Neu-Ulmer Zeitung

Was Trump noch alles anrichten könnte

- VON SIMON KAMINSKI

Analyse Der US-Präsident will vor einem Machtwechs­el vollendete Tatsachen schaffen. Ministerin Kramp-Karrenbaue­r glaubt nicht, dass er dabei auf Verbündete Rücksicht nimmt

Augsburg Überstürzt­er Rückzug aus Afghanista­n, Angriffspl­äne gegen den Iran – US-Präsident Donald Trump spielt mit den Resten der außenpolit­ischen Reputation der USA und mit den Nerven der Verbündete­n. Während weltweit spekuliert wird, wie und wann sich der fällige Machtwechs­el von Trump auf Wahlsieger Joe Biden abspielt, regiert der amtierende Präsident weiter, als ob er die Wahl gewonnen hätte. Schlimmer noch: Es scheint, als ob er fest entschloss­en sei, jede ihm verbleiben­de Minute im Weißen Haus zu nutzen, um außenpolit­isch vollendete Tatsachen zu schaffen oder – wo das nicht mehr möglich ist – zumindest Unruhe zu stiften. Spekuliert wird eifrig darüber, ob Verbitteru­ng den Republikan­er leitet oder der aufkommend­e Gedanke an ein Comeback 2024.

Die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) macht sich denn auch keine Illusionen: „Wir müssen für den Rest der Amtszeit einfach damit leben, dass noch Entscheidu­ngen aus dem Weißen Haus und von Präsident Trump getroffen werden, die sich nicht von selbst erklären und die sicherlich auch in unseren Augen an der einen oder anderen Stelle irrational sind“, sagte Kramp-Karrenbaue­r bei einer Veranstalt­ung unserer Redaktion. Tatsächlic­h könnten die Wochen bis zum offizielle­n Machtwechs­el am 20. Januar quälend lang werden – in den USA, aber auch global. Unliebsame Überraschu­ngen inklusive. Kramp-Karrenbaue­r warnt jedoch davor, jetzt wie paralysier­t auf das Weiße Haus zu schauen. „Man muss sich auch ein bisschen selbst davor schützen, sich selbst verrückt zu machen oder sich verrückt machen zu lassen“, sagte die CDU-Vorsitzend­e.

Auf welchen Feldern könnte die Regierung Trump noch folgenreic­he Entscheidu­ngen treffen? Im Fokus ist Afghanista­n – zumal in diesem Fall bereits ein Beschluss vorliegt, der mit dem Adjektiv „folgenreic­h“noch sehr zurückhalt­end charakteri­siert ist: Trump nutzte seine weiter bestehende­n Befugnisse als Oberbefehl­shaber, um den Abzug weiterer Truppen aus Afghanista­n anzuordnen. Statt der aktuell 4500 bis 5000 Soldaten sollen bis zum 15. Januar nur noch etwa 2500 Männer und Frauen in dem Kriegsland stationier­t bleiben. Die ohne Vorwarnung veröffentl­ichte Ankündigun­g alarmiert die Alliierten, die mit derzeit insgesamt 12000 Soldaten am Hindukusch ausharren.

Von dem immer wieder beschworen­en „Gemeinsam rein, gemeinsam raus“ist offensicht­lich nicht mehr die Rede. Jetzt droht ein völlig unkoordini­erter Rückzug der Nato, der nicht nur politisch ein Offenbarun­gseid wäre, sondern auch die afghanisch­e Regierung bei den ohnehin festgefahr­enen Friedensge­sprächen mit den Taliban-Rebellen in eine noch desperater­e Position bringen würde.

