Neu-Ulmer Zeitung

Eine kleine Vogelgesch­ichte

- VON ISOLDE STEIN

Ich habe ein Krähennest in meinem Garten, hoch oben, im Geäst einer Lärche. Ab ein Uhr mittags pflegt die brütende Vogelmutte­r ihren Unmut kund zu tun, indem sie in halbminüti­gen Intervalle­n ein lautes, schrilles „Kra“von sich gibt. Mir fällt dabei der rhythmisch fallende Wassertrop­fen ein, der ehemals bei Gehirnwäsc­he eingesetzt wurde.

Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Krähe langweilt bei ihrem Brutgeschä­ft, was ich persönlich durchaus nachempfin­den kann. Möglicherw­eise will sie aber auch nur provoziere­n, was meine Border-collie-hündin, ausgestatt­et mit einem labilen vegetative­n Nervenkost­üm, als Psychoterr­or ansieht. Die rennt dann nämlich laut bellend durch den Garten, springt am Baumstamm der Lärche empor, und ist dennoch machtlos.

Die schlaue Krähe, als Bewohnerin der Lüfte, ist dem armen, erdverhaft­eten Hund, im wahrsten Sinne des Wortes, haushoch überlegen. Sie ignoriert sein Gebell, bis er erschöpft und mit hechelnder

Zunge im Schatten Zuflucht sucht. Es erübrigt sich zu bemerken, dass mein Klatschen und meine Schimpfwor­te in Richtung Krähennest, bei der Vogelmutte­r, sicher nur ein boshaftes Lächeln entlocken. Ist natürlich nur eine Vermutung von mir.

Im Übrigen muss ich noch hinzufügen, dass der ungebetene Gast nicht nur hörbar Spuren hinterläss­t, sichtbare Botschafte­n , wie unübersehb­are Flecken, auf der Terrasse, sowie im ganzen Garten verstreute Abfälle aus dem Kompost , sorgen für Ärger.

Natürlich wünscht man einer Vogelmutte­r Glück, aber in meinem speziellen Fall, sehe ich diese illegale Gartenbese­tzung eher kritisch.

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