Ein Herz für Saarbrücken
Später weiß einer oft nicht mehr genau, warum er sein Herz an diesen Klub verloren hat, dessen Schicksal die Laune diktiert wie der Föhn und das Kantinenessen. Vielleicht war es der Name. Dieses Borussia Mönchengladbach, das wie ein Gedicht über die Lippen ging. Oder dieser eine Spieler, den alle Stan nannten, obwohl er Reinhard hieß. Über den auf einer Litfaßsäule zu lesen war, dass an Gott keiner vorbeikomme, außer Libuda. Einer wie Libuda konnte aus einem Augsburger einen Schalker machen.
Egal, wie es passiert ist: Es hat irgendwann einfach zoom gemacht. Mögen später Erfolgreichere kommen – es gibt kein Zurück mehr. Anders als im richtigen Leben gilt: bis dass der Tod euch scheidet.
Wer erklärt, er habe sich wegen einer neuen Liebe von seinem alten Klub getrennt, könnte genauso gut behaupten, er verlasse nun die Erde, um sich an den
Mars zu binden.
Drum prüfe also, wer sich ewig bindet.
Nicht jeder hat die innere Stärke für ein ganzes Leben an der Seite des 1. FC Köln, des TSV 1860 München oder des 1. FC Saarbrücken. Ja, Saarbrücken. Oder Saarbrigge wie es vor Ort heißt. Unser Kollege aus der Journal- und Kultur-Redaktion hat diese Stärke. Er muss sie haben. Er stammt aus dem Saarland. Da kann man nicht den Löwen hinterherlaufen, obwohl das leidensmäßig kaum einen Unterschied macht. Der Kollege ist in Fußball-Dingen notorischer Pessimist. Also läuft er die Woche über gramgebeugt durch die Redaktionsgänge. Mag sein 1. FC Saarbrücken ausnahmsweise noch so gut dastehen, es gibt immer etwas, das ihn zweifeln lässt.
Kleingehalten werden Saarbrücker und Löwen beide: die Löwen vom FC Bayern, die Saarbrücker von der Natur. 220 000 Einwohner, die einzige Großstadt des Bundeslandes, das wiederum so klein ist, dass es gern genutzte Vergleichsgröße für noch kleinere Flecken Erde ist. Immerhin: Saarbrücken hat seinen eigenen Tatort. Es hat Jonas Hector (Ex-Nationalspieler), Jo Deckarm (Ex-Handball) und Nicole (Ex-Sängerin) hervorgebracht. Das reicht freilich nicht für einen hervorgehobenen Platz auf der Deutschlandkarte. Dazu müsste der 1. FC Saarbrücken wieder einmal in der Bundesliga spielen, oder den FC Bayern 6:1 abfertigen. Tatsächlich ist er momentan: Drittligist. Aufsteiger. Aber auf Rekordjagd. Bislang hat noch kein Aufsteiger in der dritten Liga geschafft, was den Saarbrückern gelungen ist: nach zehn Spieltagen 22 oder mehr Punkte auf dem Konto zu haben. Der Moment ist günstig, sein Herz an Saarbrücken zu verlieren.