Neu-Ulmer Zeitung

In Indien lodern schaurige Feuer

- VON SIMON KAMINSKI

Hintergrun­d Kein Land ist weltweit derart von der Corona-pandemie betroffen. Die Vorsitzend­e einer Hilfsorgan­isation beschreibt, wie die Krise die Ärmsten noch tiefer ins Elend zu stoßen droht

Augsburg/neu‰delhi Feuer leuchten durch dunkle Rauchschwa­den, dazwischen scheinen die Silhouette­n einzelner Menschen oder kleiner Gruppen auf. Es sind die schaurigen Bilder einer humanitäre­n Katastroph­e: Täglich sterben tausende Inder an Corona, weit über 300000 stecken sich binnen 24 Stunden an. Die Gesamtzahl der Infizierte­n dürfte demnächst die 20-Millionen-grenze überschrei­ten. Allerdings wird befürchtet, dass diese Zahlen noch gar nicht das ganze Ausmaß der Krise abbilden, da in Indien gerade auf dem Land und unter den ärmeren Schichten der Bevölkerun­g viel weniger getestet wird als etwa in Deutschlan­d. Die Dunkelziff­er dürfte also noch weit höher liegen – auch was die Todeszahle­n betrifft.

Die Vorsitzend­e des Vereins Bridge of Humanity, Maria-theresia Schneider, hat fast zwei Wochen auf Nachrichte­n aus dem Land gewartet, das wie kein anderes auf der Welt von der Pandemie betroffen ist. Jetzt verfügt sie über aktuelle Informatio­nen zu den dramatisch­en Auswirkung­en der Infektions­welle. Der Verein (www.bridgeofhu­manity.org/indien) unterstütz­t mit Spenaus Deutschlan­d eine speziell für Kinder aus ärmsten Verhältnis­sen geschaffen­e Schule im südindisch­en Karnataka und finanziert Mädchen und Jungen den Besuch dort. Partner ist die indische Hilfsorgan­isation Arunodaya Poirada. Ein schwerer Schlag für das Projekt sei es gewesen, dass im August der Direktor der Schule an Corona gestorben ist, sagt Schneider, die in Ulm wohnt. Mit großer Sorge blickt der ehrenamtli­ch geführte Verein nicht nur auf die Gefahren durch die indische Virusmutan­te B.1.617, sondern auch auf die gesellscha­ftlichen Folgen der Pandemie.

Das Gesundheit­ssystem kollabiert, und zwar auch in den großen Städten. Es fehlt an Sauerstoff, Medizinern und Pflegern in den Kliniken. Die Regierung hofft auf die in den letzten Tagen massiv anrollende Hilfe aus dem Ausland und setzt auf eine gewaltige Impfkampag­ne, die in diesen Tagen einsetzen soll. Deutschlan­d will beispielsw­eise eine ganze Sauerstoff­produktion­sanlage nach Indien transporti­eren.

Schon jetzt sind die Registrier­ungswebsei­ten für die Impfung dem Ansturm kaum noch gewachsen, viele Server brechen zusammen, wie indische Medien berichten. An Impfstoff mangelt es angesichts der riesigen Zahl von 1,3 Milliarden Einwohneri­nnen und Einwohnern – auch wenn Indien zu den weltweit größten Hersteller­n von Impfstoffe­n gehört. Bislang haben erst knapp zehn Prozent der Menschen mindestens eine Impfdosis erhalten.

Doch die heftige zweite Welle ist keineswegs nur mit der geringen Impfrate zu erklären. Die Bilder von dicht gedrängten Menschenma­ssen bei religiösen Festen gingen um die Welt. Viele Menschen sind ohne Masken unterwegs, andere tragen den Schutz lässig unter der Nase. Lange schien es, als würde Indien recht gut durch die Pandemie kommen. Das befeuerte den lebensgefä­hrlichen Leichtsinn. Erst jetzt dreht sich die Stimmung in der Bevölkerun­g, werden die Warnungen vor Covid-19 ernster genommen.

Doch vielen Indern fehlt es nicht nur an Informatio­nen, sondern auch an Geld, um sich vor dem Virus zu schützen. So wie in dem Dorf Karnataka, in dem die Schule steht, die von Bridge of Humanity unterstütz­t wird. „Die Menschen des Dorfes wohnen in einfachen Wellblech-behausunge­n zu mehreren auf engem Raum. Ansteckung­en sind hier vorden programmie­rt, Abstand halten ist oft nicht umsetzbar. Wenn ihnen Geld zur Verfügung steht, kaufen sich die Menschen sicherlich keine Masken und Desinfekti­onsmittel damit, sondern das Nötige, vor allem eben derzeit Essen und Dinge des alltäglich­en Bedarfs“, sagt Maria-theresia Schneider, die immer wieder nach Indien reist, um die Projekte des Vereins vor Ort zu begleiten.

Durch den von der indischen Regierung beschlosse­nen 14-tägigen Lockdown seien gerade die Ärmsten in vielen Fällen von sofortiger Arbeitslos­igkeit bedroht. „Das bedeutet dort konkret, dass der tägliche Verdienst für kleine Obst- und Gemüseverk­äufer oder Tagelöhner­n oft schlagarti­g wegfällt. Ganze Familien haben kein Einkommen mehr und somit schlichtwe­g nichts zu essen.“Die weiteren längerfris­tig wirksamen Auswirkung­en der Pandemie seien noch gar nicht absehbar. Schon jetzt beobachte Mariathere­sia Schneider, dass wieder mehr Mädchen verheirate­t werden und mehr Kinder hart arbeiten müssen. „Viele Familien aus den ärmeren Bevölkerun­gsschichte­n sehen dies als einzigen Ausweg an, um das Überleben ihrer Familien zu sichern.“(mit dpa)

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Foto: Naveen Sharma, dpa Gespenstis­che Szenen in Indien: Für die Einäscheru­ng von Opfern, die an den Folgen einer Corona‰infektion gestorben sind, werden provisoris­che Stellen für Massenverb­ren‰ nungen angelegt. Die Krematorie­n sind hoffnungsl­os überlastet.

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