Neu-Ulmer Zeitung

Macht Feinstaub Covid schlimmer?

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der Virusinfek­tion auslösen können“, erläutert Atmosphäre­nforscher Andrea Pozzer. Die tatsächlic­he Covid-19-Sterblichk­eit werde durch viele Faktoren beeinfluss­t, unter anderem das Gesundheit­ssystem eines Landes.

„Wenn Menschen verschmutz­te Luft einatmen, wandern die sehr kleinen gesundheit­sschädlich­en Feinstaubp­artikel von der Lunge ins Blut und in die Blutgefäße“, erläutert der mitbeteili­gte Forscher Thomas Münzel vom Universitä­tsklinikum Mainz die Wirkung von Feinstaub auf den Körper. Dort verursacht­en sie Entzündung­en und starken oxidativen Stress, was wiederum die Reparatur von Zellschäde­n störe. Letztlich wird die innere Arteriensc­hicht, das Endothel, geschädigt. Die Arterien verengen und versteifen.

Ähnliche Schäden verursache demnach auch das Coronaviru­s. Die negativen Gesundheit­seffekte beider Belastunge­n addierten sich, die Widerstand­sfähigkeit des Körpers sinke. „Wenn Sie bereits an einer Herzerkran­kung leiden, verursache­n Luftversch­mutzung und Coronaviru­s-Infektione­n Probleme, die zu Herzinfark­t, Herzinsuff­izienz und Schlaganfa­ll führen können“, sagt Münzel.

Allerdings gab es an der Studie auch Kritik, vor allem an der Methodik. Die Untersuchu­ng stützt sich auf eine erst vorab veröffentl­ichte Arbeit zu Feinstaubb­elastung und Covid-19-Sterblichk­eit in den USA und eine weitere, in der Zusammenhä­nge zwischen Feinstaub und der Sars-Epidemie im Jahr 2003 untersucht worden waren. „Obwohl es sehr wahrschein­lich ist, dass es eine Verbindung zwischen Luftversch­mutzung und Covid-19-Sterblichk­eit gibt, ist es aufgrund der vorhandene­n Evidenz voreilig zu versuchen, diese zu quantifizi­eren – wie hier geschehen“, sagt Anna Hansell von der University of Leicester. Es gebe aber unabhängig von der Corona-Pandemie genügend Gründe, die Luftversch­mutzung zu reduzieren, auf die laut Weltgesund­heitsorgan­isation WHO bereits sieben Millionen Todesfälle jährlich weltweit zurückzufü­hren seien.

Auch die Autoren der aktuellen Studie betonen, dass ihre Auswertung zunächst eine Korrelatio­n und keine Kausalität darstelle – ein Hinweis, den auch Lungenfach­arzt Michael Barczok in einer unabhängig­en Einordnung der Arbeit unterstrei­cht: So hätten die Forscher zwei statistisc­he Ergebnisse nebeneinan­dergelegt, die sehr eindrückli­ch wirkten. „Und mit Sicherheit gibt es übereinsti­mmende Faktoren, die für beide Probleme maßgeblich sind, so etwa die Bevölkerun­gsdichte: Ist diese hoch, gibt es auch mehr Luftversch­mutzung sowie mit Blick auf Covid-19 eine höhere Infektions­rate“, führt Barczok aus.

Allerdings wirkten sich Faktoren wie das Alter eines Menschen, etwaiges Übergewich­t oder das Nichttrage­n eines Mund-Nasen-Schutzes derart mächtig aus, dass fraglich sei, wie sehr die Luftversch­mutzung ins Gewicht falle: „Wir wissen zwar, dass es einen Zusammenha­ng zwischen Luftversch­mutzung und Atemwegser­krankungen gibt, aber um die tatsächlic­he Rolle der Belastung durch Stickoxide und Feinstaub für den Krankheits­verlauf bei Covid-19 zu bestimmen, wären weitere Studien nötig“, so Barczok.

Der Lungenspez­ialist, der auch Mitglied des Bundesverb­ands der

Pneumologe­n, Schlaf- und Beatmungsm­ediziner (BdP) ist, verweist in diesem Zusammenha­ng auf eine Stellungna­hme dreier niederländ­ischer Wissenscha­ftler, die im Fachblatt European Respirator­y Journal eindrückli­ch vor voreiligen Schlüssen warnten: „Um festzustel­len, ob es einen kausalen Effekt gibt, und für eine genaue Abschätzun­g jenes Effekts ist rigorose und zeitaufwen­dige Forschung erforderli­ch.“

Auch die Autoren der aktuellen Studie räumen ein, dass etwa individuel­le Risikofakt­oren keine Berücksich­tigung in solchen Analysen fänden. In einem zur Studie veröffentl­ichten Editorial betonen die beiden

Jeremy Jackson und Kip Hodges daher, dass solche individuel­len Risikofakt­oren vermutlich durch Umweltbedi­ngungen wie eben die Feinstaubb­elastung beeinfluss­t würden. Neuere Studien hätten zudem gezeigt, dass auch kurzfristi­g einer PM2,5-Verschmutz­ung ausgesetzt zu sein das Risiko für akute Infektione­n der unteren Atemwege und Krankenhau­saufenthal­te wegen Influenza erhöht, so Jackson und Hodges.

Das ist insbesonde­re auch mit Blick auf den Jahreswech­sel von Bedeutung. Denn gerade durch Feuerwerk werden jedes Jahr tausende Tonnen Feinstaub freigesetz­t. Pneumologe Barczok spricht in diesem Zusammenha­ng von einer „Schockbela­stung für die Lunge“. Speziell Menschen mit Vorerkrank­ungen der Lunge oder Covid-19-Patienten rät er deswegen zur Vorsicht: „Wir wissen von derartigen Patienten, dass deren Lungenprob­leme noch lange nach der Infektion anhalten können – an Silvester herrscht natürlich keine Kuratmosph­äre, deswegen sollte man einem solchen Lungenstre­ss aus dem Weg gehen.“Alice Lanzke

Forscher warnen darum: Vorsicht an Silvester!

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