Neu-Ulmer Zeitung

Ein bisschen nachgeholf­en

- VON WERNER REISINGER

Analyse Um an die Spitze von Partei und Land zu kommen, sollen Österreich­s heutiger Bundeskanz­ler Sebastian Kurz

und sein Team zu schmutzige­n Tricks gegriffen haben. Das einstige Wunderkind steht vor einem Scherbenha­ufen

Wien. Es ist – wieder einmal – ein Erdbeben. Und zwar eines, das den österreich­ischen Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und seine türkis-grüne Regierung, vor allem aber sein gesamtes politische­s Projekt, die „Neue Volksparte­i“ÖVP, an den Rand des politische­n Untergangs geführt hat. Am frühen Mittwochmo­rgen fuhren Ermittler der Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKSTA) vor dem Bundeskanz­leramt am Wiener Ballhauspl­atz vor. Ihr Ziel: die Büros des Kanzlers und seiner engsten Mitarbeite­r, Berater und Pressespre­cher. Es ist ein nicht nur in Österreich bisher einmaliger Vorgang – eine Hausdurchs­uchung im Bundeskanz­leramt, im Zentrum der politische­n Macht der Alpenrepub­lik.

Der Ausgang der dadurch ausgelöste­n Regierungs­krise ist offen: Am Donnerstag aber deuteten alle Zeichen auf ein baldiges Ende der Koalition von ÖVP und Grünen hin. Die Ereignisse überschlug­en sich: Die Opposition­sparteien SPÖ, FPÖ und Neos forderten geschlosse­n Kurz’ Rücktritt. Am Dienstag, in einer Sondersitz­ung des Parlaments, werden sie einen Misstrauen­santrag einbringen. Die Grünen hatten noch am Mittwoch nach der Razzia betont, die Regierung sei handlungsf­ähig. Am Donnerstag dann der Schwenk: Die Handlungsf­ähigkeit sei doch infrage zu stellen. Das Ansinnen der Grünen, die Koalition zwar mit der ÖVP, aber ohne Kurz fortzusetz­en, hat wenig Aussichten auf Erfolg. Die ÖVP, vor allem die mächtigen Landeshaup­tmänner, stellte sich geschlosse­n hinter den Kanzler. Eine Fortführun­g der Koalition werde es nur mit Kurz an der Spitze geben.

Am Donnerstag­nachmittag bat Bundespräs­ident Alexander van der Bellen die Parteichef­s und auch den Kanzler selbst zu Krisengesp­rächen in die Hofburg. Kurz wies erneut alle Vorwürfe von sich: Er werde sich „mit aller Kraft gegen die Anschuldig­ungen wehren“. Und: „Wir stehen bereit, die Zusammenar­beit fortzusetz­en.“Der Ball liegt nun erst recht bei den Grünen und deren Vizekanzle­r Werner Kogler. Neuwahlen sind ebenso möglich wie ein

Regierungs­wechsel – also eine Allparteie­nregierung ohne ÖVP. Fest steht: Sebastian Kurz ist als Kanzler für die Grünen nicht mehr tragbar.

Ausgelöst wurde das Beben von einer konzertier­ten Aktion: Zeitgleich klingelten die Staatsanwä­lte im Finanzmini­sterium, wo der Kurz-vertraute Gernot Blümel amtiert, in der Övp-parteizent­rale, in der Redaktion des Kurz-treuen Boulevardb­latts Österreich des Medien-managers Wolfgang Fellner sowie an weiteren Standorten. Mit dabei hatten die Ermittler eine 105 Seiten starke Durchsuchu­ngsanordnu­ng, die schier Unfassbare­s beinhaltet: Dem Kanzler, seinen engsten Getreuen und Medienvera­ntwortlich­en, dem ehemaligen Pressevera­ntwortlich­en im Finanzmini­sterium, dem ehemaligen Manager und Generalsek­retär im Finanzmini­sterium Thomas Schmid, zwei bekannten Meinungsfo­rscherinne­n und dem Österreich-herausgebe­r Wolfgang Fellner und dessen Bruder Helmuth Fellner wird in unterschie­dlichen Bezügen Untreue, Bestechlic­hkeit und Bestechung vorgeworfe­n.

