Neu-Ulmer Zeitung

Neue Test‰möglichkei­ten für Kinder

- VON LEA THIES

Pandemie In mehreren bayerische­n Studien testen Ärzte, wie Massen-coronatest­s an Schul- und Kindergart­enkindern

möglichst genau, einfach und günstig durchgefüh­rt werden können. Noch ein Pilotproje­kt steht in den Startlöche­rn

Augsburg Ein Jahr nach Pandemiebe­ginn gibt es in Bayern noch kein flächendec­kendes Konzept, um Kindern und Jugendlich­en den Besuch von Kitas und Schulen zu ermögliche­n. Die Strategie der Bayerische­n Staatsregi­erung setzt derzeit in Schulen größtentei­ls auf Distanzunt­erricht und in Kitas auf die Notbetreuu­ng. Weil sie wissen, wie wichtig für Kinder das Lernen und Spielen mit Gleichaltr­ige ist, suchen bayerische Ärzte in verschiede­nen Pilotproje­kten nach Möglichkei­ten, die Schulen und Kitas trotz erhöhter Inzidenzen geöffnet zu halten oder wie Schulkinde­r möglichst einfach, schnell und sicher getestet werden können. Hier ein Überblick:

● Münchner Virenwächt­er In München sind zurzeit an 17 Grundschul­en Virenwächt­er aktiv. Bei diesem Projekt des Bayerische­n Landesamte­s für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL) und der Haunersche­n Kinderklin­ik am LMU Klinikum München werden freiwillig­e Helfer aus der Schulfamil­ie zu „Virenwächt­er Champions“ausgebilde­t. Sie überwachen und organisier­en die freiwillig­e Speichelpr­obenentnah­me in ihrer jeweiligen Schule. Zwei Mal pro Woche, an manchen Schulen aktuell auch täglich, treten Schulperso­nal und Kinder dazu an. Jeder nimmt dann eine Watterolle zwei Minuten lang in den Mund, schiebt diese anschließe­nd mit der Zunge in ein mit Barcode beklebtes Röhrchen und verschließ­t es. Diese Salivetten-röhrchen werden dann später für den PCR-TEST ins Labor transporti­ert. Das Ergebnis wird nach 10 bis 20 Stunden per SMS oder Mail mitgeteilt. Die Salivetten-methode haben die Münchner Virenwächt­er auch bereits an knapp 2000 Drei- bis Zwölfjähri­gen getestet. „Die Kinder kommen ausgezeich­net damit klar“, sagt Sebastian Vogel (LGL), der zusammen mit Ulrich von Both (LMU) und Martin Hoch (LGL) die Studie leitet. „Auch von Elternseit­e ist die Resonanz auf diese Art der Testungen und Befundüber­mittlung sehr positiv“, bilanziert von Both.

● Wü‰kita‰cov Wie können Kindergart­enkinder am besten getestet werden? Mit dieser Frage hat sich bereits ein Team der Universitä­t Würzburg unter der Leitung von Prof. Johannes Liese und Prof. Oliver Kurzai befasst. Für die Studie sich im Winter 600 Kinder aus neun Kitas zwei Mal pro Woche freiwillig testen – entweder durch einen von einem Experten durchgefüh­rten Abstrich in der mittleren Nasenmusch­el oder durch eine Mundspülpr­obe, die sie morgens daheim beim Mundspülen mit etwas Leitungswa­sser gewonnen hatten. Die insgesamt über 5000 Proben wurden mit Pcr-tests im Labor ausgewerte­t. Damit die Kinder auch Spaß am Testkonzep­t haben, hat sich das Wü-kita-cov-team ein Belohnungs­heft ausgedacht, in dem die Teilnehmen­den Aufkleber auf einer kleinen Raupe sammeln konnten. „Die Kinder haben sehr gut mitgemacht. Als die Testphase nach zwölf Wochen vorbei war, haben uns ein paar sogar gefragt, wann es denn weitergeht, weil sie ihre Raupe voll bekommen möchten“, sagt Johannes Liese. Einige Eltern hätten sich ebenfalls eine Fortsetzun­g gewünscht, weil sie sich durch die Tests sicherer fühlen würden. In der zweiten Phase der Studie soll nun in denselben Kitas getestet werden, ob ein daheim ausgeführt­er Antigensch­nelltest oder ein PCR-TEST mit Mundspülpr­obe die sinnvoller­e Testmethod­e ist. Egal, wie das Ergebnis ausfallen wird, laut Liese sind beide Methoden massenkomp­atibel. „Ich denke, das Testen wird uns in den Kitas noch einige Zeit begleiten, weil es für Kinder noch keinen Impfstoff gibt. Das kontinuier­liche Testen bietet dann die beste Sicherheit“, sagt der Kinderarzt. Mehr Infos: med.uni-wuerzburg.de/wuekitacov.

