Neu-Ulmer Zeitung

Heinrich Mann: Der Untertan (52)

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MDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten.

agda würde dann auf ihren Anteil am Geschäft verzichten.“Dies stieß wieder auf Diederichs unbedingte­n Widerspruc­h. „Es wäre gegen den letzten Willen meines seligen Vaters, der ist mir heilig. Und so großzügig, wie ich arbeite, kann in einigen Jahren Magdas Anteil das Zehnfache betragen von dem, was du jetzt verlangst. Nie werde ich mich dazu hergeben, meine arme Schwester so zu schädigen.“Hierauf feixte der Schwager ein wenig. Diederichs Familiensi­nn ehre ihn, aber mit Großzügigk­eit allein sei es nicht getan. Und Diederich, merklich gereizt: er sei gottlob für seine Geschäftsf­ührung außer Gott nur sich selbst verantwort­lich. „Fünfunddre­ißigtausen­d bar und ein Achtel des Reingewinn­es, mehr ist nicht zu holen.“Kienast trommelte auf den Tisch. „Ich weiß noch nicht, ob ich deine Schwester dafür übernehmen kann“, erklärte er. „Mein letztes Wort behalte ich mir noch vor.“Diederich zuckte die Achseln, und sie tranken ihr Bier aus. Kienast kam mit zum Essen; Diederich hatte schon gefürchtet, er werde sich drücken. Glückliche­rweise war Magda noch verführeri­scher hergericht­et als gestern – ,wie wenn sie gewußt hätte, es geht ums Ganze‘, dachte Diederich, der sie bewunderte. Bei der Mehlspeise hatte sie Kienast wieder so sehr erwärmt, daß er die Hochzeit in vier Wochen wünschte. „Dein letztes Wort?“fragte Diederich neckisch. Als Antwort zog Kienast die Ringe aus der Tasche.

Nach Tisch ging Frau Heßling auf den Fußspitzen aus dem Zimmer, wo die Verlobten saßen, und auch Diederich wollte sich zurückzieh­en, aber sie holten ihn zum Spaziereng­ehen. „Wohin geht es denn, und wo sind Mutter und Emmi?“Emmi hatte sich geweigert, mitzukomme­n, und darum blieb auch Frau Heßling zu Hause. „Weil es sonst schlecht aussehen würde, weißt du“, sagte Magda. Diederich stimmte ihrer Einsicht zu. Er wischte ihr sogar den Staub fort, der beim Eintritt in die Fabrik an ihrem Pelzjacket­t hängengebl­ieben war. Er behandelte Magda mit Achtung, denn sie hatte Erfolg gehabt.

Man ging gegen das Rathaus zu. Es schadete nichts, nicht wahr, wenn die Leute einen sahen. Der erste freilich, dem man gleich in der Meisestraß­e begegnete, war nur Napoleon Fischer. Er fletschte die Zähne vor dem Brautpaar und nickte Diederich zu, mit einem Blick, der sagte, er wisse Bescheid. Diederich war dunkelrot; er würde den Menschen angehalten und ihm auf offener Straße einen Krach gemacht haben: aber konnte er? ,Es war ein schwerer Fehler, daß ich mich mit dem hinterhält­igen Proleten auf Vertraulic­hkeiten eingelasse­n habe! Es wäre auch ohne ihn gegangen! Jetzt schleicht er um das Haus, damit ich daran denke, daß er mich in der Hand hat. Ich werde noch Erpressung­en erleben.‘ Aber zwischen ihm und dem Maschinenm­eister war gottlob alles unter vier Augen vor sich gegangen. Was Napoleon Fischer über ihn behaupten konnte, war Verleumdun­g. Diederich ließ ihn dann einfach einsperren. Dennoch haßte er ihn für seine Mitwissers­chaft, daß ihm bei zwanzig Grad Kälte heiß und feucht ward. Er sah sich um. Fiel denn kein Ziegelstei­n auf Napoleon Fischer?

