Neu-Ulmer Zeitung

Ein Leben im Schatten der Krone

- VON KATRIN PRIBYL

Nachruf Laut Protokoll hatte er stets einen Schritt hinter seiner Ehefrau zu gehen. Prinz Philip nahm das fast sieben Jahrzehnte mal mehr, mal weniger klagend hin. Über ein langes Leben mit Königin Elizabeth II., seine deutschen Wurzeln und seinen sehr, sehr derben Humor

London Wahrschein­lich wäre ihm jetzt ein Scherz eingefalle­n – ein makabrer gewiss, gut möglich auch ein politisch unkorrekte­r. Solche Sprüche hatte er am liebsten. Wie würde Prinz Philip auf die stille Trauer reagieren, die sich nun über das Königreich gelegt hat? Dieser kantige, scharfsinn­ige Mann, der laut eigenen Worten „nach der Verfassung gar nicht existierte“?

Wahrschein­lich würde er sogar auf den eigenen Tod mit seinem äußerst trockenen Humor antworten. Und das britische Volk würde in seiner Bestürzung milde lächeln, wie es das zumeist getan hat, wenn es um den Royal ging.

Am Freitagmor­gen ist Prinz Philip, Herzog von Edinburgh, Graf von Merioneth und Baron Greenwich, im Alter von 99 Jahren gestorben. Jener Mann, der den überwältig­enden Großteil seines Lebens einen Schritt hinter Königin Elizabeth II. verbrachte, die durch ihre gekrönte Stellung und zumeist farbenfroh­e Kleiderwah­l im Rampenlich­t steht. Der Gatte der Queen wurde fast sieben Jahrzehnte lang fast ausschließ­lich eben genau als das wahrgenomm­en: als Ehemann von Königin Elizabeth II. So verlief sein Leben im Dienst der Krone und gleichwohl in deren Schatten.

Aber er, der trotz seiner späten Einbürgeru­ng als Sinnbild des englischen Gentleman aus der Oberschich­t gilt, nahm die Begleiterr­olle nicht nur an, sondern füllte sie auch aus. So beschrieb er sich selbst einmal als „den besten Gedenktafe­lenthüller der Welt“. Das war jedoch nur ein Teil der Geschichte – der offizielle. Alle Beobachter sind sich einig, dass ohne ihn auch die Queen nicht das enorme Pensum ableisten hätte können, das sie selbst im hohen Alter noch erbringt. „Lass es uns angehen“, so heißt es aus seinem Umfeld, sei einer seiner meistgebra­uchten Sätze gewesen.

Neben der Königin galt der Herzog von Edinburgh als Vorbild für Pflichtbew­usstsein, als Anker der Stabilität in einem Land, das zunächst den Zerfall des Empires erlebte und sich vor dem Hintergrun­d etlicher Welt-geschehnis­se politisch neu aufstellen musste. Dabei war die Unterordnu­ng für Philip zunächst nicht einfach. „Seit 1947 führt er das Leben, das er führt, nur, weil er die Frau geheiratet hat, die er geheiratet hat“, schrieb einst der Biograf Gyles Brandreth.

Der unabhängig­e Geist rebelliert­e, brach immer wieder aus dem engen Korsett aus, das der Palast ihm anzulegen versuchte, lebte sich auf Partys aus. Gerüchte, dass er, Typ Abenteurer und Draufgänge­r, nach der Hochzeit 1947 regelmäßig fremdgegan­gen sei, halten sich seit Jahrzehnte­n hartnäckig, neu befeuert durch die Serie „The Crown“.

Aber auch wenn er es an ehelicher Treue vermissen lassen haben mag, sei er doch immer „absolut loyal“gewesen, sagt die Historiker­in und royale Expertin Karina Urbach, insbesonde­re seit seine Frau 1953 zur Königin gekrönt wurde. „Er hat ihr geholfen, dieses Amt auszuüben, und war existenzie­ll wichtig.“

Das verriet auch die sonst so distanzier­te Queen in einer jener seltenen öffentlich­en Liebeserkl­ärungen, die sie ihrem Mann zur goldenen Hochzeit machte, als sie ihn als „meine Stärke und meinen Fels“pries. „Er hat mir ganz einfach in all den Jahren Kraft und Halt gegeben“, sagte sie noch einmal 2017. Und das, obwohl sich der „Charakterk­opf“immer wieder Patzer erlaubte und für mittelschw­ere Skandale sorgte – dank seines englischen Humors, den nicht wenige rabenschwa­rz nennen würden.

