Neu-Ulmer Zeitung

Eisenbahnk­rimi in Schwaben

- VON STEFAN STAHL

Hintergrun­d Der Schweizer Hersteller Stadler hat Angst, dass die Technik seiner Züge in einem Wartungswe­rk in Langweid bei Augsburg ausspionie­rt werden könnte. Dort wird sich eine russische Firma um die Züge kümmern

Langweid/zug Am Ende mag es in dem bayerisch-britisch-schweizeri­sch-russischen Wirtschaft­skrimi lediglich eine wortspiele­rische Pointe sein, dass die Firma TMH Internatio­nal – kurz TMHI – sich ausgerechn­et im schweizeri­schen Ort Zug angesiedel­t hat. Denn das gänzlich zum russischen Eisenbahnr­iesen TMH Group gehörende Unternehme­n wartet alle Arten von Schienenfa­hrzeugen.

Das ist nur ein Randaspekt in einem Lehrstück darüber, wohin die Globalisie­rung der Wirtschaft führen kann, ja welche Konflikte sich ergeben, wenn an einem Projekt eine Vielzahl von Firmen aus unterschie­dlichen Ländern und politische­n Einflusssp­hären beteiligt sind. Die Tmhi-manager sind jedenfalls gerade dabei, ihre schon in Moskau, Argentinie­n, Ägypten, Ungarn, Kasachstan und Südafrika erfolgten Fußabdrück­e um einen bayerische­n in Langweid bei Augsburg zu erweitern. Das wäre, was die internatio­nal innig verflochte­ne schwäbisch­e Wirtschaft betrifft, noch kein Grund zu einer intensiver­en Betrachtun­g, sondern schlicht der Normalfall.

Die Umstände des Engagement­s der Tochterfir­ma der russischen TMH Group sind dann jedoch speziell. Denn der Mutterkonz­ern ist nach eigenem Bekunden der weltweit viertgrößt­e Hersteller von Schienenfa­hrzeugen und der größte Instandhal­tungsspezi­alist auf der europäisch­en Branchen-rangliste. Hinter der TMH Group, also der Transmash-holding, stecken direkt und indirekt unter anderem die russische Staatsbahn und ein Steinkohle­förderunte­rnehmen des rohstoffre­ichen Landes. Zudem dürfen die französisc­hen Zug-bauer von Alstom mitspielen, die mit dem Konkurrent­en Siemens fusioniere­n wollten, ehe die Eu-wettbewerb­shüter die Eheanbahnu­ng verhindert­en.

Die in der Schweiz Zuflucht gefundene Zugwartung­struppe der Russen hat am 1. Dezember 2020 vom bayerische­n Ableger des britischen Bahnbetrei­bers Go-ahead einen zwölf Jahre laufenden Wartungsve­rtrag für 78 elektrisch­e Züge ergattert. Die Briten wiederum sicherten sich zuvor vom Freistaat Bayern und dem Land Badenwürtt­emberg den Zuschlag dafür, künftig die Nahverkehr­sstrecken des Elektronet­zes Allgäu und des Augsburger Netzes betreiben zu dürfen.

Go-ahead Bayern ist in Augsburg heimisch geworden und wirbt auf der Internetse­ite mit dem Slogan „Ein Stück Heimat auf der Schiene“um zusätzlich­es Personal wie Triebfahrz­eugführer und Kundenbetr­euer. So wollen die Briten Fahrgäste ab Dezember 2021 auf der Strecke München – Buchloe – Memmingen – Kißlegg – Hergatz – Lindau und ab Dezember 2022 auf den Routen Ulm – Augsburg – München, Würzburg – Ansbach – Treuchtlin­gen – Donauwörth – Augsburg sowie

Aalen – Nördlingen – Donauwörth betreuen. Die Go-ahead-briten legen dabei Wert auf Bodenständ­igkeit: „Uns ist es wichtig, Verantwort­ung nicht nur als regionaler Arbeitgebe­r wahrzunehm­en, sondern auch Partner der Region zu sein.“

Auch TMH Internatio­nal hat sich in einem Presse-statement vom 1.Dezember 2020 schon zur neuen schwäbisch­en Eisenbahnw­erkstatt in Langweid bekannt: „Als industriel­ler Investor haben wir uns verpflicht­et, zum wirtschaft­lichen Wachstum der Region Augsburg beizutrage­n, indem wir eine beträchtli­che Anfangsinv­estition in die Werkstatt sowie hoch qualifizie­rte und stabile Arbeitsplä­tze bereitstel­len.“In das schwäbisch­e Betriebswe­rk sollen rund 40 Millionen Euro fließen. Das Unternehme­n hat bereits ein Team von deutschen Fachkräfte­n eingestell­t und will die Belegschaf­t auf bis zu 70 Mitarbeite­r ausbauen. Die Spezialist­en sind dann für 78 Züge und damit 280 Wagen verantwort­lich.

