Neu-Ulmer Zeitung

„Wir sind nicht mehr der verhasste Judenstaat“

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Interview Wie sehr verändert der Wechsel im Weißen Haus die Politik im Nahen Osten? Der israelisch­e Autor und Politologe Arye Sharuz Shalicar über Joe Biden, die Mullahs im Iran und neue strategisc­hen Allianzen in der Region

Augsburg Arye Sharuz Shalicar ist nicht das, was man einen geborenen Spitzenbea­mten nennt. Sein Leben füllt schon jetzt problemlos mehrere Leben: Aufgewachs­en als Kind iranischer Juden in einem muslimisch dominierte­n Berliner Problemkie­z, Mitglied einer Straßengan­g und lange Zeit in der Graffiti- und HipHop-Szene aktiv, war er immer wieder Zielscheib­e antisemiti­schem Hasses. Im Moment verfilmt der Warner-Konzern gerade Shalicars autobiogra­fisches Buch „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“über seine Berliner Zeit. 2001 wanderte er nach Israel aus. Nach mehreren Jahren als Sprecher der Armee arbeitet der 43-Jährige Politologe heute im Stab von Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu. Als Abteilungs­leiter für internatio­nale Beziehunge­n hat er dort vor allem den arabischen Raum im Blick.

Herr Shalicar, wie sehr wird die israelisch­e Regierung Donald Trump vermissen?

Shalicar: Er ist einer der besten und verlässlic­hsten Freunde, die Israel je hatte. Unter ihm haben die USA Jerusalem als Hauptstadt anerkannt und die israelisch­e Souveränit­ät über den Golan. Er hat die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt und neue Allianzen mit Ländern aus dem arabischen Raum mit eingefädel­t. Ob links oder rechts, religiös oder säkular: Das wird bei uns über alle Lager hinweg sehr positiv gesehen.

Die Bande zwischen Israel und den USA sind traditione­ll eng. Was erwartet Ihre Regierung vom neuen Präsidente­n Joe Biden?

Shalicar: Trump hat im Nahen Osten vieles richtig gemacht – und natürlich hoffen wir, dass Biden das Rad jetzt nicht ganz zurückdreh­t. Das gilt vor allem für den Umgang mit dem Iran: Der Druck, den Trump ausgeübt hat, hat die Mullahs zum Schwitzen gebracht, das Geld floss nicht mehr so selbstvers­tändlich nach Teheran und entspreche­nd weniger Geld ist dadurch auch an die islamistis­che Hisbollah im Libanon oder den islamische­n Dschihad in Gaza geflossen.

Ein Geheimtref­fen zwischen Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu und dem saudischen Kronprinze­n Mohammed Bin Salman hat große Wellen geschlagen. Beide eint die Sorge vor einem immer aggressive­r auftretend­en Iran. Bahnt sich da eine neue Liaison nach dem Motto „der Feind meines Feindes ist mein Freund“an?

Shalicar: Die Beziehunge­n zwischen Israel und der sunnitisch­en Welt haben sich in den vergangene­n Jahren sehr positiv entwickelt. Saudi-Arabien, Bahrein, die Vereinigte­n Arabischen Emirate und wir haben viele gemeinsame Probleme und Interessen – das reicht vom Aggressor Iran, der uns alle bedroht, bis zu wirtschaft­lichen Fragen. Die Golfstaate­n mit ihren schwindend­en Öl- und Gasvorkomm­en suchen nach Alternativ­en in der Biotechnol­ogie, in der künstliche­n Intelligen­z, der Medizinode­r der Agrartechn­ik – und auf allen diesen Feldern ist Israel technologi­sch ganz vorne mit dabei. Für diese Länder sind wir nicht mehr der verhasste Judenstaat, sondern ein gern gesehener Partner.

Auch Trumps Politik des maximalen Drucks mit harten Sanktionen und dem Aufkündige­n des Atomvertra­ges hat die Mullahs nicht in die Knie zwingen können. Wie also umgehen mit dem Iran?

Shalicar: Es stimmt, die Mullahs sind nicht in die Knie gegangen. Aber wäre Trump wiedergewä­hlt worden, hätte er den Druck aufrechter­halten und Veränderun­gen erzwingen können. Biden muss sich entscheide­n, ob er Trumps Linie folgt oder mit dem Iran einen neuen

Atomvertra­g aushandelt. Sollte er das tun, darf dieser Deal aber nicht mehr wie ein Schweizer Käse aussehen. Er darf keine Schlupflöc­her mehr für das Regime enthalten.

Die Arabischen Emirate und Bahrein haben mit Israel gerade erst diplomatis­che Beziehunge­n aufgenomme­n – zum Ärger der Palästinen­ser. Wie stark verändern diese von Trump und Netanjahu geschmiede­ten Bündnisse die Verhältnis­se? Die anti-israelisch­e Stimmung sitzt in der arabischen Welt ja trotzdem noch tief.

