„Beschäftigte an der Grenze des Belastbaren“
Interview Bei Europas größtem Labordienstleister – Synlab in Augsburg – stehen Tarifgespräche an. Gewerkschaftsvertreter
Marc Welters erklärt, wie stark Labore derzeit ausgelastet sind und weshalb er ein Gehaltsplus von zehn Prozent fordert
Herr Welters, Sie führen ab diesem Mittwoch als Vertreter der Arbeitnehmer die Gehaltsverhandlungen für Europas größten Labordienstleister Synlab, der seinen Sitz in Augsburg hat. Wie ist die Situation angesichts der Corona-Epidemie in den Laboren? Marc Welters: Die Labore haben angesichts der hohen Zahl an CoronaTests ihre Kapazitäten deutlich ausgeweitet. Wo früher 500 bis 1000 Tests pro Tag stattfanden, sind es heute 10000. Mit dem ursprünglichen Personal aus dem Februar 2020 könnte man das nicht leisten. Die Labore arbeiten nicht mehr nur mit den eigenen Beschäftigten, sondern haben zum Beispiel Studenten als zusätzliche Kräfte angestellt. In einigen Bereichen sinkt zwar die Zahl an Tests, weil zum Beispiel Kliniken nicht akute Operationen aufschieben. Der Testbedarf durch Covid-19 hat diesen Rückgang aber mehr als aufgefangen.
Was bedeutet die zweite Corona-Welle für die Laborbeschäftigten?
Welters: Teilweise arbeiten die Labore schon am Limit. Dies wird noch extremer. Beschäftigte haben heute kaum noch die Chance durchzuschnaufen. Die Stammbelegschaft gerät an die Grenze des Belastbaren. Die Mitarbeiter der medizinischen Labore zeichnet eine hohe moralische und ethische Einstellung aus. Sie wollen alle Tests abarbeiten. Wenn es aber zu viel wird, drohen manche Teströhrchen stehen zu bleiben.
Sie sagten, Labore greifen inzwischen auf Studenten zurück, um die Flut an Proben untersuchen zu können. Sind Studenten ein adäquater Ersatz für fehlende Laborkräfte?
Welters: Als Fachfremder kann man die Arbeit anfangs nicht in der gebotenen Zuverlässigkeit und Qualität erledigen. Studenten als Arbeitskräfte müssen eingearbeitet werden. Anfangs hat man dabei vor allem auf Studierende aus dem medizinischen Bereich zurückgegriffen. Inzwischen werden auch BWL-Studenten eingearbeitet.
Wie sehen Ihre Forderungen für die 2000 deutschen Synlab-Mitarbeiter aus?
Welters: Für die Ecklohngruppe fordern wir eine Erhöhung um 250 Euro. In dieser Lohngruppe sind zum Beispiel medizinisch-technische Assistenten, kurz MTA, eingruppiert, die je nach Berufserfahrung zwischen 2300 und 3000 Euro im Monat verdienen. Unsere Forderung entspricht einer Erhöhung um rund zehn Prozent. Zusätzlich fordern wir die Einführung einer Schichtzulage.
Die Forderung nach zehn Prozent mehr Gehalt erscheint selbstbewusst. Wie begründen Sie diese? Im Öffentlichen Dienst hat Verdi nur 4,8 Prozent für zwölf Monate gefordert.
Welters: Synlab hat bei der Vergütung einen Nachhol- und Aufholbedarf. Die Beschäftigten haben für ihre Arbeit mehr verdient. Außer
liegt es auch im Interesse des Betriebs, bei den Löhnen attraktiver zu werden. Wir haben die Frage der Laufzeit aber bewusst offengelassen. Die Tarifverhandlungen bieten so die Chance, einen längerfristigen Tarifvertrag zu gestalten.
