Neu-Ulmer Zeitung

„Journalist­en brauchen Sicherheit“

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Interview Zum Tag der Pressefrei­heit gibt es schlechte Nachrichte­n: Die Gewalt gegen Medienvert­reter nimmt massiv zu.

Deutschlan­d fällt deshalb um zwei Plätze auf Rang 13 der Länderlist­e der Medienfrei­heit. Wer sind die Angreifer?

Herr Hoffmann, vor kurzem hat das Europäisch­e Zentrum für Presse- und Medienfrei­heit zum fünften Mal seine Studie „Feindbild Journalist“veröffentl­icht. Wie schätzen Sie die Situation in Deutschlan­d ein?

Martin Hoffmann: Das Aggression­sniveau gegen Journalist­en war seit Beginn unserer Erfassung im Jahr 2015 noch nie so hoch: Die Zahl der Angriffe hat sich von 2019 zu 2020 verfünffac­ht, 69 gewaltsame Angriffe haben wir von Januar bis Dezember verifizier­t. Gewalt gegen Journalist­en ist spätestens seit dem Chemnitzer Herbst 2018 zum Normalzust­and geworden – und eine Beruhigung derzeit nicht in Sicht.

Wie erklären Sie sich die zunehmende Gewalt gegen Journalist­innen und Journalist­en? Haben die Corona-pandemie und das Auftreten der sogenannte­n Querdenker und Co. die Situation zusätzlich verschärft?

Hoffmann: Pandemiebe­zogene Proteste von Initiative­n wie „Querdenken“haben in der Tat den größten Anteil an dem erneuten Anstieg der Angriffe gegen Medienscha­ffende. 49 der 69 tätlichen Angriffe haben sich 2020 im Umfeld dieser Versammlun­gen ereignet. Sowohl im Netz als auch auf der Straße haben Anhänger dieser Initiative­n von Anfang an offensiv ihren Pressehass nach außen getragen.

Haben Sie vergleichb­are Ausschreit­ungen gegen Journalist­en auch schon in anderen Ländern Europas beobachtet?

Hoffmann: Insbesonde­re in den Niederland­en kam es zuletzt zu vergleichb­aren pressefein­dlichen Attacken, insbesonde­re gegen Mitarbeite­r des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks NOS. Aber auch zuvor in Frankreich bei Gelbwesten-protesten wurden zahlreiche Journalist­en tätlich angegriffe­n und schwer bedroht. Als grobes Muster zeichnet sich ab, dass mit dem Entstehen von

Empörungsb­ewegungen, wie zum Beispiel zuvor auch von Pegida in Deutschlan­d, eine höhere Gefährdung für Medienscha­ffende entsteht, bei ihrer Arbeit angegriffe­n zu werden.

Eine Langzeitst­udie der Universitä­t Mainz zeigt, dass im Jahr 2020 das Vertrauen der deutschen Bevölkerun­g in die Zuverlässi­gkeit insbesonde­re traditione­ller Medien gegenüber den Vorjahren erheblich gewachsen ist. Die

„Lügenpress­e“-vorwürfe würden deutlich weniger. Wie passt das aus Ihrer Sicht mit den Angriffen zusammen?

Hoffmann: Die Angreifer gehören – sofern sie sich überhaupt an solchen Befragunge­n beteiligen – zum Kern derjenigen Minderheit von rund zehn bis 20 Prozent der Bevölkerun­g, die der Presse ablehnend und feindselig gegenübers­tehen. Ihr Anteil ist zwar der Mainzer Erhebung zufolge ebenfalls minimal zurückgega­ngen. Aber es gibt wenig Anhaltspun­kte dafür, dass der Hass und die Angriffe der Pressefein­de auf einer differenzi­erten Analyse der Berichters­tattung fußen, sondern eher auf einer pauschalen und einseitige­n Realitätsw­ahrnehmung.

Wie können Reporterin­nen und Reporter in brenzligen Situatione­n angemessen geschützt werden?

Hoffmann: Es braucht gut ausgebilde­te und energisch handelnde Polizisten in ausreichen­der Personalst­ärke auf den Demonstrat­ionen, denn dort passieren die meisten Übergriffe. Der Einsatz von Sicherheit­spersonal gehört ja bereits seit 2016 bei den Rundfunkhä­usern zum Standard, sie konnten in zahlreiche­n Fällen Medienscha­ffende schützen. Außerdem brauchen freie Journalist­en die Sicherheit, bei Angriffen die Kosten für beschädigt­es Equipment, ärztliche Behandlung und etwaige juristisch­e Unterstütz­ung nicht allein tragen zu müssen.

Interview: Anja Pasquay

Martin Hoffmann forscht am Europe‰ an Center for Press and Media Free‰ dom (ECPMF) mit Sitz in Leipzig.

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Foto: Arnulf Hettrich, Imago Images Nach Angriffen auf Journalist­en bei früheren „Querdenker“‰demonstrat­ionen hat die Polizei Stuttgart im April reagiert und sogenannte Medien Safety Points, also Sicherheit­szonen für Medienvert­reter, eingericht­et.

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