Neu-Ulmer Zeitung

Wenn der Kreistag ins Wohnzimmer kommt

- VON RONALD HINZPETER

Politik

FDP und JU wollen Kreistagss­itzungen künftig live per Video streamen lassen. Die Anderen wollen das nicht

Landkreis Was wollen junge Menschen auf keinen Fall? Lange politische Texte lesen. Das zumindest meint die FDP-Kreisrätin Christina Zimmermann. Ihre Generation möchte sich nicht durch zehn Seiten lange Kommentare arbeiten, sondern „kurze, knackige Videos anschauen“, sagte sie jetzt im Kreisaussc­huss. Sie will, dass künftig die Kreistagss­itzungen „live“übertragen und auf der Online-Seite des Landratsam­tes gezeigt werden. Mit diesem Vorstoß produziert­e sie eine ganze Reihe von Bedenken sowohl von Kreisräten als auch im Landratsam­t.

In der ersten Sitzung des neugewählt­en Kreistags im Mai hatte Zimmermann die Idee zum ersten Mal auf den Tisch gebracht. Daraufhin erhielt die Kreisverwa­ltung den Auftrag, die Angelegenh­eit zu prüfen: Wie und zu welchen Kosten ließe sich eine Video-Übertragun­g aus dem Kreistag organisier­en? Im ersten Überschwan­g des Neuanfangs – dank des Freie-WählerÜber­läufers Ansgar Batzner war es gelungen, den Fraktionss­tatus zu ergattern – postete die FDP auf ihrer Facebook-Seite folgenden optimistis­chen Satz: „Die Digitalisi­erung hält auch im Rat Einzug und bald kann jeder per Live-Stream teilnehmen.“Das war etwas voreilig, wie sich nun herausstel­lte.

Im Landratsam­t wurde in den vergangene­n Monaten das Für und Wider abgewogen und in eine umfangreic­he Stellungna­hme gegossen. Unter dem Strich stand als Fazit: Der Kreistag sollte von einer LiveÜbertr­agung lieber die Finger lassen. In dem siebenseit­igen Papier werden unter anderem die hohen

Kosten ins Feld geführt. Je nach Aufwand würde alleine die Anschaffun­g der Video-Ausrüstung zwischen 10000 und 20000 Euro kosten, hinzu kämen noch die Wartungsun­d Personalko­sten, denn mit der Übertragun­g allein wäre es ja nicht getan. Um etwa das Material nach einer Sitzung aufzuberei­ten und zu schneiden, müsste ein externer Dienstleis­ter beauftragt werden. Aufwand und Ertrag stünden in keinem Verhältnis zueinander. Außerdem habe es aus der Bevölkerun­g bisher nicht den Wunsch nach einer Übertragun­g gegeben.

Nach Ansicht der Landkreis-Verwaltung stehen dem Ganzen zudem erhebliche rechtliche Bedenken gegenüber: Kein Kreistagsm­itglied könne gezwungen werden, sich während der Sitzungen filmen zu lassen, damit er im Prinzip weltweit zu sehen sei. Das gelte auch für Mitglieder der Verwaltung sowie für sogenannte „Dritte“, also Menschen, die vor dem Gremium auftreten, um etwa einen Bericht abzugeben oder etwas zu erläutern. Ihr Persönlich­keitsrecht stehe einer Übertragun­g entgegen. Bei ihnen müsste ebenso die Kamera abgeschalt­et werden wie bei einem Video-Verweigere­r aus dem Kreistag. Das sei unpraktika­bel. Auch andere Landkreise, etwa Donau-Ries, Aschaffenb­urg oder der Kreis Augsburg hätten das Thema diskutiert und sich gegen eine Live-Übertragun­g entschiede­n. Debatten-Videos gebe es nur aus München.

Obwohl die Bewertung des Landratsam­tes klar negativ ausfiel, wollte Christina Zimmermann nicht lockerlass­en. Es gelte doch, die Bürgerbete­iligung zu steigern und Jüngere anzusprech­en. Die VideoÜbert­ragung habe sehr viel Potenzial. Einzig und allein Johann Deil von der Jungen Union sprang ihr bei. Er sah in den Videos ein „attraktive­s Angebot für die Bürger“. Zumal sich die Menschen mittlerwei­le ohnehin an Videokonfe­renzen gewöhnt hätten.

Alle anderen Mitglieder des Kreisaussc­husses konnten der Idee nur „auf den ersten Blick“etwas abgewinnen, wie es beispielsw­eise Kurt Baiker (Freie Wähler) formuliert­e. Vor allem die Frage, wie mit Video-Verweigere­rn zu verfahren sei, würde nach Einschätzu­ng von Kriemhilde Dornach (ÖDP) zu absurden Ergebnisse­n führen. In einer hin und her wogenden Debatte müsste dann immer wieder einer rausgeschn­itten werden. Sie spielte den Ball zurück und argumentie­rte, um neue Kommunikat­ionsformen zu nutzen, könne doch jede Fraktion ihren eigenen Podcast ins Netz stellen. Zur Frage, wie groß denn das Interesse an Kommunalpo­litik überhaupt sei, führte Ludwig Daikeler (SPD) seine Erfahrunge­n aus 30 Jahren Stadtratsa­rbeit in Vöhringen ins Feld. Zuschauer habe es kaum gegeben, höchstens im Bauausschu­ss, aber das seien dann meist diejenigen gewesen, deren Pläne gerade auf der Tagesordnu­ng standen. Dass das öffentlich­e Interesse sehr stark vom Thema abhängt, wusste auch Landrat Thorsten Freudenber­ger (CSU), der einst ebenfalls im Vöhringer Stadtrat saß: „Einmal ging es um FKK in Vöhringen – da war ausverkauf­tes Haus.“

Und so entschied der Ausschuss gegen die Stimmen von Zimmermann und Deil, die Live-Übertragun­gen aus dem Kreistag und seinen Ausschüsse­n „nicht weiter zu verfolgen“. Allerdings ist das letzte Wort in dieser Angelegenh­eit noch nicht gesprochen, denn die Entscheidu­ng stellt lediglich eine Empfehlung an den Kreistag dar. Der tagt am nächsten Freitag, 30. Oktober in der Weißenhorn­er Fuggerhall­e.

 ?? Foto: Christin Klose/dpa ?? Kann so die Zukunft der Kommunalpo­litik aussehen: Kreistagss­itzungen könnten per Videostrea­m live verfolgt werden – das wünscht sich die FDP. Andere halten das für keine gute Idee.
Foto: Christin Klose/dpa Kann so die Zukunft der Kommunalpo­litik aussehen: Kreistagss­itzungen könnten per Videostrea­m live verfolgt werden – das wünscht sich die FDP. Andere halten das für keine gute Idee.

Newspapers in German

Newspapers from Germany