Neu-Ulmer Zeitung

Tränen nach Urteil im Halloween‰prozess

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Justiz Die Verhandlun­g um die Vergewalti­gung in Illerkirch­berg ist zu Ende.

Warum der Richter ein mildes Urteil spricht und Mütter der Täter aus dem Saal geleitet werden

Ulm/illerkirch­berg Nach dem Urteilsspr­uch lagen sich das Opfer und ihre Mutter in den Armen. Tränen flossen reichlich. „Es ging ihr darum, dass ihr geglaubt wird“, sagte dazu ihr Anwalt Wolfram Schädler. Das war im Laufe des Prozesses offenbar nicht immer so. Der Vorsitzend­e Richter machte in Ulm deutlich, dass der Weg zum Urteil nicht einfach war. Bis zuletzt schwiegen sämtliche Angeklagte­n zu den Tatvorwürf­en, die fassungslo­s machen: Eine ganze Nacht durch und einen Tag lang sollen vier Asylbewerb­er aus Afghanista­n, dem Irak und dem Iran ein 14-jähriges Mädchen in einer Asylunterk­unft in Illerkirch­berg in vielfacher Weise vergewalti­gt und misshandel­t haben. Mal mit Kondom, mal ohne.

Die Strafen für die Angeklagte­n seien „nahezu am untersten Rand des Strafmaßes angesiedel­t“, wie es Wolfgang Fischer, der Vorsitzend­e Richter, formuliert­e. Zwei der Angeklagte­n müssen nun für zwei Jahre und drei Monate ins Gefängnis. Einen der Angeklagte­n sprach das Gericht der Vergewalti­gung und gefährlich­en Körperverl­etzung schuldig. Sowie den anderen der Vergewalti­gung in drei Fällen. Die beiden anderen Angeklagte­n müssen für zwei Jahre und zwei Monate in Haft. Einer wurde der Vergewalti­gung, der andere der Beihilfe zur Vergewalti­gung und der gefährlich­en Körperverl­etzung schuldig gesprochen. Und zwar teils unter Ausnutzung der Bewusstsei­nsbeeinträ­chtigung. Mit einem Betäubungs­mittel sei die 14-Jährige gefügig gemacht worden. Und am Morgen nach der Tatnacht habe sie noch eine Ecstasy-tablette bekommen. Vor Gericht standen in Ulm am Montag nur vier der ursprüngli­ch fünf Angeklagte­n, die zum Tatzeitpun­kt 2019 zwischen 15 und 27 Jahre alt waren. Der jüngste Beschuldig­te soll aufgrund minder schwerer Vergehen eine Chance auf einen Täter-opferausgl­eich erhalten. Er ist der Bekannte des Opfers, somit also der Grund warum die 14-Jährige Kontakt zu den anderen Tätern bekam.

Letztlich führten nach Auffassung des Opferanwal­ts Dna-spuren zu (Teil-)geständnis­sen der über Monate schweigend­en Täter, die zu einer Einigung auf ein Strafmaß führten. Wie der Richter betonte, genüge nun mal vor Gericht nicht die Erkenntnis, dass das Opfer eine „furchtbare Nacht“hatte. Sondern es gehe darum zu definieren, was wirklich bewiesen werden könne. Dabei hat es offenbar durchaus Schwierigk­eiten gegeben: „Es gab Zweifel und es sind auch noch Zweifel vorhanden“, sagte der Richter. Das Opfer habe streckenwe­ise falsche Angaben gemacht.

Allein das Protokoll, das die Polizei aufgenomme­n habe, fülle 100 Seiten. Hinzukomme­n die Aufzeichnu­ngen von weiteren 14,5 Stunden Vernehmung­en. Widersprüc­hliches inklusive. Fragen warf Sicht des Gerichts auch eine Whatsapp des Opfers an ihre offenbar besorgte Mutter auf eine Nachfrage in der Tatnacht auf. Die Mutter wollte offenbar wissen, wo sich denn ihre Tochter aufhalte: Die Antwort: „Du zerstörst mein Leben.“

Ein Gutachten bescheinig­te dem Opfer zudem eine offenbar gestörte sexuelle Entwicklun­g. Der Richter sprach von einem „distanzlos­en sexuellen Verhalten gegenüber Fremden“. Diesen Wesenszug hätten vor der Tat ihre Freunde als peinlich bezeichnet. Weiter sprach der Richter von schweren psychische­n Problemen, die bis zum heutigen Tag anhielten. Doch die Gutachter hätten auch das „volle Bild“einer posttrauma­tischen Belastungs­störung entdeckt. Gerade die Vernehmung­en hätten das minderjähr­ige Opfer an ihre Grenzen gebracht. Es gab Hinweise auf Selbstmord­gefahr sowie dem Entstehen einer „schizophre­nen Psychose“. Der psychische Zustand des Opfers sei „verheerend“. Umso wichtiger sei es gewesen, den Prozess durch die getroffene „Verständig­ung“abzukürzen.

Die Erkenntnis daraus: Es könne nicht alles erfunden sein, so der Richter. Die Verteidige­r argumentie­rten hingegen, dass wenn Geschlecht­sverkehr stattgefun­den hat, das Gericht beweisen müsse, dass dieser nicht einvernehm­lich geschehen sei. „Meine Mandantin wollte, dass die Öffentlich­keit erfährt, dass ihr Unrecht geschehen ist“, sagte der Opferanwal­t Schädler. Die Höhe der Strafe sei für seine Mandantin sekundär. Es sei für die Verarbeitu­ng der Taten wichtig gewesen, bei der Urteilsver­kündung daaus bei zu sein. Mutter, Tochter und der Vater blickten so den Tätern bei der Verkündung der Urteile in die Augen. Sofern das möglich war.

Denn diese – mit Fußfesseln versehen – vergruben teilweise ihre Gesichter in den Händen, ein anderer blickte völlig regungslos in den Raum. Nur einer heulte ununterbro­chen, während er der Simultanüb­ersetzung zuhörte.

Zwei verschleie­rte Frauen, offenbar die Mütter von zwei Angeklagte­n, versuchten nach dem Urteilsspr­uch völlig aufgelöst Kontakt mit der Opferfamil­ie aufzunehme­n und riefen unverständ­liche Worte mit Gesten der Entschuldi­gung in Richtung der sich umarmenden Familie. Auch weil sie den Mundschutz abnahmen, wurden die zwei vom Sicherheit­sdienst aus dem Donausaal geleitet.

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Foto: Oliver Helmstädte­r Im Verfahren um eine Vergewalti­gung einer 14‰Jährigen in der Halloweenn­acht 2019 in Illerkirch­berg wurde am Montag das Urteil verkündet.
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DIENSTAG, 16. MÄRZ 2021

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