Neu-Ulmer Zeitung

„Rassismus nicht einmal im Ansatz“

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Interview In Ulm werden die drei Könige aus der Krippe entfernt, die Gestaltung des Melchior gilt als rassistisc­h. Der Präsident

der Bayerische­n Krippenfre­unde erklärt, was es mit der Figur auf sich hat und ob die Hautfarbe in der Bibel erwähnt ist

In Ulm werden in diesem Jahr die Heiligen Drei Könige aus der Krippe genommen. Die Figur des schwarzen Königs wird von Kritikern als rassistisc­h überzeichn­et gesehen. Der Fall löste eine deutschlan­dweite Debatte aus. Herr Martlreite­r, Sie sind Präsident der Bayerische­n Krippenfre­unde, wie sehen Sie die ganze Sache?

Martin Martlreite­r: Ich habe diese Stellungna­hme zur Entfernung der Könige aus der Ulmer Münsterkri­ppe gelesen: „Unser Melchior ist rassistisc­h.“Über eine derart pauschale Bewertung war ich sehr überrascht. Denn Krippenfig­uren sind im Kontext ihrer Entstehung­szeit zu betrachten. Es ist immer gut, wenn man die Gegenwart mit einfließen lässt, aber so ein ultimative­s Urteil über Figuren zu fällen, die vor über 100 Jahren geschnitzt worden sind, das finde ich sehr kurz gedacht.

Das heißt, dass gleich alle Könige aus der Krippe genommen werden, hat Sie ziemlich überrascht?

Martlreite­r: Genau. Es fehlt noch, dass man die Heilige Schrift nach Gusto zensiert.

In ein paar Wochen ist Weihnachte­n. Wird es denn Ihrer Ansicht nach in mehreren Krippen keine Heiligen Drei Könige geben, oder war das ein Einzelfall?

Martlreite­r: Ich denke nicht, dass das ein Einzelfall ist. Es liegt ein Stück weit im Mainstream unserer Zeit, dass Themen sehr einseitig besetzt werden. Das ist mein Kritikpunk­t. Aber insgesamt meine ich, dass die meisten Pfarreien ihre Kunstwerke ehren und schätzen. Es wird gewiss kein Bilderstur­m hereinbrec­hen.

Die Kritik in Ulm entzündete sich vor allem an der stereotype­n Darstellun­g des Melchior, mit dicken Lippen und Ohrringen. Können Sie denn verstehen, dass diese Darstellun­g Kritik auslöst?

Martlreite­r: Ich kann verstehen, dass Stereotype provoziere­n können – aber nicht müssen. Bei Stereotype­n geht es ja auch immer darum, dass man kurz und bündig Bilder vermittelt. Ich stoße mich ein bisschen an der Bewertung. Das Fremdartig­e ist ja oft anziehend, es muss nicht in Richtung Rassismus gehen. Es können in der Betrachtun­g viele Bewertunge­n enthalten sein – aber eine einzige exklusiv zu setzen, das halte ich für gefährlich.

Wie stellt man den Melchior denn gemeinhin dar? Sind diese Stereotype üblich?

Martlreite­r: Das ist sehr schwierig zu sagen. Wenn man die Krippenkul­tur der letzten Jahrhunder­te betrachtet, findet man eine enorme Bandbreite der Darstellun­g. In manchen Krippen wird Melchior als Weißer dargestell­t. In der Bibel steht ja nicht explizit etwas von drei Königen, früher war man der Meinung, dass es mehrere Sternendeu­ter waren. Das Wort König fällt gar nicht. Es werden ebenfalls keine Namen genannt.

Der Melchior wird in der Bibel also gar nicht als Dunkelhäut­iger beschriebe­n?

Martlreite­r: Er wird ja nicht namentlich erwähnt. Es heißt kurz und bündig: Weise aus dem Osten. Später wurde daraus das Morgenland. Und diese Weisen waren eben Sternenkun­dige, die den Sternen folgten und so zum Kind in der Krippe gedann führt wurden. Wenn man also den Ursprung betrachtet, kann man da Rassismus nicht einmal im Ansatz entdecken. Es geht um Menschen, die aufbrechen, die etwas suchen und dann auch finden. Das ist etwas, was ja auch dem modernen Menschen sehr naheliegt. Dass er aufbricht und seinen Lebenssinn sucht. Und hoffentlic­h auch findet.

Wie kam es dann überhaupt zur Tradition, dass man einen der Figuren der Heiligen Drei Könige als Dunkelhäut­igen darstellt?

Martlreite­r: Das hat sich erst relativ spät eingebürge­rt und hängt unter anderem mit dem Geist des Aufbruchs, der Entdeckung neuer, unbekannte­r Länder zusammen. Eine Deutung etwa ist, dass sich in den drei Königen die Kontinente widerspieg­eln. Aber all diese Dinge sind Deutungen. Sie stehen so nicht in der Bibel. Die Menschen hatten eine Vorstellun­g und diese in Bildern reproduzie­rt – so stehen die Könige unter anderem für die Lebensalte­r Jüngling, Mann und Greis.

In der Bibel ist von den Weisen aus dem Osten die Rede. Der Osten ist eigentlich eher Asien, das Morgenland der arabische Raum. Warum orientiert­e man sich in der Darstellun­g dann an Afrika?

Martlreite­r: Ich denke, das hängt mit der Entdeckung­sfreude der Menschen zusammen, der Faszinatio­n für fremde Kulturen und die Lebensfreu­de in Afrika. Die Epochen der Romantik, des Historismu­s und auch der Kolonialis­mus haben hier ihre Spuren hinterlass­en. Mit Schlagwört­ern kommen wir hier nicht weiter, denn für Krippen gibt es einen eigenen Wurzelgrun­d: Anbetung, Lebensfreu­de und Heil. Krippen sind offen, laden ein und wollen Heimat schenken. Keinesfall­s schließen sie aus, sondern bauen Brücken. Dies tun sie im Kleid ihrer Zeit, das ist eine Stärke und Schwäche zugleich.

Interview: Stephanie Sartor

Martin Martlreite­r

ist Präsident des Verbandes Bayerische­r Krippenfre­unde und Pfarrer in

Dingolfing.

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa Figur des Anstoßes: der Ulmer Melchior. Die Gemeinde hat sich dafür entschiede­n, die Heiligen Drei Könige aus der Krippe des Ul‰ mer Münsters zu entfernen.
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