Wenn Straftäter ins Ausland fliehen
Interview Memmingens Oberstaatsanwalt Thorsten Thamm erklärt,
wie Fahndungen außerhalb von Deutschland ablaufen
Herr Thamm, im Fall der Günzburger BKH-Ausbrecher ist die Memminger Staatsanwaltschaft schließlich im Ausland fündig geworden. Welche Möglichkeiten haben deutsche Ermittlungsbehörden, an Straftäter im Ausland heranzukommen?
Thamm: Meist wissen wir nicht genau, wo Gesuchte sich aufhalten. Es wird dann immer erst ein nationaler Haftbefehl beim zuständigen Amtsgericht beantragt. Darauf aufbauend kann dann ein europäischer Haftbefehl erlassen werden, mit dem wir den Gesuchten international zur Fahndung ausschreiben können. Die entsprechenden Daten werden dann in das Schengener Informationssystem eingespeist, auf das alle Länder im Schengen-Raum Zugriff haben. Wenn ein Gesuchter dann in einem dieser Länder etwa in eine Kontrolle kommt und die örtliche Polizei seine Daten abfragt, können sie ihn festnehmen.
Kann ein solcher Haftbefehl auch weltweit ausgeschrieben werden? Thamm: Theoretisch ja, es gibt weltumspannende Fahndungssysteme. Die Ausschreibung zur Fahndung ist da nicht das Problem. Es ist eher die Frage, ob diese Daten auch abgerufen werden, wenn ein Gesuchter irgendwo auf der Welt von der Polizei angetroffen wird. Und wenn ja, kann es Wochen dauern, bis wir erfahren, wo er ist. Oft sind diese Informationen dann schon nicht mehr aktuell.
Sollte ein Gesuchter dennoch im Ausland festgenommen werden, wie kommt er dann wieder nach Deutschland? Thamm: Innerhalb der EU ist die Auslieferung genau geregelt. Es gibt sogenannte Rahmenbeschlüsse, die den Ablauf deutlich verschlanken. Da wird dann nicht mehr viel geprüft, das ist fast, wie wenn es innerhalb Deutschlands wäre. Wenn die Auslieferung von der jeweiligen Behörde bewilligt ist, bekommen wir eine Mitteilung, innerhalb welches Zeitraums wir den Gesuchten abholen können. Es gibt eine spezielle Polizeidienststelle, die das erledigt. Da fliegen oder fahren Beamte dann hin und nehmen den Gesuchten am Flughafen oder an der Grenze in Empfang.
Und wie läuft das mit Ländern außerhalb der EU ab?
Thamm: Da ist die Rechtsgrundlage oft nicht so eindeutig. Zwar können Staaten das Thema Auslieferung prinzipiell in bilateralen Verträgen klären. Die hat Deutschland aber nicht mit jedem Land. Da ist man dann auf den guten Willen des jeweiligen Landes angewiesen. Und da hat jedes Land seine eigenen Gesetze. Der Austausch läuft dann über das Außenministerium, das ist sehr formal und sehr langwierig. Zusätzlich haben wir da das Problem, dass die Länder ihre eigenen Landsleute in der Regel nicht ausliefern. Das ist innerhalb der EU anders.
Dieses Problem gibt es mit dem immer noch flüchtigen Ruslan Tsopa, der aus dem Bezirkskrankenhaus in Günzburg geflohen ist. Er soll in seinem Heimatland Ukraine in Haft sitzen.
Thamm: Das ist die Information, die wir von den dortigen Behörden haben. Ob es aktuell noch so ist, wissen wir nicht. Für solche einfachen Informationen gibt es zwar Verbindungsbeamte beim Bundeskriminalamt, die dort anfragen können. Ein umfassenderer Austausch muss dann aber schriftlich laufen. Das dauert dann, weil wir die Dokumente immer erst übersetzen lassen müssen, bevor sie dann über verschiedene Ämter und Ministerien durchgereicht werden. Wir haben unsere Bitte um Auslieferung hinterlegt, haben aber wenig Hoffnung. Sollte er irgendwann wieder in die EU reisen, besteht aber eine Chance, dass er verhaftet werden kann.
Wie oft die ist die Staatsanwaltschaft Memmingen auf Amtshilfe aus dem Ausland angewiesen?
Thamm: Es kommt jetzt nicht täglich vor, aber es passiert schon regelmäßig. Kommunikation mit anderen Behörden innerhalb der EU gehört zum normalen Geschäftsgang. Da geht es dann aber nicht nur um Auslieferungen, sondern Ermittlungen aller Art, zum Beispiel Kontoabfragen oder Durchsuchungen. Aus diesem Grund haben wir auch eine neue Abteilung zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Organisierten Kriminalität gegründet. So lassen sich auch persönliche Kontakte mit Ermittlern aus Nachbarländern knüpfen. Interview: Alexander Sing
Zur Person Thorsten Thamm ist Oberstaatsanwalt bei der Staatsan waltschaft Memmingen. Er ist Sprecher der Behörde und leitet die neue Spezi alabteilung zur Bekämpfung grenzüber schreitender Organisierter Kriminalität. Die Staatsanwaltschaft Memmingen ist zuständig für die Kreise Günzburg, NeuUlm, Unterallgäu und Memmingen.