Dieses Doping-Urteil könnte den Sport verändern
Leitartikel Der bisher größte Doping-Prozess geht zu Ende. Und er hat Symbolkraft, auch für die Hintermänner. Ohne das neue Gesetz wäre er nie zustande gekommen
In München geht an diesem Freitag ein Prozess zu Ende, der sich großer Beliebtheit erfreute. Weniger bei den Angeklagten, dafür umso mehr bei all jenen, die die Hoffnung auf einen sauberen Sport noch nicht aufgegeben haben – selbst wenn es diesen nie geben wird. Zu sehr liegt es in der Natur des Menschen, bei Gelegenheit zum Betrüger zu werden. Der Sport bietet an seiner gelddurchtränkten Spitze jede Menge Anreiz, sich einen Vorteil zu erschummeln. Und hier schließt sich der Kreis zu dem Prozess in München. Denn der dort angeklagte Sportarzt bot den Willigen diese Gelegenheit.
Vor Gericht kam ein System zum Vorschein, das Sportlern grenzübergreifend die Möglichkeit gab, sich mit Eigenblut zu dopen. Eine Doping-Variante, die nur schwer nachzuweisen ist. Unkorrekt ausgeführt birgt sie allerdings hohe Risiken. Jeder kann sich vorstellen, dass verunreinigte Infusionen die Leistung nicht unbedingt fördern.
Der Hauptangeklagte Mark S., ein Arzt, hatte während des Prozesses die Strategie der Vorwärtsverteidigung gewählt. Er war geständig, kooperativ, zeigte jede Menge Reue und stellte sich als Helfer dar, der den Sportlern sicheres Blutdoping zur Verfügung stellen wollte. Das Urteil am heutigen Freitag wird zeigen, ob die Taktik erfolgreich war.
Gleichzeitig wird das Urteil aber auch Signalwirkung weit über den Münchner Gerichtssaal hinaus haben. Alfons Hörmann, Deutschlands oberster Sportfunktionär, prognostiziert gar Auswirkungen auf den gesamten Weltsport. Folgen die Richter dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf fünfeinhalb Jahre Haft, wäre es das erste Mal, dass ein Doping-Drahtzieher für längere Zeit hinter Gitter muss. Es sei rechtliches Neuland, das mit dem Verfahren betreten wurde, sagte Oberstaatsanwalt Kai Gräber. Zwar gibt es in Deutschland schon seit 2015 ein Anti-Doping-Gesetz. Bisher hat es sich aber fast ausschließlich gegen Sportler aus der Bodybuilder-Szene gerichtet. Die eigentliche Zielgruppe aus dem Spitzensport blieb unbehelligt. Allein schon dieser Umstand zeigt, dass das Gesetz überarbeitet werden muss. Momentan hat es die falsche Stoßrichtung. Und es fehlt eine Kronzeugenregelung. Denn ohne das
Wissen von Insidern sind Polizei und Staatsanwaltschaft machtlos. Das wurde in München deutlich.
Der Prozess gewährte Einblick hinter die Fassade des Spitzensports. Zur Strategie der Anwälte von Mark S. gehörte, immer wieder zu behaupten, Doping sei im Spitzensport an der Tagesordnung. Ihr Mandant habe halt das Pech gehabt, erwischt zu werden. Ein Argument mit langer Tradition. Kaum ein Doper, der nicht sagt, er habe sich nicht als Betrüger gefühlt, da dies doch alle machten. Erinnert sei an den tief gefallenen ExRadstar Jan Ullrich.
Dessen Nachfolger sehen sich nun aber mit einem neuen Gegner konfrontiert. Als die Fahnder während der Nordischen Ski-WM
2019 die Operation Aderlass starteten, erwischten sie in einem Hotelzimmer in Seefeld zwei Langläufer auf frischer Tat, die Nadel steckte noch im Arm. Ohne Anti-DopingGesetz wäre das nicht gelungen. Polizisten und Staatsanwälte haben deutlich schärferes Werkzeug zur Verfügung als der Sport, der sich viel zu lange auf seine Selbstreinigungskräfte verließ. Je härter das Urteil von München ausfällt, desto abschreckender ist die Drohkulisse, die es aufbaut. Auch weil es den Hintermännern zeigen würde, dass sie ihre Arbeit nicht mehr komplett sorgenfrei anbieten können.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Mark S. bisher ein Einzelfall ist und im Wesentlichen Sportler aus der zweiten Reihe „betreute“. Die Stars sind offenbar cleverer. Oder sie dopen nicht. Wählen Sie selbst.
Die Nadel
steckte noch im Arm