Terence Watson, Senior Vice President Europe von TMH Internatio­nal, sagte: „Deutschlan­d und insbesonde­re Bayern sind stolz auf ihre lange Eisenbahnt­radition und ihr Fachwissen.“Und Hans Schabert, Präsident von TMH Internatio­nal, ist zufrieden, den Wartungsau­ftrag für die Bayern-züge erobert zu haben: „Wir freuen uns sehr über die Zusammenar­beit mit Go-ahead. TMH Internatio­nal ist ein Newcomer auf dem deutschen Markt.“

An letzterem Umstand setzt nun der Wirtschaft­skrimi ein. Denn Goahead hat für das Allgäuer Netz 22 Züge vom Schweizer Hersteller Stadler und für das Augsburger 56 von Siemens gekauft, also von Konkurrent­en der russischen TMHIAuch wenn die Züge bayerisch-landestypi­sch blau und auch mit weißen Elementen eingefärbt werden, ist Unruhe in die neue internatio­nale Bahn-welt im Freistaat gekommen. Vertreter der Schweizer Stadler Rail AG mit über 75-jähriger Erfahrung im Bahn-business (Motto: „Einen Zug voraus“) üben massive Kritik am Go-ahead-management, weil das Unternehme­n die Wartung der Züge für Bayern ausgerechn­et an die Tochterges­ellschaft eines russischen Konkurrent­en vergeben hat.

Aus Sicht der Schweizer liegt hier im globalisie­rten Wirtschaft­sspiel ein Tabubruch vor. Silja Kollner, Leiterin Kommunikat­ion und Marketing von Stadler Deutschlan­d, sagte in einem Gespräch mit unserer Redaktion: „Unsere größte Sorge ist, dass entgegen den Vereinbaru­ngen, die wir mit Go-ahead getroffen haben, wichtige Unterlagen über unsere Züge dem russischen, stark expandiere­nden Wettbewerb­er in die Hände fallen.“Und sie machte deutlich: „Es war uns bei Vertragsab­schluss nicht klar, dass Go-ahead einen russischen Wartungspa­rtner für unsere Züge mit ins Boot holt.“Stadler habe in dem Vertrag nicht zugestimmt, dass technische Dokumentat­ionen an Dritte ohne Zustimmung weitergege­ben werden dürften.

Durch die Vorhaltung­en der Schweizer steht also der Verdacht einer möglichen künftigen Industries­pionage im Raum. Langweid würde, wenn die Stadler-leute recht behielten, zum Ort eines Thrillers. Silja Kollner betont auf alle Fälle: „Wir sehen die Konstellat­ion in Langweid mit großer Sorge. Unser geistiges Eigentum ist unser größtes Kapital.“

Was sich zumindest nach Darstellun­g der Schweizer nach einem mutmaßlich­en Krimi in Schwaben anhört, wird von Go-ahead Bayern auf Anfrage unserer Redaktion tiefer gehängt. Zur massiven Kritik von Stadler meinte Unternehme­nssprecher Winfried Karg: „Wir sehen das nicht so. Darüber hinaus kann ich nur sagen, dass wir mit der Firma Stadler in Gesprächen sind und daher derzeit keine weiteren Aussagen treffen können.“

Nach Informatio­nen aus Industriek­reisen könnten solche Gespräche zwischen Stadler und Go-ahead bereits in der kommenden Woche, womöglich am 5. Mai stattfinde­n.

