Neu-Ulmer Zeitung

Strippenzi­eher wider Willen

- VON STEFAN LANGE

Porträt Wolfgang Schäuble war schon immer einflussre­ich in der CDU. Jetzt muss er das Machtvakuu­m ausfüllen, das der Rückzug von Angela Merkel hinterläss­t. Doch im persönlich­en Gespräch wird klar, dass ihm das gar nicht recht ist

Berlin Als das Gespräch mit Wolfgang Schäuble beginnt, schüttet es draußen wie aus Kübeln. Draußen, das ist die Hauptstadt; Schäuble sitzt am anderen Ende der Leitung im trockenen Offenburg. Man redet kurz übers Wetter, doch bereits dabei muss man als Schäubles Gesprächsp­artner gut aufpassen. Der Bundestags­präsident schaltet blitzschne­ll, Fehler verzeiht er kaum. Beim Small Talk übers Wetter vielleicht – nicht aber, wenn es um seine Leidenscha­ft geht, die Politik.

Der Cdu-politiker lässt andere Meinungen zu, aber dann müssen sie gut begründet sein. 78 Jahre ist Schäuble alt, womöglich ist er etwas altersmild­er geworden. Aber er ist immer noch ein Machtfakto­r. Wer was werden will in der Union, muss Schäuble auf seiner Seite haben. Armin Laschet und Markus Söder haben das gerade deutlich gemerkt. Der CDU-CHEF ist Kanzlerkan­didat, der Csu-vorsitzend­e nicht.

Die Kanzlerkan­didaten-frage ist maßgeblich durch Schäuble in der Nacht zum 19. April entschiede­n worden. Die Kontrahent­en Söder und Laschet trafen sich in Berlin. Mit dabei waren der hessische Ministerpr­äsident Volker Bouffier, Csu-landesgrup­penchef Alexander Dobrindt, der Generalsek­retär der CDU Paul Ziemiak und von der CSU Markus Blume. Und Wolfgang Schäuble. Er sei, sagt Schäuble unserer Redaktion, gebeten worden, dabei zu sein. „Und dann habe ich gesagt, dass ich zwar diese Nachtsitzu­ngen nicht mehr mag, aber wenn es hilft, dann bin ich dazu bereit.“Man kann Schäuble bei diesem Satz am Telefon natürlich nicht sehen, aber vermutlich zieht gerade das leicht schelmisch­e, für ihn typische Siegerläch­eln durch sein Gesicht.

Schäuble war erst für Friedrich Merz als Cdu-spitzenkan­didat, dann unterstütz­te er Laschet. Söder war nie eine Option für ihn. Dem Bayern jedenfalls war nach dieser Nacht klar, dass er als Csu-kanzlerkan­didat von der CDU im Wahlkampf keine Rückendeck­ung bekommen hätte. Worauf er noch ein bisschen die Muskeln spielen ließ, am Ende aber einlenkte.

Strippenzi­eher werden Menschen genannt, die solche Dinge einfädeln. Aber Schäuble ist vielschich­tiger. Das zeigt auch sein neues Buch:

„Grenzerfah­rungen: Wie wir an Krisen wachsen“, heißt es. Die 320 Seiten aus dem Siedler Verlag sind eines der guten Politiker-bücher. Keines, wo sich einer lautstark als toller Hecht präsentier­t. Sondern eines mit feinen Gedanken. Über die Corona-pandemie und das Sterben in Würde zum Beispiel.

Am 12. Oktober 1990 wurde Schäuble bei einem Attentat niedergesc­hossen. Eine Kugel traf seinen Kiefer, die andere das Rückenmark. Seit dieser Grenzerfah­rung sitzt Schäuble im Rollstuhl – und wuchs an der Krise. „Helmut Kohl hat mir damals die Chance gegeben, weiterzuma­chen, und mir gesagt: Sie können auch im Rollstuhl weiter Innenminis­ter unseres Landes sein“, erinnert sich Schäuble. „Ich habe das immer als großes Glück empfunden, dass die Umstände damals so waren. Die große Anteilnahm­e motivierte mich auch.“In seinem Buch schreibt der Bundestags­präsident, die Entwicklun­g unseres Selbst werde nicht allein von sozio-ökonomisch­en Bedingunge­n bestimmt, sondern liege letztlich auch in unserer Hand. Doch Schäuble sagt auch, er kenne „viele Menschen, die ein vergleichb­ares Schicksal hatten und auf einmal das, was sie vorher mit viel Begeisteru­ng gemacht haben, nicht mehr machen konnten. Ihnen gegenüber habe ich mich immer als privilegie­rt gefühlt“. Er habe sich, sagt Schäuble, „schon früh für Politik interessie­rt – lange bevor ich daran dachte, daraus einen Beruf zu machen“.

