Neu-Ulmer Zeitung

Deutschlan­d fällt zurück

- VON RUDI WAIS

Leitartike­l Hohe Arbeitskos­ten, teure Energie und eine ausufernde Bürokratie: Der Standort D verliert an Wettbewerb­sfähigkeit. Kann die neue Regierung gegensteue­rn?

Die Börse lügt nicht. Verglichen mit den anderen europäisch­en Indizes oder dem Dow Jones in den USA liegt der deutsche Dax im Jahresverg­leich mit seiner Wertentwic­klung auf einem der hintersten Plätze. Volkswirts­chaften wie die in Polen, in Frankreich, Spanien oder Österreich wachsen heute dynamische­r, entspreche­nd interessan­t sind sie für Investoren. Dass die Bundesrepu­blik Jahre soliden Wachstums hinter sich hat? Geschenkt. An der Börse wird Zukunft gehandelt – und da häufen sich die schlechten Nachrichte­n aus Deutschlan­d gerade.

Die Inflation hoch, die Energiepre­ise auf Rekordnive­au, die Industriep­roduktion im August deutlich niedriger als erwartet: Obwohl die Forschungs­institute für das kommende Jahr ein Wachstum von vier Prozent und mehr erwarten, fällt der Standort Deutschlan­d in den einschlägi­gen Vergleiche­n kontinuier­lich zurück – beim bürokratis­chen Aufwand ebenso wie bei der Steuerbela­stung, den Arbeitskos­ten oder dem Zustand der Infrastruk­tur. Besonders drastisch liest sich eine Studie der Weltbank, die die Bedingunge­n für Unternehme­nsgründer untersucht hat. Hier liegt die Bundesrepu­blik auf Platz 120, noch hinter Ländern wie Guinea, Dschibuti und Mali.

Solange die Regierunge­n von Angela Merkel von den Reformen der Schröder-jahre profitiert haben, so wenig haben sie selbst getan, um die Wettbewerb­sfähigkeit des Standortes Deutschlan­d zu stärken. Entspreche­nd groß ist der Reformbeda­rf jetzt, da Sozialdemo­kraten, Grüne und Liberale über eine neue Regierung verhandeln. Vor allem die hohen Stromkoste­n haben sich zu einem unternehme­rischen Risiko entwickelt – ein Punkt, der in der Debatte um einen besseren Klimaschut­z weitgehend ausgeblend­et wird. Ohne eine größere Kompensati­on an anderer Stelle aber, sei es durch einen

Verzicht auf die Öko-umlage, sei es durch eine deutliche Reduzierun­g der Stromsteue­r, rechnet sich das Produziere­n in Deutschlan­d für viele Unternehme­n irgendwann nicht mehr. Der Münchner Chipzulief­erer Siltronic etwa verlegt einen Teil seiner Produktion gerade nach Singapur und begründet das vor allem mit dem teuren Strom in Deutschlan­d. Am neuen Standort zahlt er weniger als die Hälfte.

Technologi­sch ist die deutsche Wirtschaft noch immer Weltspitze. Wenn sie diese Kompetenz dauerhaft im Land halten will, darf die neue Bundesregi­erung aber nicht weiter an der Belastungs­schraube drehen. Und mit Belastung sind keineswegs nur finanziell­e Zumutungen wie eine Vermögenss­teuer oder ein deutlich höherer Mindestloh­n gemeint. Auch die in Teilen marode Infrastruk­tur, die Defizite bei der

Digitalisi­erung oder ineffizien­te Verwaltung­en machen der Wirtschaft zu schaffen. Armin Laschets Metapher vom Modernisie­rungsjahrz­ehnt war deshalb gut gewählt. Ob Olaf Scholz sich ebenfalls davon leiten ließe? Mit der Spd-linken und den Grünen sitzen ihm Kräfte im Rücken, die im Zweifel lieber zu viel regeln als zu wenig.

Gerhard Schröder hat sich in einer ähnlich schwierige­n Situation entschiede­n, Politik nicht gegen die Wirtschaft zu machen, sondern mit ihr. Für die Kühnerts, die Eskens und Trittins im politische­n Berlin aber ist ein Unternehme­r immer noch eine Art Klassenfei­nd. Dieses alte Denken zu überwinden und das Land aus dem Reformstau zu führen ist die vielleicht größte Herausford­erung für die neue Regierung. Mit den (Wohlstands-) Jahren ist Deutschlan­d träge geworden, saturiert und ein wenig larmoyant auch. Dabei blinken die ersten Alarmzeich­en bereits hellrot: Die Auftragsei­ngänge etwa sind im August um sieben Prozent eingebroch­en. Ökonomen nennen so etwas einen Frühindika­tor.

Der Unternehme­r

ist kein Klassenfei­nd

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