Die Frau hinter der Kamera
Film Isabelle Konrad steht noch ganz am Anfang, als Regisseurin und Drehbuchautorin. Doch jetzt bremst Corona die Filmwelt – und Konrads Projekt „Purpur“. Wie die 22-Jährige aus Weißenhorn die Krise meistert und was sie kritisiert
Weißenhorn/Karlsruhe „Purpur“hatte Glück. Die letzte Klappe fiel, der Dreh des Films war gerade beendet – nur Stunden später traf der erste Shutdown die Kultur. Für Schauspieler, Maskenbildner, Requisiteure begann ein Dornröschenschlaf – unsanft, schmerzhaft, dornig. Für die junge Regisseurin Isabelle Konrad ging die Arbeit aber weiter. Sie zog sich in ihre Studenten-WG zurück und tüftelte im Home Office am Rohschnitt von „Purpur“, ihrem zweiten Spielfilm. Nun eben allein: Videos sichten, grob schneiden, Szenen verknüpfen. Vieles könne man allein bewältigen, sagt Konrad, und trotzdem fragte sie sich: Wie objektiv kann ich mein eigenes Werk bewerten, wenn ich mitten in der Arbeit stecke, im kreativen Tunnelmodus? Wie viele Augen müssen einen Film sehen, wie viele Kollegen müssen ihn betrachten und verbessern, bevor er reif für das Publikum ist? Und braucht Kunst Publikum? Konrad hat keine Zweifel: „Kunst ohne Betrachter funktioniert nicht wirklich. Man macht keinen Film nur für sich.“
Isabelle Konrad ist 22 Jahre alt, aber keine Debütantin. In der Grundschule schrieb sie kleine Drehbücher, mit zehn Jahren entdeckte sie ihre Liebe zur Fotografie und mit 16 verblüffte sie ihre Heimatstadt Weißenhorn mit ihrer ersten Ausstellung – düstere Bilder zu Texten von Edgar Allen Poe. 2017 begann sie ihr Studium an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, Fach: Medienkunst. „Small Deaths“hieß ihr erster Spielfilm, ein 96-Minüter, den sie auf die Leinwand brachte. Im März 2020 saß sie dann selbst als Expertin in einer Jury, für den schwäbischen Jugendfilmpreises „Jufinale“. Eine Laufbahn im Zeitraffer.
Konrad hat im Shutdown nicht nur „Purpur“geschnitten. Sie schreibt neue Drehbücher, sammelt Ideen für ein Künstlerbuch und ihr Job beim nimmt ihr die größten Existenzsorgen – trotzdem kann sie die Fragen nicht verdrängen: Wie lange geht das noch gut? Wie überlebt die Branche? Und dann stand auch noch ihre Vordiplom-Prüfung auf der Kippe: Ob ihr Professor aus Rumänien zum Test im Mai anreisen könnte, war lange nicht klar. Heute erwähnt sie bescheiden, auf Nachfrage, das Ergebnis: 1,0.
Unter den Filmstudenten in Karlsruhe machte sich die Frustration breit: „Es gab so viele, die gerade drehen wollten, aber nicht durften. Das war überfordernd für alle. Das Studium der Medienkunst ist ganz praktisch angelegt. Uns fehlt jetzt fast alles, was für unsere Arbeit wichtig ist.“Konrad sah bei befreundeten Schauspielern, wie Existenzen plötzlich wegbrachen. Großproduktionen, denen der deutsche Filmförderungsapparat hilft, funktionieren teilweise noch. Aber kleine Formate, Low-Budget, von Talenten, Studierenden? Während viele darum ringen, dass auch die Kultur das Corona-Prädikat „systemrelevant“erhält, bezeichnet Konrad die Kunst als lebenswichtig. „Man muss sich nur vorstellen, einen Tag lang wäre einmal alles still. Dann würde man merken, was fehlt“, sagt sie. „Die Kultur ist außerdem ein wirtschaftstragender Zweig. Vielleicht sind wir da alle noch zu leise? Zu einsichtig? Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass uns die Politik ernster nimmt.“Aus ihrer Sicht fehlt dafür aber die Wucht einer starken Lobby.
Mitten ins Herz der Branche sticht der Plot von „Purpur“: Jede Figur in diesem Film wird in eine künstliche Filmwelt hineingeboren – und erhält sofort ein fertiges Drehbuch für das ganze Leben. Daran hat sie sich auch zu halten, diese Figur, denn Regisseure und Produzenten wollen es so – die „Götterebene“, sagt Konrad. Doch dann kommt es zum Knatsch: Jemand tanzt aus der Reihe, aus seiner Rolle und es rappelt im Gefüge des Filmuniversums.
In einer Karlsruher Wohnung hat Konrads Filmteam Stuck an die Decke gezaubert und neuen Boden verlegt. Auch Schloss Ettlingen diente als Kulisse. Edle Säle und gedeckte Tafeln, Männer mit Halstüchlein, Frauen im rüschigen Abendkleid, Biedermann-Pappkulisse – perfekt, um Salz in die bösen Wunden der Filmwelt zu streuen. Konrad erklärt: „Purpur ist eine kritische Hinterfragung des Mediums Film, vor und hinter der Kamera. Welche Verantwortung trägt Film? Und wie weit muss ich in einem System mitspielen, aus Panik, den Job zu verlieren?“
Die „Me-Too“-Welle hat die verkrusteten Verhältnisse zwar per Hashtag offengelegt. Doch die Debatte endet nicht bei Harvey Weinstein und Sexismus fängt nicht erst beim körperlichen Übergriff an. Alte Rollenbilder behalten ihre Wirkmacht – so erlebt es Konrad: „Vieles in der Filmbranche ist noch massiv altbacken. Da herrschen Strukturen, die sich anscheinend kaum aufbrechen lassen“, sagt sie. „Befreundete Schauspielerinnen erzählen: Ist eine Schauspielerin etwas mollig, heißt es gleich, ach, die ist sicher lustig!“Konrad erzählt: „Ich habe die Klischees selbst erlebt, wenn ich eine Entscheidung am Filmset treffe und eine Ansage mache. Bei Frauen heißt es dann gleich, dass sie hysterisch sind, oder im negativen Sinn dominant.“Und nicht nur das: „Ich selbst wurde beispielsweise schon gefragt, ob ich nicht lieber Drehbuch schreiben wolle, obwohl gerade über die Stelle der Regie diskutiert wurde.“
„Purpur“führt in eine surreale Welt, vielleicht mit einer Prise von Tim Burtons Stil, Konrads erstem Regie-Vorbild. „Es soll anfangs theatral und künstlich wirken, so wie wir es eher aus dem Theater kennen, entgegen dem Realismus, den Film oft anstrebt. Dann wirken die Figuren auch plötzlich echt, wenn sie später im Film aus ihrer Rolle fallen.“Am Drehbuch hat Konrad eineinhalb Jahre gefeilt. „Eine Ewigkeit“investiere sie in Recherche: Die Thesen der Gender-Philosophin Judith Butler hat sie studiert, aber auch die Prinzessinnenwelt der Disney-Filme. All das, was Klischees produziert, aber auch alles, was sie zerlegt.
Corona bremst das Projekt: „Das alles hat mich drei bis vier Monate Zeit gekostet“, sagt Konrad. Sie hofft darauf, „Purpur“bei einem analogen, waschechten Filmfest präsentieren zu können. Ein Online-Festival? Da würde ihr etwas fehlen. Denn Kunst braucht Betrachter – möglichst unmittelbar und gemeinsam.