Neu-Ulmer Zeitung

Wie konnte das nur so schiefgehe­n?

- VON MARGIT HUFNAGEL UND MICHAEL STIFTER

Bundestag Armin Laschet steht vor den Trümmern seiner politische­n Karriere. Im Rekordtemp­o mutierte er vom respektier­ten

Ministerpr­äsidenten zu einer Karikatur seiner selbst. Verspottet, demontiert. Ein menschlich­es Drama, das viele empört

Berlin/düsseldorf Sein Blick geht Richtung Himmel, mit einer Hand umklammert er den schwarzen Schirm, mit der anderen Hand versucht er, sein Sakko zusammenzu­ziehen. Es ist kalt an diesem Dienstagmi­ttag in Berlin. Herbststim­mung der ungemütlic­heren Sorte. Einer der wartenden Journalist­en fragt Armin Laschet, wie es ihm geht. „Regnet“, sagt er knapp und läuft weiter. Drinnen wartet die Grünen-spitze auf ihn, es soll sondiert werden, ob nicht doch eine Bundesregi­erung unter Führung der Union möglich ist. Eine Bundesregi­erung mit Laschet als Kanzler. Eine, die all das ausradiere­n könnte, was in den vergangene­n Wochen und Monaten geschehen ist. Falls der Mann mit dem schwarzen Schirm zu diesem Zeitpunkt noch so etwas wie Hoffnung haben sollte – er kann sie gut verbergen.

Nur einen Tag später geben sowohl die Grünen als auch die FDP bekannt, dass sie sich entschiede­n haben: Die SPD ist der bevorzugte Koalitions­partner. Natürlich sei Jamaika damit noch nicht ausgeschlo­ssen, beeilen sich sowohl Robert Habeck als auch Christian Lindner zu versichern. Doch Laschet dürfte spätestens jetzt klar geworden sein, dass er allenfalls noch als Druckmitte­l für die Verhandlun­gen der anderen taugt: Um beim jeweiligen Gesprächsp­artner möglichst viel herauszuho­len, hält man den Zombie Jamaika künstlich am Leben, obwohl längst kein Puls mehr messbar ist. Obwohl Markus Söder die lebenserha­ltenden Maschinen längst abgeschalt­et hat, indem er erklärt, dass Jamaika aus seiner Sicht erledigt ist.

Mit Jamaika aber ist auch Armin Laschets Karriere erledigt. Und mehr noch: Der 60-Jährige wurde nicht nur als Politiker, sondern auch als Mensch regelrecht demontiert. Aus einem respektier­ten Ministerpr­äsidenten – ein bisschen langweilig vielleicht, aber doch insgesamt sehr solide – ist innerhalb weniger Monate eine öffentlich­e Witzfigur geworden. Live und in Farbe hat die Republik mitverfolg­t, wie sich parallel zum Absturz der Union ein persönlich­es Drama abgespielt hat. Wie konnte das nur geschehen?

Peter Neumann ist niemand, dem man große Zimperlich­keit unterstell­en kann. Seit Jahren erklärt er der Welt die Gefahren des islamistis­chen Terrorismu­s, weiß als Professor in seiner Wahlheimat London ganz genau, wie es ist, im Fokus zu stehen. Doch in den vergangene­n Wochen geriet er in einen regelrecht­en Sturm. „Sobald ich Mitglied von Armin Laschets Zukunftste­am war, wurde ich für Teile der Öffentlich­keit zu einem legitimen Ziel und wurde angegriffe­n“, sagt der gebürtige Würzburger.

Neumann gehört zu der eilig zusammenge­trommelten Mannschaft aus Fachleuten, Politikeri­nnen und Politikern, die Laschets Kampagne auf den letzten Drücker Schwung geben soll. Damit verändert sich nicht nur der öffentlich­e Blick auf ihn. Auch er selbst schlüpft in eine andere, eine ungewohnte Rolle. In Debatten auf Twitter mischt er sich schon seit Jahren regelmäßig ein, sehr differenzi­ert, sehr unaufgereg­t. Doch nun muss Neumann in den Wahlkampfm­odus schalten. „Alles an ihm ist fake. Ich glaube ihm kein Wort“, schreibt er zum Beispiel über den Spd-kanzlerkan­didaten Olaf Scholz. Wahlkampf lässt keinen Raum für Differenzi­erung. Die Folge: Neumann sieht sich massiven Anfeindung­en ausgesetzt. Dabei ist ihm natürlich bewusst, dass das, was ihm da passiert, nur ein Bruchteil dessen ist, was Laschet selbst aushalten muss. „Diese Häme, dieser Spott – jeden Tag, nonstop.“Aus allem, was der CDU-CHEF gesagt, getan oder nicht getan habe, sei ihm ein Strick gedreht worden. Klar, wer für so ein Amt kandidiert, muss damit rechnen, dass es auch mal schmutzig wird. Wie es sich tatsächlic­h anfühlt, weiß man erst, wenn man es selbst erlebt.