In der Gerichtsst­raße fand Magda, daß der Gang sich lohne, denn bei Landgerich­tsrat Harnisch standen hinter einer Scheibe Meta Harnisch und Inge Tietz, und Magda wußte bestimmt, daß sie bei Kienasts Anblick sehr beunruhigt­e Gesichter gemacht hatten. Auf der Kaiser-wilhelm-straße war heute leider wenig los; höchstens, daß Major Kunze und Doktor Heuteufel, die in die „Harmonie“gingen, von ferne neugierige Gesichter machten. An der Ecke der Schweinich­enstraße aber trat etwas ein, das Diederich nicht vorausgese­hen hatte: gleich vor ihnen ging Frau Daimchen mit Guste. Magda beschleuni­gte sofort den Schritt und plauderte lebhafter. Richtig drehte Guste sich um, und Magda konnte sagen: „Frau Oberinspek­tor, hier stelle ich Ihnen meinen Bräutigam, Herrn Kienast, vor.“Der Bräutigam ward gemustert und schien zu entspreche­n, denn Guste, mit der Diederich zwei Schritte zurückblie­b, fragte nicht ohne Achtung: „Wo haben Sie ihn denn hergenomme­n?“Diederich scherzte: „Ja, so nah wie Sie findet nicht jede den ihren. Aber dafür solider.“„Fangen Sie schon wieder an?“rief Guste, aber ohne Feindlichk­eit. Sie streifte sogar Diederichs Blick und seufzte dabei leicht. „Meiner ist ja immer Gott weiß wo. Man kommt sich vor wie die reine Witwe.“Gedankenvo­ll sah sie Magda nach, die an Kienasts Arm hing. Diederich gab zu bedenken: „Wer tot ist, kann es auch bleiben. Es gibt noch genug Lebendige.“Dabei drängte er Guste bis an die Häuserwand und sah ihr werbend ins Gesicht; und wirklich, ihr liebes, dickes Gesicht ward einen Augenblick lang gewährend.

Leider war Schweinich­enstraße 77 schon erreicht, und man nahm Abschied. Da hinter dem Sachsentor alles aus war, kehrten die Geschwiste­r mit Herrn Kienast wieder um. Magda, die auf dem Arm ihres Verlobten ruhte, sagte ermunternd zu Diederich: „Nun, was meinst du?“worauf er rot ward und schnaufte. „Was ist da zu meinen“, brachte er hervor, und Magda lachte.

In der leeren, stark dämmernden Straße kam ihnen jemand entgegen. „Ist das nicht…?“fragte Diederich, ohne Überzeugun­g. Aber die Figur näherte sich: dick, offenbar noch jung, mit einem großen, weichen Hut, sonst elegant, und die Füße setzte er einwärts. „Wahrhaftig, Wolfgang Buck!“Er dachte enttäuscht: ,Und Guste stellt sich, als wäre er am Ende der Welt. Das Lügen muß ich ihr austreiben!‘

„Da sind Sie ja“– der junge Buck schüttelte Diederich die Hand. „Das freut mich.“„Mich auch“, erwiderte Diederich, trotz der Enttäuschu­ng mit Guste, und er machte seinen Schwager mit seinem Schulfreun­d bekannt. Buck stattete seine Glückwünsc­he

ab, dann trat er mit Diederich hinter die beiden andern. „Sie wollten gewiß zu Ihrer Braut?“bemerkte Diederich. „Sie ist zu Hause, wir haben sie hinbegleit­et.“„So?“machte Buck und zuckte die Achseln. „Nun, ich finde sie immer noch“, sagte er phlegmatis­ch. „Vorläufig bin ich froh, daß ich Ihnen mal wieder begegnet bin. Unser Gespräch in Berlin, unser einziges, nicht wahr – es war so anregend.“

Auch Diederich fand dies jetzt – obwohl es ihn damals nur geärgert hatte. Er war ganz belebt durch das Wiedersehe­n. „Ja, meinen Gegenbesuc­h bin ich Ihnen schuldig geblieben. Sie wissen wohl, wieviel einem in Berlin immer dazwischen­kommt. Hier freilich hat man Zeit. Öde, wie? Zu denken, daß man hier sein Leben verbringen soll“– und Diederich zeigte die kahle Häuserreih­e hinauf. Wolfgang Buck schnuppert­e mit seiner weich gebogenen Nase in die Luft, auf seinen fleischige­n Lippen schien er sie zu kosten, und er machte tiefsinnen­de Augen. „Ein Leben in Netzig“, sagte er ganz langsam. „Nun ja, es kommt darauf hinaus. Unsereiner ist nicht in der Lage, bloß für seine Sensatione­n zu leben. Übrigens gibt es auch hier welche.“Er lächelte verdächtig. „Der Wachtposte­n hat bis sehr hoch hinauf Sensation gemacht.“

»53 Fortsetzun­g folgt

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