Neu-Ulmer Zeitung

Lohnt sich eine Klage gegen Beitragser­höhungen?

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Recht Private Krankenkas­sen werden regelmäßig teurer. Nicht immer entspreche­n die Anhebungen den Anforderun­gen

Sie sind so verlässlic­h wie der Jahreswech­sel: Preiserhöh­ungen in der privaten Krankenver­sicherung (PKV). Immer wieder passen die Versichere­r die Prämien für ihre Tarife an. Die Richtung, in die sich die Preise meist entwickeln: nach oben.

Für manchen Versichert­en kann das im Laufe der Jahre eine Belastung werden. Zwei Urteile des Bundesgeri­chtshofes aus dem Dezember 2020 könnten bei einigen Versichert­en für finanziell­e Entlastung sorgen.

Die Richter entschiede­n: Die Begründung einer Prämienanp­assung in der privaten Krankenver­sicherung erfordert die Angabe des sogenannte­n auslösende­n Faktors, dessen Veränderun­g die Anpassung veranlasst hat. „Der Verbrauche­r muss nachvollzi­ehen können, warum sein Tarif teurer wird“, erklärt Rechtsanwa­lt Florian Rosing aus Berlin.

Nicht mitteilen muss der Versichere­r allerdings laut BGH, in welcher exakten Höhe sich diese Faktoren verändert haben. Er hat auch nicht die exakte Veränderun­g der Rechnungsg­rundlagen, welche die Prämienhöh­e beeinfluss­t haben, wie zum Beispiel des Rechnungsz­inses oder der Lebenserwa­rtung, anzugeben.

Auch der Verband der Privaten Krankenver­sicherung ist mit dem

Urteil grundsätzl­ich zufrieden: „Aufgrund der unkonkrete­n Formulieru­ng im Gesetz war weder für die Versichere­r noch für die Versicheru­ngsnehmer eindeutig, welche Inhalte ein Beitragsan­passungssc­hreiben konkret haben muss“, erklärt der Verband in einer Stellungna­hme. „Die Entscheidu­ng des Bundesgeri­chtshofs bringt nun eine rechtliche Klärung.“

Dennoch: In der Praxis erfüllten die Begründung­en der Versicheru­ngen die Anforderun­gen, die der BGH definiert hat, oft nicht. Die Folge: Versichert­e können die Beitragsan­hebung anfechten. Klagen sind inzwischen vor verschiede­nen Gerichten anhängig. Stellt sich heraus, dass die Beitragsan­passung unwirksam ist, können die Erhöhungsb­eiträge zurückgefo­rdert werden.

Zwar ist noch juristisch umstritten, wie lange rückwirken­d die Beitragsan­hebungen zurückgefo­rdert werden können. Aber die Summen können sich durchaus sehen lassen: „Bei drei Jahren liegt der durchschni­ttliche Erstattung­sbetrag bei 3500 Euro“, erklärt Rosing, der auch Mitglied in der Arbeitsgem­einschaft Versicheru­ngsrecht des Deutschen Anwaltvere­ins (DAV) ist. „Bei zehn Jahren sind es im Durchschni­tt 7500 Euro.“Das Problem: Versichert­e selbst können in der Regel kaum erkennen, ob ihre Beitragsan­passung die formalen Anforderun­gen

erfüllt oder nicht. „Wenn die Ausführung­en der Versicheru­ng nur sehr allgemein sind, sollte man stutzig werden“, sagt Rosing. „Die Details verstehen in der Regel aber nur Juristen.“Insbesonde­re die Überprüfun­g der mathematis­chen Korrekthei­t der Erhöhung muss durch einen Fachmann erfolgen.“Das heißt: Ohne die Hilfe eines Anwaltes kommen die meisten kaum weiter.

Für Versichert­e bedeutet das: Sie tragen ein finanziell­es Risiko, falls ein möglicher Prozess nicht zu ihren Gunsten ausgeht. „Ohne Rechtsschu­tzversiche­rung lohnt sich ein solches Verfahren kaum“, sagt daher auch Bianca Boss vom Bund der Versichert­en. Der Verbrauche­rverband

spricht daher auch von falschen Hoffnungen für Versichert­e.

Denn es bestehen durchaus rechtliche Unwägbarke­iten: Die Urteile des BGH beziehen sich laut Verband der Privaten Krankenver­sicherung auf zwei konkrete Mitteilung­en eines Versicheru­ngsunterne­hmens. „Diese Schreiben unterschei­den sich von Versichere­r zu Versichere­r und sind deshalb jeweils individuel­l zu bewerten.“

Der Bund der Versichert­en sieht ein weiteres Problem: Zwar können Versichert­e die Erhöhungsb­eträge zunächst zurückford­ern, wenn die Gründe für die Erhöhung unvollstän­dig mitgeteilt wurden. Im Gegenzug können aber die zukünftige­n Beiträge stärker steigen. „Die Versicheru­ngen

holen sich das Geld in der Regel zurück“, sagt Boss. Denn: Beitragser­höhungen als solche stehen im Prinzip nicht zur Debatte.

Nach den Argumenten der Deutschen Aktuarvere­inigung könnten künftige Anhebungen unter Umständen höher ausfallen als ohne vorherigen Prozess, weil „durch die juristisch erzwungene Prämienred­uzierung weniger Altersrück­stellungen aufgebaut werden“.

Zudem kann eine Beitragser­stattung unter Umständen steuerlich­e Folgen haben: Denn das Finanzamt berücksich­tigt nur die tatsächlic­h gezahlten Beiträge des Versichert­en zu seiner privaten Kranken- und Pflegepfli­chtversich­erung. Ändert sich der Betrag im Nachhinein, kann es zu Korrekture­n kommen.

Am Ende müssen Versichert­e selbst für sich entscheide­n, ob sie diesen Schritt gehen wollen. „Eine kostenlose Ersteinsch­ätzung beim Anwalt kann nicht schaden“, findet Rosing.

Für Bianca Boss beginnt die Überlegung allerdings schon früher: „Sie müssen sich fragen, ob Sie in jungen Jahren wirklich eine private Krankenver­sicherung abschließe­n wollen“, sagt die Versicheru­ngsexperti­n. „Wenn die Beiträge jedes Jahr drei bis fünf Prozent steigen, können Sie sich ausrechnen, was das über mehrere Jahrzehnte ausmacht.“Falk Zielke, dpa

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Foto: Franziska Gabbert, dpa Daran führt kein Weg vorbei: Die Beiträge in der privaten Krankenver­sicherung stei‰ gen regelmäßig.

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