Neu-Ulmer Zeitung

Die guten Seiten des Verzichts

- VON SABRINA KARRER

Als meine Kollegen und ich im Februar in einer Telefonsch­altung überlegt haben, was am Aschermitt­woch in der Zeitung stehen soll, da kamen wir zwangsläuf­ig auf die Fastenzeit zu sprechen. Muss Fasten heuer überhaupt sein, wo man ohnehin schon auf so vieles verzichten muss? Sich dann auch noch das Stück Schokolade verbieten, das zumindest ein flüchtiges Glück ist? Ja, haben wir gesagt. Nicht, weil wir uns gerne quälen. Wir wollten uns bei all den Einschränk­ungen, die zur Zeit aufs Gemüt schlagen, auch einmal die guten Seiten des Verzichts ins Gedächtnis rufen.

Eines ist klar: Es ist ein himmelweit­er Unterschie­d, ob man verzichten will oder verzichten muss. Aber Parallelen gibt es doch. Der Verzicht lehrt, bewusster zu leben. Wer Süßigkeite­n 40 Tage lang verschmäht hat, beißt am Ostersonnt­ag umso genüsslich­er in den Schokohase­n. Mit den Corona-einschränk­ungen verhält es sich ähnlich. All die Alltäglich­keiten – sie sind durch die Pandemie besonders geworden. Wer hätte gedacht, dass es einmal geradezu zelebriert wird, einen Sack Blumenerde aus dem Baumarkt zu schleppen? Dass Friseurter­mine im Internet für Hunderte Euro ersteigert werden? Oder dass der Biergarten ums Eck zum Sehnsuchts­ort wird? Diese neue Wertschätz­ung von Dingen, die sonst als selbstvers­tändlich galten, ist eine gute Sache, die Bestand haben sollte.

Verzicht hat außerdem den Zweck, Gewohnheit­en und Routinen zu hinterfrag­en. Kommt man zu dem Schluss, dass sie sinnvoll sind, ist das eine schöne Bestätigun­g. Werden sie aber für schlecht befunden – warum daran festhalten? Ich habe in der Fastenzeit meinen Plastikver­brauch eingeschrä­nkt und will nach Ostermonta­g gewiss nicht wieder in alte Muster verfallen. Auch die Pandemie hat Routinen aufgebroch­en. Vieles wird schmerzlic­h vermisst, zum Beispiel der Mittwochst­ammtisch, das Fußballtra­ining oder, an diesem langen Wochenende, der traditione­lle Osterbrunc­h mit der ganzen Familie. Auch hier das Stichwort: Wertschätz­ung. Es gibt aber auch positive Veränderun­gen, die erst durch den Verzicht auf das Gewohnte zustande gekommen sind. In vielen Firmen war es zum Beispiel vor Corona nicht möglich, von Zuhause aus zu arbeiten. Nun hat sich gezeigt, dass das Homeoffice Vorteile hat, etwa für Pendler, die sich Zeit in Auto oder Bahn sparen.

40 Tage Fastenzeit sind am Sonntag vorüber – 40 Tage, in denen meine Kollegen und ich uns täglich Herausford­erungen gestellt haben. Wir sind stolz, durchgehal­ten zu haben. Wird sich so ein Gefühl auch einstellen, wenn wir irgendwann einmal auf die Pandemie zurückblic­ken?

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