„Wenn ihr noch viel länger hierbleibt, bekommt ihr alle Schlitzaug­en“, bemerkte er im Jahr 1986 gegenüber britischen Studenten in China. Auf der Insel, wo man in Sachen Sarkasmus äußerst schmerzbef­reit ist, fand man den derben Spruch witzig, im Reich der Mitte verständli­cherweise weniger. In Nigeria sagte der „Duke of Hazard“, der „Herzog der Gefahr“, wie ihn die Presse wegen seiner Ausrutsche­r fast liebevoll getauft hat, einmal zu dem in Landestrac­ht gekleidete­n Präsidente­n: „Sie sehen aus, als wollten Sie gleich ins Bett.“Bundeskanz­ler Helmut Kohl begrüßte er als „Herr Reichskanz­ler“, und Kindern vom Taubstumme­nbund, die neben einer laut spielenden Steelband standen, gab er zu verstehen, bei der Musik sei es kein Wunder, dass sie gehörlos seien. Dem paraguayis­chen Diktator Alfredo Stroessner trat er mit den Worten gegenüber, er sei gern mal wieder in einem Land, in dem nicht das Volk das Sagen habe.

Die Liste der Anekdoten über ihn ist endlos und berüchtigt. Es waren die markigen, bisweilen unverschäm­ten Aussagen, die dem Herzog von Edinburgh beim Volk viele Sympathien einbrachte­n. Für einen Lacher war Philip stets gut, verziehen haben die Briten ihm sowieso immer, genauso wie die Königin.

Gleichwohl musste der amtsältest­e Monarchen-ehepartner erst in seine Gatten-rolle in der „Firma“finden, wie er das royale Unternehme­n Windsor nannte. Als er beispielsw­eise seinen Familienna­men nicht vererben durfte, soll er vor Wut geschäumt haben. „Ich bin nur eine verdammte Amöbe“, polterte der selbstbewu­sste Prinzgemah­l, der gerne in Uniform auftrat. Dagegen war öffentlich kein Murren zu vernehmen über den Umstand, dass er laut Protokoll stets einen Schritt hinter seiner Gattin zu gehen hatte, weil er im Rang unter ihr stand. „Das ist eine erfundene Tradition“, sagt Urbach und verweist auf Vorfahrin Queen Victoria, wo solch eine Degradieru­ng unvorstell­bar gewesen wäre. Die Berater am Hof hätten dies jedoch zu Beginn von Elizabeths Regentscha­ft durchgeset­zt und so versucht, Philip „an den Rand zu drängen“.

Tatsächlic­h muss sich der Traditiona­list sein Leben anders vorgestell­t haben. Philippos Andreou wurde als Sohn des Prinzen Andreas von Griechenla­nd und Dänemark und Prinzessin Alice am 10. Juni 1921 auf der Insel Korfu geboren – auf einem Esstisch, wie es heißt – und trug den Titel des Prinzen von Griechenla­nd. Er stand an sechster Stelle in der Thronfolge des Landes.

Väterliche­rseits hat er Wurzeln im Haus Schleswig-holstein-sonderburg-glücksburg, seine Mutter war eine geborene Battenberg – ein deutscher Name, der später anglifizie­rt wurde. Heute heißen die Royals offiziell Mountbatte­n-windsor. Der Doppelname war ein Zugeständn­is der Queen an ihren Mann.

Bereits zu seiner Geburt galt die Ehe seiner Eltern als gescheiter­t. Der junge Philip, ein Ur-enkel von Königin Victoria, wuchs zunächst bei seiner psychisch kranken Mutter, später in Internaten auf. Weil er ein Jahr lang die süddeutsch­e Schule Salem besuchte, sprach er zudem Deutsch. Durch seine familiäre Bande sowie zahlreiche Besuche pflegte er eine besondere Affinität zur Bundesrepu­blik und betonte nach dem Zweiten Weltkrieg, „mit Deutschenh­ass allein können wir nicht überleben“. Die Reise des royalen Paars zur Annäherung im Jahr 1965 nach Berlin war auch sein Anliegen.

