit einem Warenzettel des Schiffes „Lady Rosebay“versehen war. Allerdings hatte die Polizei das Kokain offenbar noch vor dem Einbruch durch Attrappen ersetzt, dazu gab es aber bisher keine Aussage. Die Täter brachen auch die Reifekammer auf und schleppten dann die nicht mehr so heiße Ware in mitgebrachten Taschen zu zwei Autos. Als die Arbeit so gut wie erledigt war, griff die Polizei zu.
Wie der Vorsitzende Richter Christian Liebhart andeutete, wird nun versucht, die weitere Beweisaufnahme zu verkürzen, sodass nach wenigen weiteren Verhandlungsterminen vermutlich am 9. November ein Urteil gesprochen werden kann.