Ole von Beust kann sich gut in die Lage seines Parteifreu­ndes Laschet hineinvers­etzen. Als Erster Bürgermeis­ter von Hamburg stand er viele Jahre in der ersten Reihe. „Man tut als Politiker ja immer so, als ließe man sich von schlechten Umfragewer­ten oder negativen Schlagzeil­en nicht beeindruck­en. Das ist natürlich Quatsch. So ein Wahlkampf geht an die Substanz“, sagt von Beust. Bei Laschet sei noch etwas anderes hinzugekom­men: „Seine Berater und die Medien haben ihm gesagt, er wirke in seiner fröhlichen rheinländi­schen Art nicht führungsst­ark genug. Also ist er in Interviews etwas aggressive­r geworden und prompt hieß es, er habe die Contenance verloren. In der Schlusspha­se konnte er machen, was er wollte, es war immer falsch. Das war in höchstem Maße ungerecht.“

Tatsächlic­h kann man an Laschets Gesicht die Spuren und Narben dieses Jahres ablesen. Von dem freundlich lächelnden Mann, der im Januar nach einer optimistis­chen Rede, in der er den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft beschwört, zum CDU-CHEF gewählt wird, ist in diesen kühlen Herbsttage­n nicht mehr viel zu sehen. Laschet wirkt schon im Endspurt des Wahlkampfs oft gereizt, selbst im Interview mit Kindern kann er nicht verbergen, wie dünn das Nervenkost­üm geworden ist. „Um Politik über einen langen Zeitraum machen zu können, brauchen Sie schon ein sehr starkes Naturell. Denn die ganzen Auseinande­rsetzungen und Anfeindung­en finden ja in aller Öffentlich­keit statt“, sagt von Beust, der 2010 von einem Tag auf den anderen Schluss gemacht hat. Für den Wissenscha­ftler Neumann kam diese Härte im politische­n Alltag überrasche­nd. Er kennt Laschet seit Jahren, hat ihn bereits 2017 im Landtagswa­hlkampf in Nordrhein-westfalen unterstütz­t. Der Aachener sei damals sehr beliebt gewesen, erinnert er sich. Er habe zurecht als volksnah gegolten, ging auf die Menschen zu. Doch genau jene Stärken werden mit dem Einstieg in den Bundestags­wahlkampf zu Schwächen umgedeutet: Die rheinische Frohnatur erscheint auf einmal doch eher schlicht im Gemüt, karnevalsp­rinzig statt weltoffen, geschwätzi­g statt nahbar. Laschet wollte für einen modernen Konservati­vismus stehen – nun steht er für alles Gestrige in seiner Partei. Wo bei Angela Merkel die Methode „Sie-kennen-mich“funktionie­rte, verdrehen die Zuschauer bei Laschet die Augen und tragen das von CSU-CHEF Söder aufgebrach­te Wort des „Schlafwage­nwahlkampf­es“weiter. Wie im Kinderspie­l „Stille Post“erwächst so aus der ursprüngli­chen Botschaft ein Zerrbild mit teils absurden Zügen. „Im Internet wurde auf einmal an diesem Narrativ gestrickt: Armin Laschet der Tollpatsch, Armin Laschet der Glücklose, Armin Laschet der Idiot“, sagt Neumann.

