Oppositionschefin soll neue Regierung führen
Nach dem Rücktritt von Regierungschef Jüri Ratas hat die estnische Staatspräsidentin Kersti Kaljulaid die Oppositionsführerin Kaja Kallas als Ministerpräsidentin des baltischen EU- und Nato-Landes nominiert. Die 43-jährige Juristin und Tochter des Ex-EU-Kommissars Siim Kallas führt die wirtschaftsliberale Reformpartei. Sie könnte nun erste Ministerpräsidentin Estlands werden. Ratas war nach Korruptionsvorwürfen gegen seine linksgerichtete Zentrumspartei zurückgetreten. Kallas kündigte Gespräche mit der Zentrumspartei über die Bildung einer großen Koalition an. Die beiden Parteien sind die führenden Kräfte seit der Unabhängigkeit des Baltenstaats 1991. Mit dem Machtwechsel dürfte die rechtspopulistische Partei EKRE aus der Regierung ausscheiden.
Berlin Blickt man nur auf die Statistik, ist es eigentlich gar nicht so schlecht gelaufen für Annegret Kramp-Karrenbauer. Fast zwei Jahre führte sie die CDU als Parteichefin – und damit länger als Wolfgang Schäuble oder Rainer Barzel. Eine letzte Pointe des Schicksals vielleicht. Denn in die parteiinternen Annalen wird sie wohl als die Vorsitzende eingehen, die bei ihrer Rücktrittsankündigung gerade einmal 430 Tage amtierende CDUChefin war – und doch noch weitere 340 Tage vergehen sollten, ehe ein Nachfolger gefunden war. Und die sich am Ende womöglich sogar selbst fragt, ob sie die Rücktrittsforderungen nicht einfach hätte aussitzen können. Denn zumindest sie selbst ist zufrieden mit ihrer Bilanz als Vorsitzende der mächtigsten deutschen Partei. Die Union sei moderner geworden, die Partei könne programmatisch bei Klimaschutz und Digitalisierung sogar das Tempo bestimmen. Zudem sei es gelungen, „CDU und CSU zu versöhnen nach dem schrecklichen Streit um die Flüchtlingsfrage“. Die „Verkrampfung“beim Thema Migration sei gelöst. „Sie hat die Transition eingeleitet und auch in den letzten Monaten alles in allem gut gemanagt“, sagt auch der Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der FU Berlin. „Das ist keine Selbstverständlichkeit.“Zudem habe sie das Ohr der Parteiführung wieder näher an die Basis gebracht.
Und doch sind es die letzten Tage, ehe sie am Samstag das Zepter weiterreicht – dann wird feststehen, ob ihr Nachfolger Armin Laschet, Friedrich Merz oder doch Norbert Röttgen heißt. Drei Männer, die so ganz anders sind als Annegret Kramp-Karrenbauer. In all ihrer Unterschiedlichkeit verbindet die Kandidaten ein hohes Maß an Machthunger. War er es, der der Saarländerin gefehlt hat? „Es gibt Momente im Leben, in denen Sie kurz überlegen: Greife ich zu oder lasse ich es?“, sagte AKK in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.
„Wenn man es dann nicht anpackt, bleibt oft der Gedanke, warum habe ich es damals nicht gemacht?“Beim Parteivorsitz habe sie sich sofort gesagt: „Ich will.“Bei der Kanzlerkandidatur habe sie für sich aber „am Ende entschieden, ich will es nicht zu 110 Prozent“, für das Kanzleramt würden 99 Prozent jedoch nicht reichen. Vielleicht ist das typisch Frau, dieses Mit-sichselbst-Ringen. Vielleicht ist es aber auch der mutigere Weg, sich selbst einzugestehen, dass es eher die Erwartungen der anderen sind, die sie zu erfüllen suchte.
Eine Merkel 2.0 sollte die 58-Jährige werden. Unverhohlen jubelte die Kanzlerin beim Parteitag auf der Bühne, als endlich feststand, dass AKK ihre Nachfolge antreten sollte – und nicht etwa Merz, der all ihr Handeln infrage stellte. Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer gelten als eingespieltes Team, die beiden Frauen verbindet ein enges und gutes Verhältnis. Es war sicher auch der Wunsch der damals aus dem Parteivorsitz gedrängten Merkel, dass ihr Erbe weitergeführt werden sollte, dass der Bruch nicht zu hart würde. Für die einen stand die Saarländerin damit für eine
Hoffnung auf Beständigkeit. Andere sahen in ihrer Wahl eine Fortsetzung der in ihren Augen bleiernen Merkel-Jahre. Doch auch wenn sie sich inhaltlich in vielen Punkten einig sind – AKK ist nicht Merkel.
Während die Kanzlerin auch nach 18 Jahren an der Spitze ihrer Partei die Tür zu ihrem Innersten noch nicht einmal einen Spaltbreit öffnet und das Spiel mit der Macht perfekt beherrscht, macht Kramp-Karrenbauer keinen Hehl aus ihren Zweifeln. „Ich wünschte mir, ich selbst hätte weniger Fehler gemacht“, sagte sie jüngst in einem Interview. „Insofern habe ich meinen eigenen Anteil daran, dass die Zeit als Vorsitzende nun früher endet als gedacht.“Aber aus Fehlern lerne man. Was genau sie damit meint, lässt sie offen.
Warum sie überhaupt gestürzt ist, dürfte nicht wenigen Menschen inzwischen kaum mehr einfallen. Zu viel ist geschehen in den vergangenen Monaten, zu wenig ist AKK in Erscheinung getreten. Die Aufregung von damals ist längst anderen
Themen gewichen. Ein politischer Skandal war es, als sich der Thüringer FDP-Politiker Thomas Kemmerich im Herbst 2020 auch mit den Stimmen von CDU und AfD zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten wählen ließ. Kramp-Karrenbauer konnte sich nicht gegen den eigenen Landesverband durchsetzen, der auf einmal in die Nähe der AfD gerückt war. „Dies ist kein guter Tag für Thüringen, dies ist kein guter Tag für das politische System in Deutschland“, sagte Kramp-Karrenbauer damals. Am Ende musste Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Machtwort sprechen und führte damit ihre Nachfolgerin vor. Am 10. Februar erklärte sie nach nur 14 Monaten im Amt ihren Rückzug. Seither lähmen die ungelöste Führungsfrage und der Machtkampf die Partei immer wieder. Auch, weil keiner der potenziellen Nachfolger die CDU so wirklich mitreißen kann. Selbst unmittelbar vor der Entscheidung, scheint der Ausgang der Abstimmung weitgehend offen. So wenig Begeisterung können die