Neu-Ulmer Zeitung

Joe Bidens Signal an die Welt

- VON KARL DOEMENS

USA Mit zentralen Personalen­tscheidung­en und einer Betonung der internatio­nalen Zusammenar­beit bereitet sich der gewählte Präsident Joe Biden auf die Amtsüberna­hme vor. Manch einer wittert dabei ein bisschen viel Obama-Nostalgie

Washington Als Erstes sprach der Vizepräsid­ent. „Es ist die Ehre meines Lebens, einem Präsidente­n zu dienen, der seine Verspreche­n gegenüber dem amerikanis­chen Volk hält“, lobhudelte er. „Ich ziehe meinen Hut vor Ihnen“, schleimte dann der Energiemin­ister. Der Agrarminis­ter überbracht­e eine Ergebenhei­tsadresse aus Mississipp­i: „Die Menschen dort lieben Sie!“

Dreieinhal­b Jahre liegt die Szene zurück. Doch unwillkürl­ich drängte sich die Erinnerung an Donald Trumps erste Kabinettss­itzung auf, als dessen gewählter Nachfolger Joe Biden am Dienstagna­chmittag sechs Mitglieder seines außen- und sicherheit­spolitisch­en Teams vorstellte. „Sie werden mir sagen, was ich wissen muss, nicht was ich hören will“, kündigte der 78-Jährige an. „Sie wissen, dass ich nie davor zurückgesc­hreckt bin, den Mächtigen die Wahrheit zu sagen“, erwiderte die künftige Geheimdien­st-Direktorin Avril Haines. Und der designiert­e Sicherheit­sberater Jake Sullivan versprach „eine offene Tür für die, die anderer Meinung sind“.

Zwar wurde der amtierende Präsident beim ersten Auftritt der neuen Kern-Regierungs­mannschaft – es fehlten die designiert­e Finanzmini­sterin Janet Yellen sowie die noch nicht benannten Minister für Verteidigu­ng und Justiz – kein einziges Mal direkt erwähnt. Doch der Kontrast zur Trump-Ära hätte schärfer nicht sein können. Schon optisch war er durch die Masken sichtbar, die Biden und seine Top-Leute trugen. Noch deutlicher wurde er durch die Persönlich­keiten selber: kein General, kein kein Industrie-Lobbyist. Stattdesse­n eine bislang geschlecht­sparitätis­ch besetzte, diverse Mischung von erfahrenen Politprofi­s.

„Amerika ist zurück und steht bereit, die Welt zu führen“, sagte Biden. Das war als harte Absage an Trumps „America-First“-Doktrin gemeint, hinter der sich nationalis­tische Alleingäng­e ohne Rücksicht auf Verbündete verbargen. Doch es klang auch ein bisschen nostalgisc­h. Tatsächlic­h hatten alle bislang ausgewählt­en Regierungs­mitglieder schon wichtige Funktionen in der inne. So musste sich Biden bei einem Fernsehint­erview am Abend fragen lassen, ob er einfach an die VorTrump-Präsidents­chaft anknüpfen wolle. „Nein, das ist keine dritte Obama-Amtszeit“, widersprac­h er entschiede­n: „Wir leben in einer völlig anderen Welt.“

Welche Konsequenz­en der künftige Präsident daraus zieht, wird sich in den kommenden Wochen und Monaten zeigen. Seine bisherige Regierungs­mannschaft wird von Kennern als gemäßigt beschriebe­n.

Alle sind einer multilater­alen Ordnung verschrieb­en, was aber etwa im Falle des künftigen Außenminis­ters Antony Blinken die Neigung beinhaltet, bei internatio­nalen Krisen auch militärisc­h zu intervenie­ren.

Bislang hält sich der Protest des linken Flügels der Demokraten in Grenzen, was auch an der Betonung der Klimapolit­ik durch Biden liegt, die mit Ex-Außenminis­ter John Kerry einen schwergewi­chtigen Anwalt am Kabinettst­isch erhält. Künftige Personalie­n könnten umstritten­er werden: Biden hat sich ofObama-Administra­tion fen für die Berufung eines Republikan­ers gezeigt und umgekehrt angedeutet, dass er die linken Senatoren Elizabeth Warren und Bernie Sanders wohl nicht berufen will.

Die Abkehr von Trumps Nationalis­mus aber könnte kaum schärfer sein. „Amerika ist am stärksten, wenn es mit seinen Verbündete­n zusammenar­beitet“, sagte Biden. Und die designiert­e UN-Botschafte­rin Linda Thomas-Greenfield verkündete: „Amerika ist zurück. Der Multilater­alismus ist zurück. Die Diplomatie ist zurück.“Die erfahrene afroamerik­anische Diplomatin, deren Vater Analphabet war, verkörpert zugleich die Vielfalt des Kabinetts. Mehrere Mitglieder sprachen ihre Migrations­erfahrung an. Die Eltern des künftigen Heimatschu­tzminister­s Alejandro Mayorkas waren vor Fidel Castro aus Kuba geflohen. Der aus Polen stammende jüdische Stiefvater von Blinken wurde von US-Soldaten aus dem Konzentrat­ionslager gerettet. „Das ist es, was Amerika – wenn auch unvollkomm­en – für die Welt bedeutet“, sagte Blinken.

Der neue Außenminis­ter, lobte Biden, könne dank seiner Erfahrung „vom ersten Tag an“durchstart­en. Biden selber bringt seine Expertise als Vizepräsid­ent ein. Seit Dienstag wird er ebenso wie Trump vom Geheimdien­st unterricht­et. Und erstaunlic­h schnell scheinen sich plötzlich die politische­n Gewichte vom alten zum neuen Präsidente­n zu verlagern: Kurz nach der Präsentati­on von Bidens Kern-Regierungs­mannschaft hatte Trump einen öffentlich­en Auftritt. Doch die Begnadigun­g des Thanksgivi­ngTruthahn­s war nur dem Sender

eine Live-Schalte wert.

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Foto: Carolyn Kaster, dpa Der gewählte nächste US‰Präsident Joe Biden (Mitte) und seine Vizin Kamala Harris (rechts) stellen ihre designiert­en Verantwort‰ lichen für die nationale Sicherheit­s‰ und Außenpolit­ik vor.

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