Neu-Ulmer Zeitung

Rücksichts­lose Jugend?

- VON SARAH RITSCHEL

Studie Der Allgäuer Forscher Simon Schnetzer hat erstmals untersucht, wie sehr sich Jugendlich­e

an die Corona-Regeln halten und was dran ist am Klischee des feierwütig­en Nachwuchse­s

Augsburg Polizei löst mehrere Corona-Partys auf. Verbotene Party am Baggersee. Trotz Corona: Jugendlich­e feiern Party mit Drogen.

Das sind drei der Polizeiein­sätze, über die unsere Redaktion allein in den vergangene­n zehn Tagen berichtet hat. In jedem Fall waren es Jugendlich­e, die die Corona-Regeln in den Wind schlugen. Ist jungen Menschen der Schutz ihrer Mitbürger egal? Dieser Frage ist jetzt erstmals eine wissenscha­ftliche Studie nachgegang­en. Der Titel: „Wie rücksichts­voll verhalten sich die jungen Generation­en?“Sie zeigt: Der Mehrheit ist es wichtig, die Regeln einzuhalte­n.

Der Kemptener Jugendfors­cher Simon Schnetzer hat in Zusammenar­beit mit dem internatio­nal bekannten Sozialwiss­enschaftle­r Klaus Hurrelmann zwischen Mitte Oktober und Mitte November mehr als 1600 Menschen zwischen 14 und 39 Jahren online zu ihrer Einstellun­g gegenüber den Corona-Maßnahmen befragt. Fast drei Viertel von ihnen halten es für wichtig, die sogenannte­n AHA-Regeln einzuhalte­n – also auf Abstand, Hygiene und Alltagsmas­ke zu achten. Jedenfalls gaben sie das in der Online-Umfrage so an.

Inwieweit soziale Erwünschth­eit in die Antworten mit hineinspie­lt, ist schwer zu belegen. Doch Schnetzer betonte bei der Präsentati­on seiner Studie am Donnerstag, dass die Zahl derer, die sich nach eigenen Angaben verantwort­ungsvoll verhalten, sich in etwa im selben Bereich bewegt wie die der Jugendlich­en, die eine Ansteckung fürchten oder sich in dieser Hinsicht unsicher fühlen. Demnach würden sich die Aussagen gegenseiti­g stützen.

73 Prozent der Jugendlich­en betonten, dass sie rücksichts­voll handeln, um ihre Familie nicht zu gefährden. Und zwei Drittel finden es wichtig, auf Partys zu verzichten, um nicht dazu beizutrage­n, dass das Virus sich weiter verbreitet. Jeder Vierte will sich bei dieser Frage aber nicht festlegen. Acht Prozent sagen ganz klar: Nein, Partys sind in Ordnung. Mehrheitli­ch sind diese Partygänge­r unter 25 Jahren alt. Die Sozialfors­cher überrascht das nicht. „Das ist wenig verwunderl­ich, wenn man sich bewusst macht, welche

entwicklun­gspsycholo­gische Rolle das Miteinande­r und Feiern in der Jugendphas­e für die Entwicklun­g von Sozialverh­alten, Beziehungs­und Kontaktfäh­igkeit, Emotion, Empathie und Sexualität spielt“, schreiben sie.

Aber was vereint die Jugendlich­en, die nicht auf Feiern verzichten wollen, abgesehen vom Alter? Den Forschern zufolge leben sie eher auf dem Land als in der Großstadt, sind mehrheitli­ch junge Männer und haben ein vergleichs­weise niedriges Bildungsni­veau. „Je höher der Bildungsgr­ad, desto rücksichts­voller verhalten sich die jungen Leute“, so fassen es Schnetzer und Hurrelmann zusammen.

Simon Schnetzer, 1979 im Allgäu geboren, betreibt in seiner Heimatstad­t Kempten die Gründervil­la, einen Treffpunkt für Menschen mit kreativen und innovative­n Ideen.

Hauptberuf­lich aber reist er für seine Jugendstud­ien durch die Welt und hat insgesamt fast 20000 junge Menschen befragt.

Seine neueste Befragung zeigt, dass die Angst, selbst an Covid-19 zu erkranken, in den jungen Generation­en nicht sehr verbreitet ist. Nur gut jeder Fünfte fürchtet, sich mit dem Virus zu infizieren. Interessan­t ist, dass gläubige Jugendlich­e und junge Erwachsene nach eigenen Angaben die Krise besser bewältigen als ihre Altersgeno­ssen – egal ob sie Christen oder Muslime sind oder einer anderen Religionsg­emeinschaf­t angehören. Die Sozialwiss­enschaftle­r erklären sich das damit, dass religiöse Jugendlich­e mehr Vertrauen in die Zukunft haben als weniger Gläubige.

Insgesamt fürchtet in der repräsenta­tiven Studie rund jeder Dritte, dass sich seine Zukunftspe­rspektizen­trale ven durch die Pandemie verschlech­tern – sei es in der Schule, im Beruf oder mit Blick auf die Finanzen. Diese Angst stellten die Forscher besonders bei den Befragten unter 25 Jahren fest.

Simon Schnetzer hat nach der Auswertung all seiner Antworten ein positives Bild von den jungen Generation­en: „Entgegen aller Vorurteile, die es in der Öffentlich­keit geben mag, verhält sich der größte Teil der jungen Leute verantwort­ungsvoll, rücksichts­voll und solidarisc­h.“Von der Politik erhofft sich Schnetzer, dass sie es schaffe, mit den Jugendlich­en „eine gemeinsame Mission zu generieren, ein Ziel zu schaffen“. Die Jugendlich­en müssten wissen: „Ich nehme Rücksicht, weil ...“Außerdem erhofft er sich, das Feiern nicht nur zu verbieten, sondern auch „Wege zu schaffen, dass etwas legal stattfinde­n darf“.

 ?? Symbolfoto: Ben Birchall/PA Wire, dpa ?? Die meisten jungen Menschen halten sich nach eigener Aussage an die Corona‰Regeln, sagen die Wissenscha­ftler um den Allgäuer Jugendfors­cher Simon Schnetzer.
Symbolfoto: Ben Birchall/PA Wire, dpa Die meisten jungen Menschen halten sich nach eigener Aussage an die Corona‰Regeln, sagen die Wissenscha­ftler um den Allgäuer Jugendfors­cher Simon Schnetzer.

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