Zu früh gefreut
Corona Auf den 22. März hatten Gastronomen, Kinobetreiber, Kulturschaffende und Sportler im Landkreis Neu-ulm
hingearbeitet. Jetzt fallen die in Aussicht gestellten Lockerungen flach. Und der Ärger wächst
Landkreis Gastronomen, Kinobetreiber, Kulturschaffende und Sportler: Sie alle hatten mit Spannung auf den 22. März geblickt. Dann sollte es weitere Lockerungen für ihre Bereiche geben – vorausgesetzt, die Inzidenzwerte sind entsprechend niedrig. Dass der Kreis Neu-ulm seit Tagen deutlich unter 40 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner vorweisen kann, hatte die Vorfreude beflügelt. Doch die Ernüchterung kam am Donnerstag mit der Ankündigung aus München, dass ungeachtet des Inzidenzwerts bayernweit keine Lockerungen zu erwarten sind. Der Ärger ist groß.
Die ersten 30 Tische waren schon aufgestuhlt, auch eine neue Speisekarte haben sie sich im Neu-ulmer Brauereigasthaus Schlössle überlegt und Wirtin Christa Zoller hat alle Aushilfen angeschrieben: Trotzdem wird nichts aus der erhofften Öffnung. Schlössle-chefin Zoller gibt sich dennoch recht entspannt. Doch auch sie fragt sich, warum die Corona-maßnahmen immer die Gleichen treffen: „Warum trifft es immer die gleichen Branchen? Man könnte auch mal Fabriken oder Handwerksbetriebe für zwei Wochen zumachen, da gibt es auch Kontakte.“
Gewerkschaft NGG und der Hotelund Gaststättenverband Dehoga Bayern sehen die Lage im Gastgewerbe dramatisch. Infolge der massiven Verluste, der fehlenden Perspektiven und der nicht ausreichenden staatlichen Hilfen würden aktuell 68,9 Prozent der 40.000 gastgewerblichen Unternehmer in Bayern um ihre Existenz bangen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Verbände. Jedes vierte Unternehmen (23,9 Prozent) ziehe sogar eine Betriebsaufgabe in Erwägung.
Trotz der schwierigen Situation hat Schlössle-wirtin Zoller Verständnis für die Maßnahmen. Wenn es helfe, die Pandemie einzudämmen, müssten die Lokale eben weiter zubleiben. Dann müsse es aber auch Entschädigungen geben. „Die November- und Dezemberhilfen waren in Ordnung“, findet die Gastronomin. Alles andere sei nicht angemessen gewesen. Sie und ihr Mann hätten 70.000 Euro aus dem Privatvermögen in die Gaststätte gesteckt. Geld, das zur Alterssicherung gedacht gewesen sei. Dabei räumt Zoller offen ein, dass andere noch viel härter betroffen sind: Das Schlössle macht den wesentlichen Teil des Umsatzes mit dem Biergartenbetrieb im Sommer. Sie hofft auf Öffnungen Anfang oder Mitte Mai.
Die Wirtin erhofft sich außerdem mehr Fantasie bei den Corona-maßnahmen. Und sie fordert eine vernünftige Strategie: „Wenn wir unseren Betrieb so führen würden wie die Politik plant ...“, sagt die
Schlössle-wirtin und spricht den Satz nicht zu Ende. Ein Vorlauf von zwei Wochen habe mit Weitblick nichts zu tun. Zoller erinnert auch daran, dass selbst Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD) Bewirtung im Freien als vertretbar bezeichnet hatte. Unter den Wirten in Neu-ulm jedenfalls steige der Unmut: „Manche wollen auf die Barrikaden gehen“, berichtet Zoller.
