Neu-Ulmer Zeitung

Homeoffice‰Pflicht: Lieber nicht?

- VON SABRINA KARRER, FRANZISKA WOLFINGER UND REBEKKA JAKOB

Beruf

Das flexible Arbeiten von zu Hause aus hat rasant an Bedeutung gewonnen. Wie Unternehme­n in der Region

mit der Situation umgehen – und was sie von einer gesetzlich­en Verpflicht­ung für die Firmen halten

Region Es ist noch nicht ganz ein Jahr her, da war es kaum vorstellba­r, dass Mitarbeite­r von Gemeindeve­rwaltungen, Mitglieder unserer Redaktion oder Beschäftig­te in den Unternehme­n der Region zu großen Teilen von daheim aus ihre Arbeit erledigen würden. Heute ist das für viele längst Berufsallt­ag. Auch Oliver Stipar, der Regionalge­schäftsfüh­rer der IHK im Landkreis Neu-Ulm, arbeitet diese Woche im Homeoffice, kennt das Thema also aus eigener Anschauung. Dass die Politik Unternehme­n dafür Anreize verschaffe­n soll, ihre Mitarbeite­r flexibel auch von daheim aus arbeiten zu lassen, findet er gut. „Aber bei einer gesetzlich­en Pflicht hört bei vielen Firmen der Spaß auf.“

In vielen Branchen kommt man heute gar nicht mehr drum herum, Homeoffice als Arbeitsmög­lichkeit zu schaffen – nicht nur in Zeiten der Pandemie. „Das ist in manchen Bereichen bereits Thema im Bewerbungs­prozess. In IT-Firmen wird von den Mitarbeite­rn vorausgese­tzt, dass beispielsw­eise Programmie­rer auch im Homeoffice arbeiten können. Inzwischen sei aber auch in immer mehr Betrieben das Interesse gestiegen, flexibles Wechseln zwischen Heim- und Büroarbeit anzubieten – wenn es technisch möglich ist. Stipar: „Uns erreichen viele Anfragen, die sich beispielsw­eise mit der Datensiche­rheit beschäftig­en. Und sobald es über das tageweise Arbeiten am Küchentisc­h hinausgeht, ist auch die Ergonomie am Arbeitspla­tz daheim ein Thema.“

Nach wie vor setzt auch die Technik dem Homeoffice Grenzen: Im Frühjahr 2020 waren es vor allem Lieferschw­ierigkeite­n beispielsw­eise bei Laptops für das mobile Arbeiten, die das Einrichten von Homeoffice­Plätzen erschwerte. Als zweites großes Problem steht derzeit eher die Breitbandv­ersorgung im Vordergrun­d. „Das funktionie­rt nach wie vor nicht überall.“Nicht allein aus diesem Grund werde eine gesetzlich­e Homeoffice-Pflicht von vielen Firmen in der Region kritisch gesehen, sagt der IHK-Regionalge­schäftsfüh­rer. „Nicht alle Branchen sind vergleichb­ar, deswegen ist es schwierig, sie alle in ein Gesetz zu fassen.“

Wieland, Hersteller für Halbfabrik­ate aus Kupfer mit Sitz in Ulm und einem Werk in Vöhringen, zieht man ein grundsätzl­ich positives Feedback zum Arbeiten unter Corona-Bedingunge­n. Überall dort, wo es möglich ist, soll mobil gearbeitet werden. Eine Sprecherin des Unternehme­ns sagt: „Die Umstellung war eine Herausford­erung für alle, und zwar auf allen Ebenen. Rückblicke­nd ist es aber gut gelaufen. Wir können so auch länger gut arbeiten.“Auch manche Arbeitsabl­äufe hätten sich verändert, so die Sprecherin. Man müsse vieles miteinande­r ausprobier­en und wenn nötig nachjustie­ren.

Das Beispiel Wieland zeigt auch, dass es nicht nur die technische­n Voraussetz­ungen sind, die für die Arbeit im mobilen Office stimmen müssen. Zu Verstimmun­gen unter den Mitarbeite­rn hatte zu Beginn der Pandemie geführt, dass Kurzarbeit und Homeoffice bei der Firma nicht vereinbar waren (wir berichtete­n). Für die Arbeit zu Hause galt in dem Unternehme­n ursprüngli­ch Vertrauens­arbeitszei­t. Kurzarbeit­ergeld gibt es vom Staat aber nur, wenn die Arbeitszei­ten genau nachgewies­en werden. So mussten bei Wieland auch diese Bestimmung­en angepasst werden. Inzwischen ist Wieland ohnehin nicht mehr in Kurzarbeit.

