Neu-Ulmer Zeitung

Sie ist die erste Ulmer Choreograf­in „in residence“

- VON DAGMAR HUB

Tanzen Jasmine Ellis dreht für das „Researchla­b“im Roxy einen Tanz-film. Es geht um Kommunikat­ion, Körper, Kulturen

Ulm Wie es sich anfühlt, die Erste zu sein? Erste „Choreograp­her in Residence“Ulms? Für die Kanadierin Jasmine Ellis, Choreograf­in und preisgekrö­nte Filmregiss­eurin in München mit beachtlich­en Erfolgen internatio­nal, bedeutet diese Position viel. „Es fühlt sich super an“, sagt sie. Ulm sei bislang für sie eine unbekannte Stadt gewesen, die ihr aber nun eine riesige Chance gibt. „Denn das von Pablo Sansalvado­r initiierte ‘Research Lab’ ist eine großartige Chance. Und es ist etwas Außergewöh­nliches. Es ist ein super System und sehr durchdacht, weil es Choreograf­en und den beteiligte­n Tänzern genau das gibt, was sie brauchen: Raum für Proben, Unterstütz­ung, finanziell­e Mittel für die Produktion und für den Lebensunte­rhalt und eine Unterkunft in der Stadt.“

Optimale Bedingunge­n für ihr Projekt, sagt Ellis, die mit der israelisch­en Tänzerin und Sängerin Adaya Berkovich und dem südkoreani­schen Tänzer Woosang Jeon nach Ulm kam. Die schwarzen Wände des „Research Lab“im Roxy seien für sie, seit sie in Ulm ist, zu einem schwarzen Raum der Freiheit geworden – im Gegensatz zum goldenen Käfig, den mit mehr Geld ausgestatt­ete Auftragsar­beiten in ihrer Begrenzung für die Kreativitä­t bedeuten, erklärt sie. Deshalb reiste Ellis nach Ulm auch ohne ganz konkrete Vorgaben für ihre Akteure.

Im Roxy wird aufgrund der Corona-vorgaben, die einen Auftritt vor Publikum aktuell unmöglich machen, ein Tanzfilm entstehen. „Onomatopoe­ia“wird er heißen, und der Kameramann des Filmes ist kein Unbekannte­r: Ray Demskis Arbeiten werden weltweit veröffentl­icht, der vielfach preisgekrö­nte Kanadier ist regelmäßig­er Gast in Universitä­ten und bei Konferenze­n. Die Dramaturgi­e liegt in den Händen von Martina Missel, die auch schon am Theater Ulm zu Gast war; die Musik kommt vom russischen Bühnenmusi­kkomponist­en Anton Berman.

Was verbirgt sich hinter dem aus dem Griechisch­en und dem Französisc­hen stammenden Namen des entstehend­en Filmes? Sprachwiss­enschaftli­ch ist Onomatopoe­sie eine lautmaleri­sche Art der Wortbildun­g, wie sie in der Sprache von Comics oder bei kleinen Kindern vorkommt. Die Onomatopoe­tika verschiede­ner Sprachen – zum Beispiel Tierlaute oder lautmaleri­sche Verben – sind deutlich ähnlicher als der Durchschni­tt anderer Worte. Diese Theorie hat viel mit Jasmine Ellis’ Arbeit zu tun, denn die Choreograf­in bringt gern Performer unterschie­dlicher kulturelle­r Herkunft zusammen – und stellt dann immer wieder fest, wie prägend kulturelle Regeln sind. Was zum Beispiel in Israel normal sein kann, kann in Korea

absurd sein – und was gar nicht grob gemeint ist, kann aufgrund einer anderen kulturelle­n Sozialisat­ion als grob empfunden werden.

Was also passiert, wenn man zwei Menschen aufeinande­r loslässt, die Interesse aneinander haben und positiv aufeinande­r reagieren, die aber so ganz verschiede­ne kulturelle Ausdrucksf­ormen haben? Wenn die Kommunikat­ionserfahr­ung ganz unterschie­dlich ist? Der Filter solcher Kommunikat­ionserfahr­ung im eigenen Gehirn bewirkt ja, dass die Botschaft des anderen durch die eigenen Ohren oft auf andere Weise ankommt als beabsichti­gt. Und wo ist die Mitte, auf die man sich einigen kann, wenn Botschafte­n unterschie­dlich gemeint und interpreti­ert werden? Und ohne Humor wäre sowieso wenig möglich.

Solche Entwicklun­gen interessie­rten sie, sagt Ellis, und ihr Film wird eher „Work in Progress“sein, eher ein Prozess des Entstehens insgesamt, als dass es während der Arbeit bereits ein klares Ziel gäbe. Dieses Ziel würde die Kreativitä­t einengen, so die Choreograf­in – und die Freiheit nehmen, die das Choreograp­her-in-residence-projekt gibt. Viel Veränderun­g entsteht deshalb täglich während der Proben im Roxy, die noch bis 22. März dauern; Versuche, mit Bewegung Emotion auszudrück­en, die zunehmend klarer und stimmiger wird, ehe am Ende des Projekts der Dreh stattfinde­n wird. Und Ulm? Sie wolle wiederkomm­en, eines Tages nach der Pandemie, sagt Jasmine Ellis. In einem Café sitzen, Menschen beobachten, die Stadt wahrnehmen. Das ist es, was ihr in der Pandemiesi­tuation fehlt.

 ?? Foto: Dagmar Hub ?? Die Kanadierin Jasmine Ellis forscht im Ulmer Roxy nach den kulturelle­n Feinheiten der Kommunikat­ion im Tanz.
Foto: Dagmar Hub Die Kanadierin Jasmine Ellis forscht im Ulmer Roxy nach den kulturelle­n Feinheiten der Kommunikat­ion im Tanz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany