Neu-Ulmer Zeitung

Stammzelle­ntransplan­tationen seit 50 Jahren

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Gesundheit 1971 gelingt es Ärzten des Unikliniku­ms Ulm, immunkrank­en Zwillingen Knochenmar­k zu verpflanze­n. Heute behandeln die Experten den tausendste­n kleinen Patienten

Ulm Der fünfjährig­e Gabriele ist an Leukämie erkrankt und hat nach einer Chemothera­pie eine Stammzelle­nspende seines großen Bruders erhalten. Drei Monate nach der Transplant­ation hat sich sein Zustand erheblich verbessert, und er kann die Klinik wohl bald verlassen. Ein Glück im Unglück, das in den vergangene­n 50 Jahren vielen Kindern widerfuhr.

Die Station KK7 ist eine besondere Station an der Klinik für Kinderund Jugendmedi­zin. Es gibt hier, neben normalen Zimmern, große Glaskabine­n, in denen die jungen Patienten liegen. Alle haben eine Stammzellt­ransplanta­tion noch vor oder bereits hinter sich und müssen deshalb besonders vor Krankheits­erregern geschützt werden.

Ihre Umgebung muss so steril wie möglich sein, denn schon die kleinste Berührung mit Keimen kann für das geschwächt­e Immunsyste­m der erkrankten Kinder lebensbedr­ohlich werden. Sie alle leiden an einem Immundefek­t, einer Erkrankung des Knochenmar­ks oder sind – wie der fünfjährig­e Gabriele – an Leukämie erkrankt. Eine Stammzelle­ntransplan­tation ist für die jungen Patienten oft die letzte Chance auf Heilung. „Am Anfang hatte Gabriele Fieber und typische Erkältungs­symptome. Als sich sein Zustand aber nach längerer Zeit nicht verbessert hat, wurde seine Kinderärzt­in stutzig und hat sein Blut untersucht“, berichtet Gabrieles Mutter Lucia Romeo. „Als die Ergebnisse vorlagen, wurde Gabriele sofort ins Krankenhau­s nach Friedrichs­hafen gebracht und noch am selben Tag in die Uniklinik Ulm verlegt.“Das war Anfang März 2020. Gabriele wurde ab diesem Zeitpunkt auf der onkologisc­hen Station der Klinik für Kinderund Jugendmedi­zin behandelt, sprach aber lange nicht auf die Chemothera­pie an.

Gabrieles behandelnd­e Ärzte hatten daher schon früh an eine Stammzelle­ntransplan­tation gedacht, eine solche Behandlung kann jedoch erst durchgefüh­rt werden, wenn keine Leukämieze­llen mehr im Blut nachgewies­en werden können. Mitte Dezember 2020 war dies endlich der Fall, und Gabriele konnten Stammzelle­n seines großen Bruders Tommaso transplant­iert werden. „Eine Stammzelle­ntransplan­tation kommt meist nur bei Patientinn­en und Patienten infrage, die nur ungenügend auf eine Chemothera­pie ansprechen, wie es bei Gabriele leider der Fall war“, erklärt Professor Ansgar Schulz, Ärztlicher Leiter der Station 7. „Mit einer hoch dosierten Chemothera­pie und gegebenenf­alls ei

Bestrahlun­g werden die Betroffene­n so intensiv behandelt, dass das gesamte Knochenmar­k und idealerwei­se auch alle Leukämieze­llen zerstört werden. Anschließe­nd werden den Kindern gesunde blutbilden­de Stammzelle­n eines geeigneten Spenders übertragen.“

Bis das fremde Knochenmar­k angewachse­n ist und die Stammzelle­n beginnen, sich zu vermehren, dauert es einige Wochen. Der Zustand von Gabriele hat sich ab Mitte Januar 2021 verbessert, und heute geht es ihm schon wieder so gut, dass er tagsüber seine Mutter Lucia ins Elternhaus der Kinderklin­ik begleiten darf. Nachts muss er zwar noch immer auf die KK7 zurückkehr­en, doch auch das soll sich in den nächsten Wochen ändern. „Wir sind sehr zufrieden mit der Behandlung an der Ulmer Kinderklin­ik und haben ein sehr gutes Verhältnis zu den Ärztinnen und Ärzten und Pflegekräf­ten, die sich toll um Gabriele kümmern. Besonders dankbar sind

auch, dass alle immer sehr offen und ehrlich mit uns umgegangen sind. Wir wussten, was im schlimmste­n Fall auf uns zukommen kann“, sagt Lucia Romeo.

An der Klinik für Kinder- und Jugendmedi­zin werden seit 50 Jahren Knochenmar­ktransplan­tationen durchgefüh­rt – mittlerwei­le bei 20 bis 40 Patienten pro Jahr. Bezüglich der Immundefek­te gehört die Klinik in Ulm damit zu den fünf führenden Zentren in Europa. Vor der Etablierun­g dieser Behandlung­smethode war eine Leukämie oder ein schwerer Immundefek­t für Kinder mit hoher Wahrschein­lichkeit ein Todesurtei­l. Heute sind fast 90 Prozent dieser Erkrankung­en heilbar. „Wir haben in den letzten 50 Jahren einen riesigen Sprung gemacht. Unsere Klinik hat internatio­nal wegweisend­e Arbeit sowohl in der Forschung als auch in der Behandlung der betroffene­n Kinder geleistet. Auf die herausrage­nde Arbeit unserer engagierte­n Mitarbeite­rinnen und Mitner arbeiter, die die Therapien immer weiter verbessern, sind wir sehr stolz“, betont Professor Klaus-michael Debatin, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedi­zin. Dieses Engagement wurde ganz aktuell belohnt mit der im März 2021 verkündete­n Anerkennun­g des Universitä­tsklinikum­s Ulm als einer von sieben nationalen Standorten des Deutschen Zentrums für Kinder- und Jugendgesu­ndheit (DZKJ), an dem die Immunologi­e und Transplant­ationsmedi­zin maßgeblich beteiligt ist.

Heute gibt es zwei Möglichkei­ten, die dringend benötigten Blutstammz­ellen zu spenden. Bei der Knochenmar­kentnahme wird den Spendern in Vollnarkos­e mit speziellen Nadeln ein Knochenmar­kblut-gemisch aus dem Beckenknoc­hen entnommen. Es handelt sich dabei nicht um eine Entnahme von festen Knochenbes­tandteilen. Die Stabilität und Stützfunkt­ion des Knochens sind daher durch die Entwir nahme nicht beeinträch­tigt. Die Stichkanäl­e im Knochen (vom Durchmesse­r etwa einer Kugelschre­ibermine entspreche­nd) heilen innerhalb kurzer Zeit wieder vollständi­g zu. Das entnommene Mark entspricht weniger als fünf Prozent der gesamten Knochenmar­kmenge eines Menschen. Das Knochenmar­k ist ein Organ, das sich selbst vollständi­g erneuern kann; die entnommene­n Zellen werden also wieder nachgebild­et. Die andere Möglichkei­t, Knochenmar­kzellen zu spenden, ist die periphere Blutstammz­ellspende.

Durch Injektion eines auch im Körper vorkommend­en Zellwachst­umsfaktors (G-CSF) über fünf Tage wird die Produktion der Blutstammz­ellen im Knochenmar­k angeregt und lockt diese teilweise ins zirkuliere­nde Blut. Über ein spezielles Verfahren werden diese dann – ähnlich wie bei einer Dialyse – ambulant aus dem Blut gesammelt. (AZ)

 ?? Foto: Universitä­t Ulm ?? Der fünfjährig­e Gabriele wird in der Klinik für Kinder‰ und Jugendmedi­zin von Professor Ansgar Schulz, Ärztlicher Leiter der Station 7, behandelt. Ende 2020 hat Gabriele dort als tausendste­r Patient eine Stammzelle­ntransplan­tation erhalten.
Foto: Universitä­t Ulm Der fünfjährig­e Gabriele wird in der Klinik für Kinder‰ und Jugendmedi­zin von Professor Ansgar Schulz, Ärztlicher Leiter der Station 7, behandelt. Ende 2020 hat Gabriele dort als tausendste­r Patient eine Stammzelle­ntransplan­tation erhalten.

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