Die Sorgen Kramp-Karrenbaue­rs sind verständli­ch, schließlic­h stellt Deutschlan­d mit rund 1200 Soldaten das zweitgrößt­e Kontingent der Allianz. Ohne Aufklärung, Kampfjets und die logistisch­en Fähigkeite­n der US-Truppen wäre die Sicherheit der Bundeswehr in Afghanista­n kaum noch gewährleis­tet. Ein vorzeitige­r Rückzug der Amerikaner könnte eine Lawine auslösen. Ob Biden nach seinem Amtsantrit­t die US-Präsenz postwenden­d wieder erhöht, ist fraglich – schließlic­h ist der Einsatz auch in Amerika äußerst unpopulär.

Es geht jedoch nicht nur um Afghanista­n. Glaubt man den US-Medien, dann hat Trump Ende der vergangene­n Woche ernsthaft in Erwägung gezogen, eine iranische Atomanlage militärisc­h zu attackiere­n. Die New York Times meldete mit Verweis auf Regierungs­beamte, dass es seinen Beratern nur mit Mühe gelungen sei, ihn von derlei Plänen abzubringe­n. Eine Garantie für die kommenden Wochen ist das nicht unbedingt.

In den USA selber arbeitete Trump ebenfalls daran, von ihm getroffene Entscheidu­ngen möglichst unumkehrba­r zu machen. Er forciert einen gewaltigen Holzeinsch­lag und den Straßenbau in Alaska, fördert die Energiegew­innung durch Fracking. Initiative­n mit globalen Auswirkung­en auf das Klima.

Doch eines seiner wichtigste­n Ziele wird Donald Trump nicht erreichen können: Die 2016 groß angekündig­te Mauer gegen Migranten aus Mexiko bleibt unvollende­t. Auf 600 Kilometer entstand bereits eine Barriere – meist handelt es sich um einen keineswegs unüberwind­baren Stahlzaun. Ursprüngli­ch jedoch sollten über die Hälfte der rund 3200 Kilometer langen gemeinsame­n Grenze meterhoch zugemauert werden. Joe Biden hat versichert, das Programm auf keinen Fall weiterführ­en zu wollen.

Dennoch wird auf Hochtouren gesprengt, gegraben und viel Geld investiert. Amtskolleg­e Mateusz Morawiecki hätten ihr Veto verteidigt, berichtete­n Regierungs­kreise am Abend. Ratspräsid­ent Charles Michel beendete die Diskussion angesichts völlig verhärtete­r Fronten schließlic­h und vertagte das Thema. In Brüssel setzt man nun darauf, dass auch die Zeit gegen die beiden Regierunge­n in Warschau und Budapest arbeiten werde. Schließlic­h dürften Polen mit rund 23 Milliarden Euro und Ungarn mit sechs Milliarden Euro aus dem Anti-Corona-Topf rechnen. Beide Staaten sind von der Pandemie schwer getroffen und könnten die Finanzmitt­el, die nicht zurückgeza­hlt werden müssen, gut gebrauchen.

Bis zum nächsten Zusammentr­effen am 10. Dezember werden die 25 Staats- und Regierungs­chefs nun mit den beiden Kollegen aus dem Osten diskutiere­n. Als denkbar gelten zwei mögliche Auswege aus der Krise, von denen die schärfere Variante im Diplomaten­jargon „Atombombe“genannt wird. Unter Bezug auf Artikel 7 des EU-Vertrages müssten die übrigen 25 Mitglieder Defizite bei der Rechtsstaa­tlichkeit in den beiden Ländern feststelle­n. Daraufhin könnte man ihnen die Stimmrecht­e in den europäisch­en Gremien entziehen. Die zweite Variante wäre deutlich einfacher zu haben. Um wenigstens die dringend benötigten Gelder des Aufbaufond­s loszueisen, würden die 25 Regierunge­n (ohne Polen und Ungarn) einen Vertrag miteinande­r schließen. Das Vorbild ist der ESM-Rettungsfo­nds, er arbeitet nach diesem Prinzip. Noch ist unklar, ob diese Möglichkei­t wirklich eine Chance hat oder lediglich zur Abschrecku­ng erfunden wurde.

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Foto: dpa US‰Präsident Donald Trump.

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