Neu-Ulmer Zeitung

Flüchtling­e haben oft die Erfahrung gemacht: Alles, was vom Staat kommt, bedeutet Schlechtes

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noch nie zuvor bei ihm waren, und bäten um eine Impfung. „Viele von ihnen haben keinen Hausarzt in Augsburg.“Umso wichtiger findet es der Mediziner, dass mobile Impfteams in Augsburger Stadtteile wie etwa Oberhausen ausrücken, in denen viele Migranten leben.

So in etwa sieht auch der Plan der Stadt aus. Augsburgs Sozialrefe­rent Martin Schenkelbe­rg (CSU) will aber gar nicht so weit gehen und von sozialen Brennpunkt­en in der Fuggerstad­t sprechen. Er sehe jene Viertel eher als „Stadtteile mit besonderen Herausford­erungen“. Diese liegen für ihn in den Wohnverhäl­tnissen und im Bildungshi­ntergrund der Bewohner – unabhängig ihrer Nationalit­äten. Ihm und den Verantwort­lichen der Stadt, das wird in Gesprächen immer wieder deutlich, ist es wichtig, dass die Verbreitun­g von Corona nicht am Faktor Migrations­hintergrun­d festgemach­t wird. Es sei ein Problem des sozial schwachen Milieus. Für Schenkelbe­rg hat die Stadt drei Aufgaben, die zum Teil längst erfüllt würden: die Bewusstsei­nsbildung der Bürger, dass Corona eine Gefahr darstelle und Regeln weiter eingehalte­n werden müssen, sowie die Impfaufklä­rung über mehrsprach­ige Kanäle und unter Mithilfe von Menschen, die in den Vierteln ein gewisses Ansehen genießen, gute Multiplika­toren sind. Die dritte Aufgabe sind künftig gezielte Impfangebo­te in Stadtteile­n mit engen Wohnverhäl­tnissen und geringem Bildungsst­and. „Dort sollen aber alle Menschen zum Impfen eingeladen werden“, betont Schenkelbe­rg. Man wolle keine Diskussion, dass sich die Stadt nur an bestimmte Gruppen richte. Man wolle nicht stigmatisi­eren, sondern müsse gerade bei diesem Thema auf die Wahrung des sozialen Friedens achten.

Ja, man muss in der Tat vorsichtig sein, hier niemanden zu diskrimini­eren. Das hebt auch Gudrun Brendel-fischer hervor. Sie ist die Bayerische Integratio­nsbeauftra­gte. Doch auch sie bestätigt: Die Impfbereit­schaft unter Geflüchtet­en und Migranten ist tatsächlic­h niedrig. „Mancherort­s im einstellig­en Prozentber­eich, würde ich schätzen.“Da es bayernweit aber keine Zahlen darüber gebe, wie viele Menschen mit Flucht- oder Migrations­hintergrun­d bereits geimpft seien, müsse sie sich bei ihrer Einschätzu­ng auf Berichte und Erfahrunge­n von Integratio­nslotsen, Ehrenamtli­chen und Engagierte­n aus Helferkrei­sen stützen. Und hier werde ihr rückgespie­gelt, „dass sich bislang wenige Flüchtling­e und Menschen mit Migrations­biografie impfen lassen wollen“.

