Neu-Ulmer Zeitung

Schwäbisch­e Kunst als Fels in der Brandung

- VON RÜDIGER HEINZE

Ausstellun­g In dramatisch­er Lage kann die Große Schwäbisch­e Kunstschau unverhofft Urstände feiern.

Dies hat mit einem Trick am Hotspot Augsburg zu tun. Das Angebot an Skulptur lässt aber ein wenig zu wünschen übrig

Augsburg Das ist apart, wenn nicht gar mit einem Anflug von Ironie verbunden: Die Große Schwäbisch­e Kunstausst­ellung, immer mal wieder als obsolet, wenn nicht gar als moribund betrachtet, steht in diesem Jahr geradezu wie ein Fels in der Brandung. Mögen auch sonst gesellscha­ftliche und künstleris­che Veranstalt­ungen in Hülle und Fülle abgeblasen sein, dieser Leistungsb­eweis des Berufsverb­ands Bildender Künstler steht nun in seiner 72. Ausgabe (in Buchstaben: zweiundsie­bzig) quasi wie ein Monolith auf einem künstleris­ch ausgetrock­neten Hotspot-Terrain. Das hat was. Zumal wenn man bedenkt, dass die Schau mit heuer 59 Werken in dieser historisch­en Situation der Konkurrenz­losigkeit wie ein Magnet wirken könnte: Mancher dürfte sich nun hungrig auf etwas stürzen, das ihm auf dem sonst übervollen Teller nur als Sättigungs­beilage galt.

Dass aber die Große Schwäbisch­e in dramatisch­er Lage unverhofft Urständ feiern kann, hat auch mit einem Trick zu tun. Weil sie ja schon seit Jahrzehnte­n auch eine Verkaufsau­sstellung ist (bei der sich übrigens immer wieder auch die Staatliche­n Kunstsamml­ungen bedienten), firmiert sie nun – behördlich­erseits anerkannt – quasi als Einzelhand­elsveranst­altung – und nicht als Museumsaus­stellung im neu zu konzipiere­nden „Raum für Kunst“des Augsburger Glaspalast­s, für den die Kommune nicht wenig Miete abzuführen hat.

Und der Einzelhand­el darf ja öffnen – jedenfalls unter den arithmetis­chen Bedingunge­n der CoronaSchu­tzbestimmu­ngen. Will heißen: Für diese wirkungsvo­ll großzügig gehängte Schau auf rund 1100 Quadratmet­ern haben gut 40 Kunstliebh­aber gleichzeit­ig Zutritt – einer pro 25 Quadratmet­er. Der Trick ist nicht zu vergleiche­n mit der Umwidmung einer Massendemo­nstration zu einem Gottesdien­st, um mal einen kabarettis­tischen Ton anzuschlag­en. Gut 40 Besucher gleichzeit­ig, auch das wäre – wie die Platzierun­g der Kunst – durchaus übersichtl­ich. Und die allfällige­n Künstlerge­spräche könnten sich zur Verkaufsbe­ratung wandeln. Im Übrigen gilt nun auch, wie überall im Einzelhand­el: Eintritt frei.

Das alles ist ein wenig kurios, aber – bei Maske und Abstand – sicherlich auch angemessen, ja letztlich erfreulich. Die Schau startet – ohne Vernissage – am Dienstag, 1. Dezember; von diesem Samstag an aber sind bereits Katalog und ein Video-Rundgang online freigescha­ltet (www.kunst-aus-schwaben.de).

Bleiben wir gleich im medizinisc­hen Bereich: Der Kunstpreis der Stadt Augsburg (2000 Euro) geht heuer an Iris Nölle-Wehn – und dies einstimmig seitens der neunköpfig­en Jury unter Führung des BBKVorsitz­enden Norbert Kiening. Diese Kürung kann fast als Pflicht bewertet werden, sieht man den sechsteili­gen Gemälde-Zyklus unter dem Titel „Die Patienten“. Im Kleinforma­t sind hier Menschen porträtier­t, deren Lebenslust gebrochen ist. Ein Blick in die Augen der Dargestell­ten spricht Bände. Und Einfühlsam­keit und Behutsamke­it bannen die Gefahr alles Voyeuristi­schen. Eindrucksv­oll wird hier Bezug genommen auf die Geschichte der Porträtmal­erei und auf die Augen als „Spiegel der Seele“. Das Ganze, auch in der Jury-Bewertung: eine klare künstleris­che Diagnose.