Welters: Die Labore stehen räumlich oft in der Nähe zu Kliniken und anderen Laboren. Fachkräfte sind aber knapp. Wir sehen gegenüber dem Öffentlichen Dienst inzwischen die Notwendigkeit, bei der Entlohnung aufzuholen. Auch der Labormarkt selbst ist hart umkämpft. Hier macht man sich das Personal gegenseitig streitig. Häufig werden Beschäftigte mit übertariflichen Zulagen gelockt. Die Tarifverhandlungen bieten die Chance, die Lohnstruktur zu verbessern, statt die Beschäftigten mit einer Einmalzahlung abzufinden. Eine Erhöhung ist mit Blick auf die Personalkosten absolut abbildbar und leistbar.
Geht es den Laboren Ihrer Meinung nach wirtschaftlich so gut?
Welters: Der Labor-Branche geht es gut. Synlab ist in Besitz von Investmentgesellschaften, die darauf achten, dass sie mit ihren Beteiligungen Geld verdienen. Jetzt ist es an der Zeit, dass ein Teil des verdienten Geldes bei den Beschäftigten hängen bleibt.
Sie fordern neben einem Gehaltsplus eine Schichtzulage. Sind solche
Schichten in der Labor-Branche überhaupt üblich?
Welters: Wir fordern die Schichtzulage präventiv. Ich schließe es nicht aus, dass die Labore ein 24-Stunden-Modell einführen, um angesichts von Covid-19 die Fülle an Proben abarbeiten zu können. Wenn diese Belastung käme, muss sie auch monetär aufgefangen werden.
Wie wollen Sie Ihrer Forderung Nachdruck verleihen?
Welters: Wir gehen zuerst mit unseren Argumenten in die Verhandlungen. Sollten wir auf eine Verweigerungshaltung des Arbeitgebers treffen, können wir Signale setzen. Derzeit leisten die Beschäftigten 120 Prozent des Normalen. Da ist es ein Signal, wenn alle ihre Arbeit auf 100 Prozent zurückführen oder sich vor dem Werkstor versammeln.
Könnte es zu Streiks kommen? Welters: Streiks sind das letzte Mittel in einer Tarifauseinandersetzung, selbst von Warnstreiks sind wir noch weit entfernt. Wenn uns aber keine Wahl bleibt, ist auch Streik eine Option. Man kann zum Beispiel auch so streiken, dass Corona-Tests weiterhin bearbeitet werden. Bisher sehe ich aber noch keinen drohenden Streik in der Labor-Branche. Gerade angesichts von Covid-19 sind wir uns der Verantwortung bewusst.
Wie sehen denn die Verhandlungen unter Corona-Bedingungen aus? Welters: Wir haben drei Verhanddem lungstermine abgestimmt. Das erste Treffen findet unter erhöhten Corona-Sicherheitsmaßnahmen in München statt. Unser Team haben wir auf fünf Leute abgespeckt, um Kontakte zu reduzieren. Ich hoffe, dass uns ein oder zwei Termine reichen. Es wäre nicht zielführend, wenn sich die Arbeitgeberseite – wie früher üblich – einfach unsere Forderung anhört, diese zurückweist und dann ohne Angebot unverrichteter Dinge nach Hause ginge.
Weshalb verhandeln Sie mit jedem Unternehmen einzeln, statt auf einen Flächentarifvertrag umzusteigen? Welters: Als Gewerkschaft würden wir gerne einen Flächentarifvertrag abschließen. Dies würde zu einer Befriedung in der Branche führen, in der die Konkurrenz groß ist. Dazu müssten die Labore aber einem Arbeitgeberverband beitreten. Bisher wollen sich aber Unternehmen wie Sonic oder Amedes nicht in die Karten schauen lassen und sind lieber mit eigenen Anwälten unterwegs, um Haustarife auszuhandeln.
Interview: Michael Kerler
Marc Welters, 54, ist Fachsekretär für Tarif politik bei der Industrie gewerkschaft Berg bau, Chemie, Energie. Er führt für die Arbeit nehmer die Tarifver handlungen bei dem Augsburger Labordienstleister Synlab.