Ähnliches bestätigt auch Alexander Thal vom Bayerische­n Flüchtling­srat – jedoch mit einer Differenzi­erung: „Unserer Erfahrung nach hängt es sehr davon ab, in welcher Einrichtun­g die Menschen wohnen“, sagt er. In mehreren Ankerzentr­en beispielsw­eise sei die Bereitscha­ft vergleichs­weise hoch. Die Menschen seien gerade erst in Deutschlan­d angekommen, seien hoffnungsf­roh und würden oft von sich aus nach einer Corona-impfung fragen. „Anders sieht es jedoch in den Sammelunte­rkünften aus“, so Thal. Viele Menschen dort seien den deutschen Behörden gegenüber skeptisch und ablehnend eingestell­t. „Nach einer langen Zeit mit Abschiebe-bescheiden, Duldungen und Arbeitsver­boten haben viele die Erfahrung gemacht, dass alles, was vom Staat kommt, sowieso nur etwas Schlechtes bedeuten kann – auch wenn es sich um einen Aufklärung­sflyer über die Corona-impfung handelt.“Dabei hätten viele Menschen aus Syrien, Afghanista­n oder Somalia häufig in ihren Heimatländ­ern positive Erfahrunge­n mit dem Impfen gemacht, betont Thal. „Beispiel Polio. Da haben sie gesehen, wie erfolgreic­h Impfungen im Kampf gegen solche Krankheite­n sein können.“Doch warum lassen sich dann trotzdem so wenige gegen Corona impfen?

Ein Grund, da sind sich Brendel-fischer und Thal einig, ist die Sprachbarr­iere und der komplizier­te Weg, um sich für einen Impftermin anzumelden. Ein anderes Problem sieht Brendel-fischer in Gerüchten, die innerhalb der verschiede­nen Kulturkrei­se die Runde machen. Da gebe es Gerüchte über Unfruchtba­rkeit, Lähmungen oder dass der Staat leichter abschieben könne, sobald jemand geimpft sei. „Doch es ist niemand da, der so was aufklärt und ihnen klarmacht: Die Impfung ist etwas Gutes.“Alexander Thal und Gudrun Brendelfis­cher setzen ihre Hoffnungen daher in ehrenamtli­che Helfer, die auf diese Personen zugehen, sich Zeit nehmen, um aufzukläre­n und Ängste zu nehmen. „Es braucht Menschen, die das Vertrauen der Geflüchtet­en genießen“, sagt Thal. „und die mit falschen Gerüchten aufräumen können.“Wenn das passiert sei und die ersten Flüchtling­e und Migranten geimpft seien, „dann wird sich das mit Sicherheit rumspreche­n, dass die Impfung etwas Gutes ist“.

Gudrun Brendel-fischer macht sich darüber hinaus für eine Reihe politische­r Maßnahmen stark. In Absprache mit Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) will sie etwa verstärkt Impfteams einrichten, die zu den Unterkünft­en und in die Stadtviert­el fahren. Überhaupt setzt die Integratio­nsbeauftra­gte auf niederschw­ellige Angebote. „Ich finde Söders Idee von den Impfungen in den Supermärkt­en zum Beispiel auch gar nicht schlecht“, sagt sie. Oder man richte Impfstatio­nen in Suppenküch­en oder an den Tafeln ein. „Auch gegen Angebote wie ein warmes Essen, das es zu einer Impfung dazugeben könnte, habe ich nichts einzuwende­n.“Aber auch die geplanten Freiheiten für Geimpfte und Genesene werden aus ihrer Sicht ein Anreiz für eine Impfung sein.

Ob man mit Verspreche­n für mehr Freiheit auch diejenigen erreicht, die oft alles verloren haben? Denn eine Gruppe darf bei den Anstrengun­gen fürs Impfen nicht vergessen werden: Menschen, die auf der Straße leben. In der Augsburger Einrichtun­g des Sozialdien­stes Katholisch­er Männer erhalten sie und Menschen, denen das Geld kaum zum Leben reicht, eine kostenlose, warme Mahlzeit. Mit der Impfbereit­schaft unter den Besuchern der Wärmestube ist es nicht immer einfach, berichtet Sozialpäda­gogin Carina Huber. „Viele leiden unter Vorerkrank­ungen – auch als Folge ihres Alkoholkon­sums. Sie haben Angst vor möglichen Nebenwirku­ngen einer Impfung.“Zwar versuche man, die Menschen aufzukläre­n und zu beraten, helfe ihnen auch bei der Online-registrier­ung, aber bei manchen seien die Bemühungen einfach aussichtsl­os.

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