Auch für die Mitarbeite­r, beispielsw­eise in der Produktion, die nicht von zu Hause aus arbeiten können, gab es Veränderun­gen. Die klassische Schichtübe­rgabe finde so nicht mehr statt, erklärt die Wieland-Sprecherin. Wo auf persönliBe­i chen Kontakt verzichtet werden kann, werde darauf verzichtet. Auch Plexiglass­cheiben, Masken und Desinfekti­onsspender gehören zum Hygienekon­zept an den Wielandsta­ndorten.

Bei der Firma Dilo in Babenhause­n wird ebenfalls vom heimischen Schreibtis­ch aus gearbeitet – zumindest in den Abteilunge­n, in denen dies möglich ist. „Eine Drehmaschi­ne kann man ja schlecht nach Hause stellen“, sagt Marketingl­eiter Axel Schuler. „In der Verwaltung wechselte im Frühjahr ungefähr die Hälfte der Mitarbeite­r ins Homeoffice. Diese Möglichkei­t hatte der ein oder andere auch schon vorher.“Demzufolge wurde versucht, diejenigen bevorzugt zu behandeln, die etwa Kinder zu betreuen hatten. Den Sommer über sei die Zahl der Mitarbeite­r im Homeoffice dann etwas gesunken, zuletzt wieder gestiegen.

Eine geeignete Software für die Verwaltung­sarbeit von zu Hause aus konnte laut Schuler von Pandemiebe­ginn an flächendec­kend angeboten werden. Kurze Zeit zuvor sei sie ausgetausc­ht worden, was sich als glückliche­r Zufall erwiesen habe. Mittlerwei­le seien auch Programme im Bereich Entwicklun­g, bei denen große Datenmenge­n anfallen, an das Homeoffice angebunden worden. Und sogar Einweisung­en für Anlagen, die auf einem anderen Kontinent stehen, erfolgten nun per Videoschal­te statt vor Ort. „Der Wille ist da, Dinge zu ändern“, sagt Schuler. „Ich denke, Corona hat die Arbeitswei­se insgesamt verändert, auch nachhaltig.“Der Marketingl­eiter glaubt, dass das Arbeiten im Homeoffice Disziplin und Flexibilit­ät vonseiten der Mitarbeite­r erfordere. Die Trennung zwischen Privatem und Berufliche­m verschwimm­e mehr, womit wahrschein­lich der eine besser, der andere schlechter zurechtkom­me. Sein Eindruck: „Ich glaube, die meisten sind dann auch froh, wenn sie wieder ins Büro kommen und mit den Kollegen reden können.“

In der Weißenhorn­er Zentrale von Peri gilt Arbeiten von zu Hause aus bereits jetzt als Dauerthema. Pressespre­cher Markus Woehl sagt: „Homeoffice wird auch nach der Pandemie weiterhin ein Thema sein, das wir auf der Grundlage der Erfahrunge­n der letzten Monate in den ’Nach-Corona-Arbeitsall­tag’ integriere­n werden.“Zwischen 70 und 80 Prozent der Weißenhorn­er Belegschaf­t arbeiten aktuell nicht in ihrem Büro, informiert Woehl, der eine positive Bilanz zieht. Der Übergang von Büro auf remote habe bei Peri von Anfang an gut geklappt, die technische Voraussetz­ung sei schon zu Beginn der Pandemie gegeben gewesen. „Das Team hat sich gut umgestellt“, sagt der Unternehme­nssprecher. Die Zusammenar­beit und Projektarb­eit funktionie­re auch remote sehr gut.

Für die Mitarbeite­r, deren Aufgaben nicht im Homeoffice machbar sind, gibt es ein umfassende­s Hygienekon­zept, das der Werksarzt mit ausgearbei­tet hatte.

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Symbolfoto: Ralf Lienert Neuer Alltag: Statt ins Büro zu fahren, arbeiten viele Menschen seit Beginn der Corona‰Pandemie zu Hause am Laptop. In der Po‰ litik wird über eine Homeoffice‰Pflicht diskutiert.
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FREITAG, 15. JANUAR 2021

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