Auch Melanie Börsing traf die Nachricht, dass die Lockerungen nicht kommen, wie eine Keule. „Eigentlich wollte ich am 7. April wieder mit der Außengastronomie bei uns im Mariele in Au starten. Und jetzt das.“Glücklicherweise habe sie von Anfang an nicht damit gerechnet, schon Ende März zu öffnen. „Sonst säße ich jetzt da mit der bestellten verderblichen Ware und hätte meine Mitarbeiter umsonst wieder zurückgeholt.“Börsing macht sich aber auch Gedanken um ihre Kunden. Gerade für Alleinstehende sei der Besuch im Lokal oft die einzige Möglichkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. „Ich kann es auch nicht nachvollziehen, dass man den Leuten nicht die Möglichkeit geben will, sich gesetzlich konform und unter Einhaltung von Hygienekonzepten zu treffen. Das treibt die Leute doch nur zu illegalen Treffen im privaten Bereich.“Die Wirtin des Mariele macht deutlich: „Ich freue mich über jeden, der aufmachen darf.“Dass die Regelungen aber so undurchsichtig und teilweise widersprüchlich sind, ärgert Melanie Börsing. Selbst kreative Ideen, die mit aller Vorsicht geplant wurden, könnten nicht umgesetzt werden. Sie nennt als Beispiel das Wohnmobil-dinner, das Illertisser Gastronomen mit einem Autohaus gestartet hatten. „Das Interesse war riesig, wir haben uns so darüber gefreut. Doch dann kam der Anruf vom Landratsamt, dass wir das nicht dürfen.“Die Vermietung eines Wohnmobils zu diesem Zweck sei als Veranstaltung zu werten, hieß es. Und die seien derzeit nicht erlaubt.
Ausgebremst wurden durch die Entscheidung auch die Kinobetreiber. „Seit Anfang der Woche haben wir mit so einer politischen Entscheidung fast schon gerechnet, die Zeichen standen schon so“, sagt Roman Sailer. Er betreibt die kleinen Altstadtkinos von Ulm und auch das
Neu-ulmer Dietrich Theater, das große Multiplex-kino. Wie hätten seine Filmtheater öffnen können? Bei Inzidenzen über 50 müssten Kinobesucher, wie auch in Theatern, ein negatives Coronatest-ergebnis vorweisen. „Das hat uns zuletzt tatsächlich Kopfzerbrechen bereitet“, sagt Sailer. Eine Lösung wäre, vor dem Eingang zum Kino Tests anzubieten. Doch für 2000 Kinogänger am Tag 2000 Schnelltests bereithalten – das würde die Betreiber vor eine riesige logistische Herausforderung stellen, sagt Sailer. Er will die Zeit der Schließung weiter nutzen, um an Lösungen zu arbeiten. „Wir fordern von der Politik schon länger einen einheitlichen, bundesweiten Öffnungstermin für Kinos“, sagt Sailer. Ein Flickenteppich an Öffnungsterminen, von Bundesland zu Bundesland, wäre aus seiner Sicht deshalb nicht sinnvoll.
Auch Sportvereine wie der Sportclub Vöhringen haben umsonst auf den Montag hingearbeitet. Denn mit „einfach wieder die Turnhalle aufsperren“ist es in Pandemiezeiten nicht getan. Dominik Bamboschek, Geschäftsführer des größten Sportvereins im Kreis Neu-ulm, hatte unter anderem einen Konzeptvorschlag ausgearbeitet, der Coronaselbsttests vor den Sporteinheiten vorsieht. Ein aktuelles Hygienekonzept habe das Gesundheitsministerium bisher nicht vorgelegt. „Wir haben vergangene Woche täglich auf die Aktualisierung gewartet.“Bislang kam diese aber nicht.
Besonders bitter für den Verein ist die Schließung des Fitnessstudios, das kurz vor Pandemiebeginn erneuert wurde. Hier fehlen vor allem auch Einnahmen, denn die Beiträge für die Nutzung des Studios erhebt der Verein derzeit nicht. Auch auf die Mitgliederzahl habe sich die Pandemie negativ ausgewirkt, so Geschäftsführer Bamboschek. Das Problem: Es gebe schlicht kaum Eintritte. Bamboschek hofft, das nach der Pandemie wieder aufholen zu können und insbesondere wieder viele Kinder und Jugendliche von Sport und dem SCV zu überzeugen. Vorerst kann nur kontaktfreier Außensport in Gruppen bis zu zehn Personen stattfinden, bei Kindern unter 14 Jahren dürfen es maximal 20 Personen sein. Gleichzeitig erhält der Verein sein Online-ersatz-angebot aufrecht.