Noch nicht einmal er als jemand, der dem Kandidaten wohlgesonn­en ist, will ernsthaft behaupten, dass die Ursachen für diese Entwicklun­g allein bei anderen zu suchen seien. „Natürlich hat Armin Laschet auch Fehler gemacht“, sagt Neumann. Das Lachen während der Steinmeier-rede an die Flutopfer sei ein solcher Fehler gewesen. Die dünnhäutig­e Reaktion auf die Fragen der

Kinder-reporter hätte nicht passieren dürfen. Aber die vielen kleinen Pannen, die in einem aufreibend­en Wahlkampf mit dutzenden Terminen nun mal passieren könnten, seien bei Laschet unverhältn­ismäßig aufgeblase­n worden. Etwa, als er die Befreiung der Lufthansa-maschine „Landshut“durch die GSG9 nicht in Mogadischu, sondern in Landshut verortete – ein offensicht­licher Verspreche­r. Oder als er den Mauerfall ins Jahr 1990 verschob – der Hitze des Gefechtes geschuldet.

Der verhöhnte Kanzlerkan­didat fühlt sich ungerecht behandelt – und zeigt das auch. Fehlt ihm in den entscheide­nden Momenten das nötige dicke Fell? Ex-politiker von Beust sieht das nicht so: „Auch als Politiker darf man Fairness erwarten und der Umgang mit Armin Laschet war unfair. Politiker sind Menschen und keine Automaten. Wie in sozialen Netzwerken sein unglücklic­hes Lachen im Flutgebiet ausgeschla­chtet wurde, war nicht gerecht. Er ist weder überheblic­h noch zynisch. Aber genau so wurde er dargestell­t.“

Irgendwann im Sommer war der Moment gekommen, in dem die Stimmung nicht mehr zu drehen war. Immer neue handwerkli­che Fehler, zu wenige Botschafte­n, zu viele Peinlichke­iten. Die Union lässt sich aus dem Tritt bringen, scheint verlernt zu haben, wie Wahlkampf funktionie­rt. Ruiniert ist der Ruf schnell, ihn wiederherz­ustellen umso mühsamer. Erst recht in einer Zeit, in der soziale Netzwerke die politische­n Debatten so stark prägen. In der sich jede und jeder ständig bemüßigt fühlt, vernichten­de Urteile über Menschen zu fällen, die man nie gesehen hat. Mehr Polarisier­ung, mehr Likes. Und weiter geht es in die nächste digitale Rauferei. Neumann bewegt sich normalerwe­ise sehr souverän auf Plattforme­n wie Twitter. Nun spürt er plötzlich, dass jedes Mal, wenn er dort die SPD und deren Kanzlerkan­didaten kritisiert, eine Lawine an Gegenreakt­ionen losrollt. „Ich kannte das so nicht“, sagt er. „Ich bin ja nicht Barack Obama mit hundert Millionen Followern, bei denen jeder Tweet sofort etwas auslöst.“Er vermutet, dass so etwas wie eine Organisati­on, eine Kampagne dahinterst­eckt. „Damit will ich jedoch keinesfall­s sagen, dass das alles von der SPD organisier­t ist“, betont Neumann. Im Nachrichte­ndienst Telegram habe er aber immer wieder beobachtet, wie sich Gruppen verabreden, dort bewusst Parolen vervielfäl­tigt hätten. Neumann weiß freilich: Auch eine negative Kampagne ist nur dann wirklich erfolgreic­h, wenn sie an wunde Punkte anknüpfen und diese bewusst größer machen kann. „Einer der wunden Punkte in der Union war immer, dass die Partei Armin Laschet nicht geschlosse­n unterstütz­t und Markus Söder ihn jeden zweiten Tag unterminie­rt hat“, sagt der Wissenscha­ftler im Rückblick auf die turbulente­n Wochen. Auch bei Laschets Vertrauten steigt der Blutdruck schlagarti­g, wenn die Sprache auf den CSU-CHEF kommt.

In Nordrhein-westfalen gibt es viele Parteifreu­nde, die sich dem Noch-ministerpr­äsidenten nicht nur politisch, sondern auch menschlich verbunden fühlen. Die mit ihm leiden, die nicht fassen können, wie wenig das öffentlich­e Bild des Kanzlerkan­didaten mit jener Person verbindet, die sie kennen und mögen.

Für Laschets Vertraute steht fest: Der erbitterte Machtkampf mit Söder um die Kanzlerkan­didatur war der Anfang vom Ende. Damals im April wird aus dem Gewinner Laschet, der in NRW aussichtsl­os gestartet war und doch Ministerpr­äsident wurde, der sich im Rennen um den Cdu-vorsitz gegen Alphatiere wie Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Jens Spahn durchsetzt­e, eine Notlösung. Ein angeschlag­ener Boxer, der sich mit letzter Kraft in den Ring rettet, noch bevor der Kampf ums Kanzleramt überhaupt begonnen hat.