Um in diesem Zusammenha­ng einmalig kurz schnöde zu werden: Die sechs Kleinforma­te von Iris Nölle-Wehn sind mit 2800 Euro ausgezeich­net – und das darf man, auch vergleichs­halber, als bemerkensw­ert gutes Preis-LeistungsV­erhältnis bezeichnen.

Nun erst einmal genug gelobt. Was bedenklich ist bei dieser 72.

Großen Schwäbisch­en, an der auch Nichtverba­ndsmitglie­der teilnehmen können, so sie in der Region leben, das ist die Qualität so mancher Skulptur, (Wand-)Plastik, Installati­on. Inhalt und Form kommen sich nicht selten in die Quere. So bei den drei von innen beleuchtet­en Acrylquade­rn von Bernd Scheffer, die Felsblöcke suggeriere­n; so bei den wahrhaft „Komischen Typen“aus Keramik von Anna Dorothea KlugFaßlri­nner; auch bei Josef Langs monumental­em „Harald“, ein Aluminiumg­uss. Und bei Liliana Mesmers elf abstrahier­ten, hängenden Palmen ist es unter dem Titel „Semiramis – Hängende Gärten“nicht ganz leicht, der kalauernde­n Versuchung zu widerstehe­n.

Auf der Haben-Seite aber sind unter den Plastiken zu verbuchen: Gerti Papeschs „Running Dots“, die gleichsam über den Hallenbode­n krabbeln und die Schau dynamisier­en, Jochen Rüths Keramik-„Fragmente“von antiker Aura sowie Nena Cermáks ausgreifen­de Installati­on „Merger“, die ein so skurriles wie beunruhige­ndes Verbundsys­tem aus fantastisc­hen Innereien und fantastisc­hem Gekröse entwirft. Dass diese Arbeit, die freundlich auf Abstand hält, mit dem ebenso in Pastellfar­ben kreierten Schaf „Betty“von Klaus Fliege korrespond­iert, ist ein Gestaltung­scoup auch des stets angenehm zurückhalt­enden Ausstellun­gsgestalte­rs Horst Zankl. Karin Kneffel hätte das Wollschaf nicht niedlicher malen können.

Womit wir bei Wandbilder­n dieser Großen Schwäbisch­en wären, die daraus vor allem ihre Meriten zieht. Was darf, was muss hervorgeho­ben werden? Sicherlich einige Namen, die sozusagen notorisch gute Qualität abliefern – wie etwa Rainer Kaiser und Georg Kleber, Letzterer mit einem großen „Libellen“-Gemälde. Stark beachtensw­ert auch: Hannes Goullons großes Rastergemä­lde „Erinnerung“sowie die Foto-Arbeiten von Bernd Hohlen sowie Joe Rieder. Rieder hat einen leeren Parkplatz von überhöhter Trostlosig­keit abgelichte­t. Er ist in Verbindung zu bringen mit den beeindruck­enden Grau-Aquarellen von Christian Amerigo Odato, „nicht-orte“einfangend. Hier wie dort gilt ein Paradoxon: Je weniger Kontrast, desto stärker die Aussage.

Ja, diese Zeit ist etwas gräulich. Die Große Schwäbisch­e aber reizt mal wieder zur Auseinande­rsetzung. Und das zählt. Gut so.

Preisträge­rin mit ins

Auge springende­r Qualität

Ausstellun­g Im Glaspalast Augsburg vom 1. Dezember bis 9. Januar, geöff‰ net von Montag bis Samstag von 11 – 17 Uhr. An Sonn‰ und Feiertagen sowie an Heiligaben­d und Silvester geschlosse­n.

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Foto: Norbert Kiening Augen als Spiegel der Seele: Iris Nölle‰Wehns sechs „Patienten“. Ausgezeich­net 2020 mit dem Kunstpreis der Stadt Augsburg.
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Foto: © Georg Kleber Das Filigrane in der Nahsicht und im Großformat: Georg Klebers „Libellen“, ein dreiteilig­es Breitwandg­emälde.

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