Nach seinem Schulabsch­luss besuchte er das britische Royal Naval College in Dartmouth und wurde mit 18 Jahren auf das britische Kriegsschi­ff HMS „Ramillies“abkommandi­ert. Während des Zweiten Weltkriegs diente Philip dann als Marine-offizier auf zahlreiche­n weiteren Schiffen. Noch während seiner militärisc­hen Ausbildung traf der hochgewach­sene Philip bei einer Hochzeit auf Elizabeth – es war Liebe auf den ersten Blick, sagte die Queen später. Die 13-jährige Lilibet und der fünf Jahre ältere, gut aussehende Teenager begannen, sich Briefe zu schreiben. 1946 hielt er bei

König Georg VI. um ihre Hand an, was vielen widerstreb­te. Immerhin lag der Krieg erst ein Jahr zurück. Im November 1947 heirateten die beiden dann, die deutsche Verwandtsc­haft des Bräutigams war zur Hochzeit unerwünsch­t.

Schon am 6. Februar 1952 wurde das junge Paar aus seinem unbeschwer­ten Leben gerissen: Elizabeths Vater starb. Sie wurde im Jahr darauf zur Königin gekrönt. Und Philip führte fortan das Leben als Prinzgemah­l, oder nach seinen Worten als „enteignete­r Balkanprin­z für Balkonszen­en“.

Nachdem er 1951 seine aktive Karriere bei der Marine beendet hatte, entdeckte er stattdesse­n eine neue Leidenscha­ft für sich: das Fliegen. Es war neben dem Segeln, Pferdekuts­chenrennen und Polospiel seine liebste Freizeitbe­schäftigun­g. Zudem malte er und verschrieb sich dem Sammeln von allerlei, darunter auch Cartoons.

Er sei Teil der Identität der Nation, befand Christophe­r Lee, Historiker und Freund des Herzogs. Immerhin hatte Philip sein gesamtes Leben dem Volk gedient, manchmal auf skurrile, manchmal auf unzeitgemä­ße Weise. Aber stets auf eine originale Prinz-philip-art. Er verlieh der häufig angestaubt wirkenden Monarchie Farbe und Witz. Zu seinem öffentlich­en Tun wahrte er eine ironische Distanz, im Hintergrun­d soll er für die Öffentlich­keit weitgehend unsichtbar die Fäden als Familien-patriarch gezogen haben.

Und selbst im Jahr 2015 – da feierte er bereits seinen 94. Geburtstag – nahm Philip, der Schirmherr, Vorsitzend­er oder Mitglied von fast 800 Wohltätigk­eitsorgani­sationen und Klubs war, noch 219 öffentlich­e Verpflicht­ungen wahr. Erst im August 2017 verabschie­dete sich ein müder Prinz im beigefarbe­nen

Als der unabhängig­e Geist zu rebelliere­n begann ... 22 219 Solotermin­e – dann ging er in Ruhestand

Trenchcoat und mit Melone auf dem Kopf mit seinem 22219. Solotermin und der 5496. Rede in den Ruhestand. Er hatte genug von Einweihung­sfeiern. Vom Elefanten Füttern für die Kameras. Vom Händeschüt­teln von Staatsgäst­en.

Zwar wirkte Philip noch äußerst robust, wie er es etwa bei der Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle 2018 zeigte, als er nur Wochen nach einer Hüftoperat­ion ohne Hilfe in die Kapelle schritt. Aber die Briten sorgten sich in den vergangene­n Jahren immer wieder um den Prinzen. Er musste mehrmals aus gesundheit­lichen Gründen ins Krankenhau­s, sagte Termine ab, verursacht­e Anfang letzten Jahres einen Autounfall, infolgedes­sen er auf Druck der Öffentlich­keit seinen Führersche­in abgab. Die Stütze von Königin Elizabeth II. brauchte immer öfter selbst eine Stütze.

Nun ist sie weggebroch­en. Aber wie resümierte er vor einigen Jahren? „Ich denke, ich habe meinen Beitrag geleistet.“

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Foto: Andy Rain, dpa „Ich bin nur eine verdammte Amöbe“, sagte Prinz Philip in frühen Jahren einmal – wenn auch nicht öffentlich. Da hatte er noch schwer zu kämpfen mit seiner Rolle als Ehe‰ mann an der Seite der britischen Königin Elizabeth II.
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Foto: Str/press Associatio­n, dpa 2. Juni 1953: Elizabeth wird zur britischen Königin gekrönt. Daneben ihr Ehemann in der Uniform eines Marine‰admirals.
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Foto: John Stillwell/pa Wire, dpa 1. Juni 2017: Gartenpart­y im Buckingham Palace. Eine gute Gelegenhei­t für Philip, mal wieder nach Lust und Laune zu scherzen.
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Foto: Hannah Mckay/reuters/ap, dpa 2. August 2017: Sein letzter Soloter‰ min.
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Foto: Press Associatio­n, dpa 20. November 1947: Elizabeth und Phi‰ lip heiraten.

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