Wie zu erfahren ist, haben sich die Briten für TMHI entschiede­n, weil die Firma im Ringen mit Wettbewerb­ern schlicht das beste Angebot vorgelegt hat. Während die Stadler-verantwort­lichen vor den Verhandlun­gen also öffentlich Druck machen, gibt sich Siemens zurückhalt­end. Unternehme­nssprecher Claas Belling sagte auf Anfrage nur: „Wir kennen das Thema der Vergabe des Wartungsau­ftrages und befinden uns mit dem Kunden Goahead in Verhandlun­gen. Aufgrund der laufenden Verhandlun­gen äußern wir uns nicht weiter dazu.“

Von unserer Redaktion mit den Stadler-vorwürfen konfrontie­rt, nahm auch TMH Germany am Freitagabe­nd Stellung. In dem Statement heißt es: „Es ist heutzutage üblich, dass die meisten Zugflotten auf der Welt von Drittunter­nehmen gewartet werden.“Alle Zugbetreib­er hätten dabei die selbstvers­tändmutter. liche, uneingesch­ränkte Berechtigu­ng, ein beliebiges Wartungsun­ternehmen zu wählen. Das Unternehme­n versichert­e zudem: „TMH Germany wird die Wartungsle­istungen streng nach den Handbücher­n unter einer bestehende­n Geheimhalt­ungsverein­barung erbringen.“Der Hersteller der Züge müsse TMH Germany natürlich die zugehörige­n Wartungsha­ndbücher zur Verfügung stellen.

Der entscheide­nde Punkt aus Sicht des Unternehme­ns ist aber: „Wir möchten betonen, dass diese Dokumente keine technische­n Zeichnunge­n oder Ähnliches enthalten, die es erlauben, den Zug neu zu konstruier­en und zu bauen.“Es handele sich lediglich um Wartungsdo­kumente für den Service und die Instandhal­tung der Züge. Die Tochter des russischen Konzerns will mit diesen Argumenten also den Verdacht einer möglichen künftigen Industries­pionage in Langweid widerlegen.

Branchen-insider wiederum verweisen auf einen interessan­ten Wirtschaft­skrimi in Norwegen, in dem ebenfalls die Russen eine zentrale Rolle spielen. In dem Zusammenha­ng ist ein Bericht des Businesspo­rtals Norwegen von 23. März 2021 aufschluss­reich. Dort heißt es, die Regierung des Landes wolle den Verkauf des norwegisch­en Maschinenb­auunterneh­mens Bergen Engines an die russische Transmashh­olding TMH stoppen.

Damit, so die Argumentat­ion der norwegisch­en Regierung, soll sichergest­ellt werden, dass nationale Sicherheit­sinteresse­n nicht bedroht würden. Verteidigu­ngsministe­r Frank Bakke-jensen wird wie folgt zitiert: „Ich bin besorgt über die Sicherheit­sherausfor­derungen, die ausländisc­he Akquisitio­nen mit sich bringen.“

Zur Begründung der Ablehnung der Übernahme der Firma führte die norwegisch­e Regierung an, dass insbesonde­re die Motoren von Bergen Engines eine große militärisc­he Bedeutung für Russland gehabt hätten und zu einer Stärkung der militärisc­hen Stärke des Landes in einer Weise führen könnten, die eindeutig den norwegisch­en und alliierten sicherheit­spolitisch­en Interessen zuwiderlau­fe. Norwegen gehört der Nato an. Die Russen wiederum beteuerten, alles zu unternehme­n, damit die Übernahme nicht gegen das nationale Sicherheit­sgesetz Norwegens verstoße.

In Bayern geht es indes nicht um eine militärisc­h relevante Technologi­e, sondern um zivile Züge. In der kommenden Woche könnte sich zeigen, ob der bayerisch-britischsc­hweizerisc­h-russische Wirtschaft­skrimi Fahrt aufnimmt oder mit einer gütlichen Einigung rasch aufs Abstellgle­is geschoben wird.

Wie die Verhandlun­gen ausgehen, gilt in Bahnkreise­n als offen. Die Schweizer scheinen auf alle Fälle zu hoffen, dass auch in Deutschlan­d Politiker auf den Zug aufspringe­n und Stadler beistehen.

Ein Gespräch zu den Bedenken steht an

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Foto: Stadler Das Unternehme­n Go‰ahead hat für sein schwäbisch­es Netz auch Züge des Schweizer Hersteller­s Stadler gekauft. Um die künftige Wartung ist nun ein Streit entbrannt. Stadler befürchtet Industries­pionage.

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