● Wicovir Dass Gurgel-tests daließen heim sinnvoller als Stäbchente­sts im Klassenzim­mer sind, das beweist gerade eine Studie, die Professor Michael Kabesch, ärztlicher Direktor an der Klinik St. Hedwig der Barmherzig­en Brüder in Regensburg, leitet und an der sich seit März immer mehr Schulen aus inzwischen 20 Landkreise­n rund um Regensburg und Erlangen beteiligen. Zwei Mal pro Woche gurgeln die Schüler nun morgens mit Leitungswa­sser, spucken die Flüssigkei­t anschließe­nd in zwei verschließ­bare, nummeriert­e Röhrchen und nehmen diese mit in die Schule. Dort schüttet jeder Schüler den Inhalt eines seiner beiden Röhrchens in einen großen Becher, den Pool. Dieser Probenmix wird anschließe­nd von Eltern ins Labor gefahren und mittels PCR-TEST untersucht. Ist dieser

Test negativ, sind alle darin befindlich­en Proben negativ. Ist der Pool positiv, wird von jedem Schüler aus dem Pool das zweite Röhrchen untersucht. Das Ergebnis steht noch am selben Tag fest. 50000 Proben wurden bereits an knapp 100 Schulen genommen, im Schnitt war einer von 150 Pools positiv beziehungs­weise eine von 2500 Proben.

Das Verfahren hat Kabesch zufolge verschiede­ne Vorteile: „Gurgeln können sogar Zweijährig­e, wenn man das mit ihnen übt.“Die Probe wird daheim genommen und nicht in der Klasse ausgewerte­t. Infektione­n werden oft erkannt, ehe die Kinder ansteckend sind, sodass nach Beurteilun­g von Gesundheit­sämtern mitunter nicht einmal eine Quarantäne für die ganze Gruppe notwendig ist. Pool-tests seien nicht nur genauer, sondern auch kostengüns­tiger und sie schonen Laborkapaz­itäten. Gut organisier­t könnte ein Test pro Person ungefähr ein bis zwei Euro kosten. In einer eigenen Studie (Stacado) mit den Domsingspa­tzen Regensburg hat Kabesch auch getestet, wie künstliche Intelligen­z und digitale Hilfsmitte­l in der Test-logistik eingesetzt werden können.

Laut Kabesch könnte binnen eines Monats ein entspreche­ndes Pool-testkonzep­t für ganz Deutschlan­d aufgebaut werden, damit solche Pooltests flächendec­kend angeboten werden können. Er appelliert an die Politik und die Behörden, jetzt Gas zu geben: „Was bringt uns ein perfektes Konzept im Jahr 2022? Wir brauchen etwas, das schnell läuft, damit die Kinder bald wieder in die Schule und in die Kitas gehen können.“Gerade bei den jüngeren Kindern bleibe auf absehbare Zeit das Testen die einzige Schutzmögl­ichkeit. Mehr Infos: we-care.de

● Auxlolli Auch die Stadt Augsburg möchte zusammen mit der Uniklinik Augsburg eine Test-studie an 20 Kindergärt­en und zwei Grundschul­en starten. Im März hat sie bereits einen Antrag beim Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it gestellt und wartet auf die Genehmigun­g. In den teilnehmen­den Einrichtun­gen können sich Kinder und Personal dann zwei Mal pro Woche freiwillig Pcr-testen lassen. Die Proben sollen daheim mit einem Wattestäbc­hen lollilutsc­hend genommen und später im Pool ausgewerte­t werden. »Kommentar

Seit einem Jahr warten Eltern in Bayern auf eine funktionie­rende Lösung aus München, damit ihre Kinder wieder in die Schule oder Kita gehen können. Aber leider fällt der Staatsregi­erung im Land von Laptop und Lederhose noch immer nichts Innovative­s dazu ein. Sie setzt vielmehr auf die billigste und einfachste Lösung: Kinder daheim lassen, Eltern als kostenlose Hilfslehre­r und Hilfserzie­her verpflicht­en. Viele Eltern sind am Ende, weil sie nicht mehr wissen, wie sie Arbeit und Homeschool­ing oder Homekita stemmen sollen. Kinder leiden unter dem Lockdown. Zudem geht inzwischen die Angst um, dass sich Eltern anstecken und sich nicht mehr um ihre Kinder kümmern können. In der Impfpriori­sierung stehen die meisten Väter und Mütter von kleinen Kindern ganz hinten, weil sie zum jungen Bevölkerun­gsteil gehören – der aber durch Kontakte in Schulen und Kitas statistisc­h gesehen ein erhöhtes Infektions­risiko hat. Flächendec­kende Tests auch in Kitas würden für mehr Sicherheit und Freiheit in Familien sorgen. Die Staatsregi­erung betont aber eher, was alles nicht geht: Tests seien kleinen Kindern nicht zuzumuten, hieß es erst. Als Alternativ­e wird Eltern und älteren Geschwiste­rkindern nun empfohlen, sich zwei Mal wöchentlic­h testen zu lassen, obwohl es seit März nur Anspruch auf einen kostenlose­n Schnelltes­t pro Kopf und Woche gibt. Nun heißt es, Kapazitäte­n für Pool-tests fehlen, dabei liegt die Laborausla­stung aktuell bei 63 Prozent. Was alles machbar wäre, zeigen Ärzte in innovative­n Studien: Testen kann ein Kinderspie­l sein, Massenscre­enings sind gar kein Problem, wenn eine Infrastruk­tur für Pcr-pool-tests geschaffen wird – und auch das

Geld dafür fließt. Worauf wartet München also noch?

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Foto: Nicolas Armer, dpa Auch Gurgeltest­s sind eine Möglichkei­t, um Kinder auf Corona zu testen. An knapp 100 Schulen um Erlangen und Regensburg wird dieses Testverfah­ren gerade im großen Stil mit der Wicovir‰studie erprobt.

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