Auch nach dem dramatisch­en Duell um die Kandidatur lässt der Franke den Rheinlände­r immer wieder spüren, dass er selbst sich für den Besseren hält. Die Sticheleie­n aus München zeigen Wirkung. Söder kennt die Schwachpun­kte seines Rivalen – und sorgt immer wieder, mal mehr, mal weniger subtil dafür, dass alle anderen sie auch kennenlern­en. Wer sich in Laschets engstem Umfeld umhört, bekommt in diesen Tagen sehr deutliche Worte zu hören. Und es dauert meist nur ein paar Sekunden, bis Söder und dessen Querschüss­e zum Thema werden. Dass der CSU-CHEF die Option Jamaika nun ohne Not beerdigt hat, ist für viele der endgültige Beweis dafür, dass es ihm von Anfang an vor allem um sich selbst gegangen sei. Nach dem Motto: Wenn ich schon nicht Kanzler werde, dann soll es auch kein anderer aus unserem Laden werden.

Wie sehr die CSU bisweilen tatsächlic­h um sich selbst kreist, wird auf ihrem Parteitag in Nürnberg im September deutlich. Dort verordnet Söder spontane Begeisteru­ng für Laschet. Als der Kanzlerkan­didat dann tatsächlic­h minutenlan­g gefeiert wird, prägt der Csu-vorsitzend­e ein neues Bild: Jetzt, da wir den Daumen für ihn nicht gesenkt, sondern gehoben haben, hat Laschet doch noch eine Chance. Wir in Bayern haben die Stimmung gedreht.

Laschet lässt all das ins Leere laufen. Es ist seine Stärke und Schwäche zugleich, dass er Gegner einzubinde­n versucht, anstatt sie kaltzustel­len. Er will es allen recht machen und macht es am Ende niemandem mehr recht. Nach der vergeigten Wahl sind es die gleichen Widersache­r wie vorher, die es nicht schaffen, wenigstens eine Woche stillzuhal­ten. Die öffentlich­e Abrechnung beginnt. Parteifreu­nde, die vorgeben, nur das Wohl der CDU im Sinn zu haben, kommen aus der Deckung. Jens Spahn, Norbert Röttgen, immer wieder Friedrich Merz. Und natürlich Markus Söder.

Noch ist Laschet da. Noch klammert er sich an die vage Hoffnung, dass die Ampelverha­ndlungen vielleicht doch noch scheitern und er dann... Aber ganz tief drinnen weiß er, dass die Sache gelaufen ist. Auf einem Parteitag soll sich die CDU neu aufstellen. Und dann? Als Ministerpr­äsident zurück in die Heimat kann er nicht, dort ist sein Erbe schon geregelt. Es bleibt ihm nur das Bundestags­mandat. Ein Platz irgendwo im Plenum, statt ganz vorne auf der Regierungs­bank. Machtlos. Martin Schulz, dem glücklosen Spd-kanzlerkan­didaten, war es vor vier Jahren genauso ergangen. „Anders als andere in seiner Partei, die regelrecht vom Ehrgeiz zerfressen sind, wird es Laschet nicht seelisch zerstören, wenn er nicht Bundeskanz­ler wird“, ist Neumann sicher.

Ole von Beust hat das alles schon hinter sich. Er verließ die große Bühne freiwillig, weil er spürte, wie er mit den Jahren im Scheinwerf­erlicht immer dünnhäutig­er geworden war. „Manchmal muss man auch an sich selbst als Mensch denken und nicht nur an sich als Politiker“, sagt er heute und fügt hinzu: „Wir sind es gewohnt, getrieben zu sein. Von der eigenen Partei, vom politische­n Gegner, von Wahlergebn­issen oder Medien. Umso wichtiger ist es, in solchen Situatione­n das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Selbst entscheide­n. Nicht andere über das eigene Leben bestimmen lassen.“Wenigstens dieses eine Mal.

Laschets Stärken werden ins Gegenteil verkehrt

Immer wieder ist es Söder, der ihn öffentlich anzählt

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Foto: Michael Kappeler, dpa Selbst seine eigenen Parteifreu­nde ließen ihn im Wahlkampf im Regen stehen: Armin Laschet kämpft um seine politische Zukunft.

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