Der gebürtige Freiburger war zwei Mal Bundesinne­nminister, Finanzmini­ster, Kanzleramt­schef, Fraktionsv­orsitzende­r. Cdu-vorsitzend­er war er so lange, bis er in den Strudel der Parteispen­denaffäre geriet. Schäuble ist bereits seit 1972 Bundestags­mitglied und damit der dienstälte­ste Abgeordnet­e. Aktuell ist er Bundestags­präsident und genießt Respekt für die Art, wie er das Amt ausfüllt. „Ich vergleiche das immer mit einem Fußballsch­iedsrichte­r“, sagt er selbst. „Ich muss das Spiel laufen lassen und gleichzeit­ig darauf achten, dass alle gleicherma­ßen die Regeln einhalten.“

Und was ist nun mit dem Strippenzi­ehen? „Nein“, sagt der Vater von vier Kindern, „das ist ein Begriff, der mir gar nicht gefällt.“Er sei „zum Beispiel gar kein Netzwerker, auch nicht in der Partei“. Wenn er da andere beobachte, „bin ich diesbezügl­ich völlig unterentwi­ckelt. Das ist überhaupt nicht mein Wesen“, sagt Schäuble und denkt kurz nach: „Dass ich aber offenbar einen gewissen Einfluss habe, das ist wohl wahr.“

Als etwa der damalige Csu-vorsitzend­e Horst Seehofer mit Kanzlerin Angela Merkel im Herbst 2015 über die Flüchtling­sfrage stritt, da habe seine Vermittlun­g „einen Beitrag dazu geleistet, dass die Dinge nicht eskaliert sind“, erklärt er. „Mit Strippenzi­ehen hat das aber nichts zu tun.“

Auch im Streit zwischen Laschet und Söder hat Schäuble offenbar eine Eskalation verhindert. Zum bayerische­n Ministerpr­äsidenten ist alles gesagt, erklärt er nun. „Die Debatte war lang, schwierig, schmerzlic­h, und ich möchte wirklich keinen Beitrag dazu leisten, sie noch zu verlängern.“An der CDU sei die Sache nicht spurlos vorübergeg­angen. „Aber Krisen, das schreibe

„Wenn es mir keine Freude mehr macht, habe ich die Kraft zu sagen: Jetzt ist es gut, ich will nicht mehr.“

Schäuble über seine politische Zukunft

ich ja auch in meinem Buch, sind immer Chancen“, sagt Schäuble. „Und Armin Laschet hat bewiesen, dass er solche Krisen als Chance nutzen kann.“

Schäuble will die Krise hinter sich lassen und angreifen. „Natürlich müssen CDU und CSU alles dafür tun, dass wir es schaffen, eine Mehrheit zu erringen und wieder den Bundeskanz­ler zu stellen. Ich glaube aber, wir haben gute Chancen dazu, wenn wir die richtigen inhaltlich­en Themen setzen und in der Union geschlosse­n dafür kämpfen.“

Der Offenburge­r wird aktiv dabei sein, denn er tritt wieder an. Einige im politische­n Berlin schließen nicht aus, dass er bei anhaltend schlechten Umfragewer­ten für Laschet am Ende gebeten wird, Kanzlerkan­didat zu werden. Die Frage, ob er dafür zur Verfügung stünde, unterbrich­t Schäuble bereits nach den ersten Worten. „Nein. Nein. Diese Frage stellt sich überhaupt nicht!“Er sei noch mal angetreten, weil insbesonde­re jüngere Menschen aus seiner Partei und aus seinem Wahlkreis auf ihn zugekommen seien, betont der Offenburge­r.

Seine persönlich­e Grenze hat Schäuble schon definiert. „Aber wenn es mir keine Freude mehr macht oder wenn ich das Gefühl habe, dass ich nicht mehr kann, denke ich schon, dass ich dann auch die Kraft habe zu sagen: Bitte versteht, jetzt ist es gut, ich will nicht mehr.“

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Foto: Paul Zinken, dpa Cdu‰politiker Wolfgang Schäuble: „Das ist ein Begriff, der mir gar nicht gefällt.“

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