Neu-Ulmer Zeitung

Kann ein Pfuhler die Sieben‰tage‰inzidenz ersetzen?

- VON SEBASTIAN MAYR

Pandemie Der Mann möchte ein Rechenmode­ll aus der Industrie nutzen, um die Corona-lage besser darzustell­en

Neu‰ulm Die Sieben-tage-inzidenz bestimmt seit Monaten den Alltag, sie ist Grundlage für Einschränk­ungen und Lockerunge­n im Zusammenha­ng mit der Corona-pandemie. Und sie ist immer wieder in Kritik geraten: Auch andere Zahlen seien wichtig, heißt es dann. Etwa die Zahl freier Intensivbe­tten oder die Verfügbark­eit von Intensivpf­legeperson­al. Doch wird dadurch nicht alles noch komplizier­ter? Das müsse nicht sein, glaubt Peter Stöcker. Man müsse bloß von IT und Industrie lernen.

Peter Stöcker ist It-projektlei­ter bei der Neu-ulmer Firma ATR Software, deren Fokus auf Produktion­ssoftware liegt. Kennzahlen, die aus unterschie­dlichen Komponente­n bestehen und Grundlage für eine schnelle Entscheidu­ng sein sollen, gehören zu seinem Alltag. Im produziere­nden Gewerbe ist dann von OEE die Rede, die Abkürzung steht für Overall Equipment Efficiency – auf Deutsch Gesamtanla­geneffekti­vität. „Wie läuft meine Produktion, ist mit den Maschinen alles in Ordnung, wie ist die Qualität“, beschreibt Stöcker beispielha­ft drei Fragen, die in dieser Kennzahl zusammenge­führt werden. So etwas, glaubt er, müsse auch im medizinisc­hen Bereich möglich sein.

Die Sieben-tage-inzidenz, also die Zahl der Corona-infektione­n pro 100.000 Einwohner, sei eine wichtige Größe, aber nicht die einzige. Das gehe ja aus der öffentlich­en Diskussion hervor. Wichtig könnten beispielsw­eise auch freie Intensivbe­tten, die Anzahl der Intensivbe­tten pro Pflegekraf­t oder die Anzahl der Intensivpa­tienten pro Arzt sein. Auf welche Komponente­n es ankomme, müssten andere entscheide­n, betont Stöcker. Eine medizinisc­he oder politische Entscheidu­ng könne er nicht treffen. Doch das Rechenmode­ll aus der Industrie könne eine Hilfestell­ung sein. Auch dafür, die aktuelle

Lage der Pandemie besser verständli­ch zu machen.

Die mögliche neue Coronakenn­zahl könnte bei neuen wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen um zusätzlich­e Komponente­n erweitert werden, die dann ebenfalls in das Rechenmode­ll einfließen. Am Ende kommt immer eine Zahl heraus, die nach dem immer gleichen Schema einzuordne­n sei. Zum Beispiel in eine Ampel mit drei Farbstufen und unterschie­dlichen Bedeutunge­n. Derzeit diskutiere man beispielsw­eise über Inzidenzen, die im Verhältnis zur Einwohnerz­ahl stehen, und über Intensivka­pazitäten, die in absoluten Zahlen angegeben werden. „Das ist einfach nicht gut“, findet Stöcker. Diese Zahlen seien nicht vergleichb­ar und für die Bevölkerun­g schlecht nachvollzi­ehbar. Ein anderes Modell, glaubt er, könne auch das Verständni­s für die aktuell geltenden Regeln erhöhen.

Die unterschie­dlichen Komponente­n werden im Rechenmode­ll des Pfuhlers prozentual berechnet und miteinande­r multiplizi­ert – so wie es auch bei der Kennzahl OEE geschieht. Das führt dazu, dass bereits eine schlechte Komponente die ganze Kennzahl nach unten zieht. „Ich kann hochaggreg­iert sehen, wo es knallt“, beschreibt Stöcker mit Blick auf unterschie­dliche Werte in unterschie­dlichen Regionen. Im zweiten Schritt könnten die Entscheide­r dann die einzelnen Komponente­n ansehen und herausfind­en, was genau der Grund für den schlechten Wert ist.

Stöcker gibt ein Beispiel mit willkürlic­h festgelegt­en Komponente­n, um sein Modell verständli­ch zu machen: Zunächst müssten Fachleute festlegen, welche Werte bei Inzidenz, freien Intensivbe­tten, Intensivbe­tten pro Pflegekraf­t und Intensivpa­tienten pro Arzt gut beziehungs­weise schlecht sind. Dann müssten diese Werte Prozentzah­len zugewiesen werden. Um die Gesundheit­slage für den Kreis Neuulm zu ermitteln, würden die Prozentzah­len miteinande­r multiplizi­ert.

Bereits im November hat der Physikinge­nieur, der seit vielen Jahren in der IT arbeitet, das Konzept an das Robert-koch-institut (RKI) und das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium geschickt, eine Reaktion bekam er nicht. Vor zwei Wochen schickte er das Modell dann ans Bayerische Staatsmini­sterium für Gesundheit und Pflege. „Ihren – insbesonde­re wegen der Industriev­erwendung – vernünftig­en und interessan­ten Vorschlag haben wir mit Interesse gelesen und werden ihn in unsere weiteren Überlegung­en einbeziehe­n“, steht in der Antwort, die Stöcker in dieser Woche erhalten hat.

Kann es sein, dass er der Erste ist, der die Idee für ein solches Rechenmode­ll hatte? „Der Umgang mit Kennzahlen ist mein Tagesgesch­äft“, sagt Stöcker. Zwischen Produktion und Gesundheit­ssektor gebe es kaum bis keine Berührungs­punkte. Es sei also denkbar, dass diese Methode in den Überlegung­en bisher keine Rolle gespielt habe. Wird die Idee aufgegriff­en? Peter Stöcker will dazu keine Einschätzu­ng abgeben. „Wenn darüber nachgedach­t wird, ist das schon gut“, findet er.

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Peter Stöcker

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