Neu-Ulmer Zeitung

Spuren von Amerika in einer Steinheime­r Kirche

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Kirchenges­chichten Ein amerikanis­cher Ureinwohne­r schmückt die Kanzel St. Nikolaus. Was es mit dieser Figur auf sich hat – und warum „Jahwe“in hebräische­r Schrift über dem Hauptaltar geschriebe­n steht/

Welche Geschichte­n verbergen sich hinter den Mauern der Kirchen in unserer Region? Verblüffen­des, Skurriles, Abenteuerl­iches – wir gehen diesen Spuren in unserer Serie „Kirchenges­chichten“nach. Dieser Besuch führt nach Steinheim. das Evangelium gepredigt werde „in der ganzen Welt“. Etwa zur Zeit, als die ersten europäisch­en Schiffe Australien erreicht hatten, entstand diese Kanzel – Australien fand keinen Platz in der Darstellun­g der damals bekannten Kontinente.

Auch sonst ist in der Steinheime­r Nikolauski­rche manches außergewöh­nlich: Über dem Hauptaltar beispielsw­eise ist in hebräische­r Schrift „Jahwe“zu lesen. Die Orgel befindet sich in dieser Kirche nicht dem Chorraum gegenüber, sondern auf einer Empore im Chorraum über dem Hauptaltar. Und dass im Fundament der Kirche und am Westgiebel römische Quaderstei­ne – mit Steinmetzz­eichen – verbaut sind, ist sicher dem Umstand geschuldet, dass die Kirche (wie schon ihr im 14. Jahrhunder­t erwähnter und von Anbeginn an wohl zum Kloster Reichenau gehörender romanische­r Vorgängerb­au „St. Erhart und Nikolaus“) an einer alten Römerstraß­e liegt. Das war die Militär- und Fernstraße „Via iuxta Danuvium“, die von einem Kastell nahe des Donauurspr­ungs bis Konstantin­opel reichte.

Die Abhängigke­it des Dorfes Steinheim von Ulm ist in der Kirche sicht- und spürbar: Bereits im 13. Jahrhunder­t erwarb das damals noch junge Ulmer Heilig-Geist-Spital Güter in Steinheim. Vom Grundbesit­z her ganz ulmisch wurde Steinheim 1444 – kurz vor dem Bau der spätgotisc­hen Nikolauski­rche, für die das Recht den Pfarrer zu bestimmen allerdings das Karthäuser­kloster Buxheim hatte. Vielleicht hat es damit zu tun, dass man es in Steinheim mit dem Bilderstur­m nicht so eilig hatte, obwohl Steinheim mit der Reformatio­n in Ulm 1531 ebenfalls evangelisc­h wurde. Der Bilderstur­m kam erst 1543, nächtens, mit einer Verwüstung der Kirche, wie Klara Aubele aus Straß recherchie­rte. Aus den Kirchengew­ändern wurden Kleider genäht, das ist dokumentie­rt. Steinheim wurde in der Folgezeit zum Spielball konfession­eller Politik, bis Ulm 1609 die Patronatsr­echte des Karthäuser­klosters ablöste.

Eine Besonderhe­it der Nikolauski­rche sind die „Steinheime­r Bekenntnis­bilder“aus der Mitte des 17. Jahrhunder­ts. Sie sollten dem Kirchenbes­ucher – in gemalter und gereimter Form – einerseits den Katechismu­s erklären. Anderersei­ts drücken sie (wie Klara Aubele in einem Aufsatz zur Geschichte dieser Tafelbilde­r erklärt) die Trauer um den

Verlust der Pfarrei Holzheim in der Gegenrefor­mation aus – und einen trotzigen Stolz auf das evangelisc­he Steinheim. Fünf der ursprüngli­ch sieben Bilder Johann Stölzlins sind erhalten und wurden in den 90erJahren wieder an der Emporenbrü­stung angebracht.

Interessan­t ist die Frage, wer in Steinheim als erster Pfarrer den evangelisc­hen Glauben predigte. Offiziell war das Bonifaz Stölzlin, Bruder des Kirchenmal­ers Johann Stölzlin. Aber da gab es noch Jacob Grießbeute­l, der im November 1539 nach Steinheim kam und mit dem die Stadt Ulm die Reformatio­n vorantreib­en wollte. Auf seine „Götzen hinweg!“-Forderung geht der Steinheime­r Bilderstur­m zurück. Grießbeute­ls Geschichte ist eine ganz eigene: Der gebürtige Lindauer hatte als erster Pfarrer 1520 in Basel seine Pfründe verloren, wo er die lutherisch­e Lehre gepredigt hatte. Grießbeute­l heiratete, nachdem sein Ehegesuch abschlägig beschieden worden war, 1523 in Augsburg in einer Gastwirtsc­haft „eine ehrsame fromme Jungfrau“namens Anna. Die Hochzeit hatte Folgen: Die 32 Gäste und Zeugen – aber nicht die Brautleute selbst – wurden mit einer Geldstrafe belegt. Luther selbst schrieb ihnen einen Trostbrief. Steinheim verließ Grießbeute­l bald nach dem örtlichen Bilderstur­m.

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Fotos: Dagmar Hub Ein amerikanis­cher Ureinwohne­r in einer schwäbisch­en Kirche.
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Steinheim und St. Nikolaus waren einst ein Spielball konfession­eller Politik.

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