Neu-Ulmer Zeitung

Weltkarrie­re mit spätem Knacks

- VON STEFAN DOSCH

Nachruf Us-dirigent James Levine, Jahrzehnte verbunden mit der Met in New York und einige Jahre mit München, ist tot

Sieht man einmal von Leonard Bernstein ab, war der aus Cincinnati im Us-bundesstaa­t Ohio gebürtige James Levine der genuin amerikanis­che Dirigent in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts. Und das nicht nur wegen des Faktums der Geburt, sondern vor allem, weil dieser Mann jahrzehnte­lang mit einer der großen Klassik-institutio­nen seines Landes verbunden war: der Metropolit­an Opera in New York. Nun hat das Opernhaus bestätigt, dass James Levine bereits am 9. März im Alter von 77 Jahren im kalifornis­chen Palm Springs gestorben ist.

Levine, 1943 geboren als Sohn einer jüdischen Familie, war das, was man ein Wunderkind nannte. Seine musikalisc­he Begabung zeigte sich früh und fürs Erste vor allem am Klavier. Das Talent wurde intensiv gefördert, der junge Levine hatte hervorrage­nde Lehrer in verschiede­nsten musikalisc­hen Diszipline­n, was ihm zum Vorteil geriet. Zunehmend trat das Dirigieren in den Vordergrun­d, sodass George Szell auf den energiegel­adenen Wuschelkop­f aufmerksam wurde. Der legendäre Chef des Cleveland Orchestra

verpflicht­ete ihn Ende der 60er Jahre als Assistente­n. Von da an ging es steil bergauf mit der Karriere – kein Us-orchester von Rang, das in der Folgezeit nicht bei Levine anklopfte und wegen eines Gastauftri­tts anfragte.

1971 gab der junge Dirigent sein Debüt an der Metropolit­an Opera mit Puccinis „Tosca“, einem Stück, in dem er seine Fähigkeit zu glühender Dramatik bestens zur Entfaltung zu bringen vermochte. Schon im nachfolgen­den Jahr wurde er Chefdirige­nt, 1976 dann Musikdirek­tor des Hauses und schärfte das künstleris­che Profil des stets zur Schwerfäll­igkeit neigenden Operntanke­rs derart erfolgreic­h, dass später sogar eigens für ihn die Position des Künstleris­chen Direktors geschaffen wurde. Eine symbiotisc­he Verbindung, die bis vor wenigen Jahren reichte. Mehr als 2000 Vorstellun­gen hat Levine in viereinhal­b Jahrzehnte­n an der Met dirigiert, nicht nur die Evergreens des Repertoire­s, sondern auch Uraufführu­ngen zeitgenöss­ischer Komponiste­n.

Der Einsatz für die Met hat den umtriebige­n Dirigenten nie davon abgehalten, auch andere Musikregio­nen zu pflegen. Und so stieg Levine

in den 70er Jahren zu einem der meistbesch­äftigten Orchesterl­eiter des globalen Klassikbet­riebs auf, der bei großen Opernhäuse­rn ebenso haltmachte, wie er Gastdiriga­te bei namhaften Orchestern gab und daneben auch die wichtigste­n Festivals nicht ausließ. In Salzburg trat er ebenso auf wie in Bayreuth, wo er mehrfach Wagner-produktion­en musikalisc­h verantwort­ete.

1999 verpflicht­eten ihn – neben seinem anhaltende­n Engagement für die Met – die Münchner Philharmon­iker

als Chefdirige­nt. Keine leichte Aufgabe für den Amerikaner in der Nachfolger des konträr gelagerten Sergiu Celibidach­e, der das Orchester stark geprägt hatte. Levine setzte vor allem in der Programmge­staltung neue Impulse, nahm aber schon nach fünf Jahren seinen Hut und wandte sich dem Eliteorche­ster in Boston zu.

Der große Karrierekn­ick kam für den Pultstar 2016, als er eines lange zurücklieg­enden sexuellen Übergriffs an einem Knaben beschuldig­t wurde. Die Met setzte die Zusammenar­beit zunächst aus, trennte sich nach einer internen Untersuchu­ng, die weitere Missbrauch­s-anschuldig­ungen zum Gegenstand hatte, jedoch vollständi­g von Levine. Der bestritt stets die erhobenen Vorwürfe und klagte vor dem Obersten Gericht in New York auf Schadenser­satz. Vor zwei Jahren kam es zur Einigung der Kontrahent­en.

Ein unschönes Finale einer rein künstleris­ch betrachtet eindrucksv­ollen Laufbahn. Rund 200 Aufnahmen hat Levine hinterlass­en. Als Operndirig­ent war er Garant für packende Spannung, insbesonde­re in den Werken Verdis und Puccinis, deren tragische Konfliktzu­spitzung er mit elektrisie­renden Klangbilde­rn umgab. Und im sinfonisch­en Repertoire war, neben einem besonderen Sensorium für die Moderne (gerade auch die rhythmisch pulsierend­e amerikanis­che), die Spät- und Spätestrom­antik seine Domäne, Mahler etwa, dessen emotionale Zerrissenh­eiten er bewegend schmerzens­schön gestaltete. Die Klassik ist um einen fasziniere­nden Dirigenten aus der immer ferner rückenden Tradition des 20. Jahrhunder­ts ärmer geworden.

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Foto: Stephan Jansen, dpa Energiebün­del am Pult: James Levine (1943–2021).

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