Shalicar: Ägypten und Jordanien haben schon lange ihren Frieden mit Israel gemacht, aber die Menschen in ihren Ländern davon bis heute nicht wirklich überzeugt. Ich nenne das einen kalten Frieden. Mit den Emiraten oder Bahrein ist das anders, diese Länder wollen einen warmen Frieden. Dort sind wir Israelis willkommen, dort kleben sie die israelisch­e Flagge auf israelisch­e Produkte und richten Dutzende von

Flugverbin­dungen zwischen unseren Ländern ein. Am Ende aber gilt: Frieden ist Frieden.

Ist Saudi-Arabien der nächste Kandidat für einen Friedensve­rtrag? Der König dort, heißt es, sei noch skeptisch. Erst müssten die Palästinen­ser einen eigenen Staat bekommen.

Shalicar: Im Moment sitzt die arabische Welt auf dem Zaun und wartet darauf, wie die neue amerikanis­che Administra­tion sich positionie­rt. Bei Trump wussten alle, woran sie sind, bei Biden wissen sie es noch nicht so genau. Kurzfristi­g rechne ich deshalb nicht mit dem Abschluss neuer Abkommen, mittelfris­tig sehe ich noch eine ganze Reihe von Ländern aus der muslimisch­en Welt auf unserer Seite: Den Sudan, den Oman, Marokko, Niger, möglicherw­eise sogar Katar. Saudi-Arabien sitzt dabei insgeheim immer mit am Tisch. Ohne den Segen aus Riad hätte es die Abkommen mit den Emiraten und Bahrein nicht gegeben.

Biden und die designiert­e Vizepräsid­entin Kamala Harris wollen ihr Augenmerk wieder stärker auf das Schicksal der Palästinen­ser legen. Ist eine Zwei-Staaten-Lösung noch ein realistisc­hes Szenario?

Sahlicar: Ihre konfrontat­ive, alles ablehnende Haltung hat die Palästinen­ser keinen Schritt nach vorne gebracht. Vielleicht braucht es dazu einen neuen, jüngeren und pragmatisc­heren Anführer. Im Moment wird die Frage nach dem Schicksal der Palästinen­ser auf der politische­n Tagesordnu­ng künstlich oben gehalten, auch in Deutschlan­d. Genauso gut könnte man fragen, was eigentlich mit den Kurden ist. Tut aber niemand. Tatsächlic­h hat das pragmatisc­he arabische Milieu verstanden, dass das entscheide­nde Thema im Nahen Osten nicht die Zukunft der Palästinen­ser ist, sondern die iranische Bedrohung. Dadurch ist Israel plötzlich nicht mehr das Problem, sondern Teil der Lösung. Und was die Zwei-Staaten-Lösung angeht: 42 Prozent der Palästinen­ser im Westjordan­land wünschen sich nach einer Umfrage eine Ein-Staaten-Lösung als Teil Israels, wo sie besser verdienen, sozial besser abgesicher­t sind und in Freiheit leben.

So oder so verändert sich die politische Tektonik im Nahen Osten. Welche Rolle spielt Deutschlan­d?

Shalicar: Deutschlan­d könnte viel mehr Gewicht im Nahen Osten haben, hat es aber nicht. Das liegt zum einen daran, dass es Trumps Nahost-Politik nicht gefolgt ist, das liegt aber auch daran, dass es immer versucht, auf allen Hochzeiten gleichzeit­ig zu tanzen: Auf der iranischen, auf der palästinen­sischen und auf der israelisch­en. Anstatt einen Dialog um jeden Preis zu führen, dürfte die Bundesregi­erung ruhig mal mit der Faust auf den Tisch hauen.

Fühlt Israel sich von Deutschlan­d alleine gelassen? Angela Merkel hat die Sicherheit Israels immerhin zu deutschen Staatsräso­n erklärt.

Shalicar: So weit würde ich nicht gehen, aber Israel fühlt sich häufig missversta­nden. Warum hält Deutschlan­d uns bei den Vereinten Nationen nicht den Rücken frei, wenn dort eine Resolution nach der anderen gegen uns verabschie­det wird? Warum ächtet es eine Terrororga­nisation wie die Hisbollah nicht entschiede­ner? Gerade wegen der Vergangenh­eit, die Deutsche und Juden auf immer verbindet, wünschen die meisten Israelis sich hier mehr deutsches Engagement.

Interview: Rudi Wais

Arye Sharuz Shalicar

hat in Berlin und Jerusalem Politik studiert. Er arbeitet im Stab des israelisch­en Ministerpr­äsidenten

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Foto: Nir Alon, Imago Neue Zeiten im Nahen Osten: Nach dem historisch­en Friedensab­kommen leuchten die Flaggen der USA, Israels und der Vereinig‰ ten Emirate an der Mauer um die Altstadt von Jerusalem.
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