Darüber hinaus ermittelt die Staatsanwa­ltschaft gegen die gesamte ÖVP als Institutio­n – und auch gegen die „Mediengrup­pe Österreich“als Firma. Es geht um die Zeit, als Sebastian Kurz noch Außenminis­ter war – und akribische Vorbereitu­ngen zur Übernahme der ÖVP und des Kanzleramt­s traf. Stimmen die Ermittlung­en und Vorwürfe der Staatsanwa­ltschaft, so hat Kurz seinen Aufstieg und auch seine fulminante­n Wahlsiege zum Teil mittels Korruption eingefädel­t, orchestrie­rt und aufgebaut.

Für den Kanzler und alle weiteren Beschuldig­ten gilt die Unschuldsv­ermutung. Was genau wird ihnen vorgeworfe­n? Als Kurz als

Außenminis­ter ab 2016 nach dem Parteivors­itz und dem Kanzlerses­sel strebte, hatte er zwei Probleme: zum einen den damals amtierende­n Övp-vizekanzle­r, seinen Konkurrent­en Reinhold Mitterlehn­er, und zum anderen fehlende finanziell­e Mittel für seine Kampagne. Weil er nicht auf die Parteikass­en zugreifen konnte, so argumentie­rt die WKSTA, entwickelt­en seine engsten Vertrauten ein System, das als „Beinschab-österreich-tool“in nun vorliegend­en Chats zwischen den Beschuldig­ten bezeichnet wurde. Es funktionie­rte so: Die Kurz-getreuen, allen voran seine Medienleut­e und Thomas Schmid, gaben bei der Meinungsfo­rscherin Sabine Beinschab Umfragen in Auftrag, etwa zur Frage, ob eine von Sebastian Kurz geführte ÖVP auf höhere Zustimmung­swerte käme als unter Mitterlehn­er. Dabei, das legt die unserer Redaktion vorliegend­e

Durchsuchu­ngsanordnu­ng der WSTA nahe, diktierte die Kurztruppe der Meinungsfo­rscherin die Ergebnisse der Umfragen – „in unserem Sinne“, wie zu lesen ist. Die inhaltlich­en Vorgaben sollen nicht nur von Kurz’ engstem Umkreis, sondern auch vom späteren Kanzler selbst gekommen sein, schreibt die WKSTA. Und: Kurz selbst soll die Meinungsfo­rscherin Sophie Karmasin, die mit Beinschab kooperiert­e, dazu gedrängt haben, bei dem abgekartet­en Spiel mitzumache­n.

Abgerechne­t wurde alles über „Studien“, die die Meinungsfo­rscherin dem Finanzmini­sterium in Rechnung stellte, und zu denen die Kosten für die frisierten „Erhebungen“einfach „dazu gepackt“wurden – Scheinrech­nungen also, zu denen Thomas Schmid die Meinungsfo­rscherin direkt angeleitet haben soll. Weil bei den Umfragen keinerlei Bezug zur Arbeit des Ministeriu­ms gegeben gewesen sei, sondern die Erhebungen „ausschließ­lich parteipoli­tische Inhalte“zugunsten von Kurz beinhaltet hätten, handle es sich um Untreue und eine Schädigung der Republik.

Vor allem aber soll die Kurztruppe mit dem Fellner-medienhaus vereinbart haben, besagte Umfragen nicht nur regelmäßig im Sender oe24 und in Österreich zu „spielen“, sondern in den Fellner-medien im Gegenzug regelmäßig vom Finanzmini­sterium bezahlte Inserate zu schalten – und zwar in der Höhe von insgesamt rund 1,1 Millionen Euro. Dem nicht genug habe das „Package“, wie es in den Chats genannt wird, direkten redaktione­llen Einfluss der Kurz-entourage auf die Fellner-berichters­tattung beinhaltet.

Zusammenge­fasst: Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem innersten Machtkreis um Kurz vor, rechtswidr­ig mit Steuergeld­ern Umfragen so manipulier­t zu haben, dass er seine Parteifreu­nde überzeugen konnte, die Macht in der Partei und danach im Kanzleramt übernehmen zu können. Die Staatsanwä­lte sehen Sebastian Kurz als Bestimmer und im Zentrum dieses Plans. Genau das aber weist der Kanzler vehement zurück. Es handle sich lediglich um Chats „von Mitarbeite­rn aus dem Finanzmini­sterium“, sagt er.

 ?? Foto: Roland Schlager, dpa ?? Auch gegen Sebastian Kurz wird ermittelt. Der Kanzler selbst weist jeden Verdacht zurück, doch seine Koalition mit den Grünen steht vor dem Aus.
Foto: Roland Schlager, dpa Auch gegen Sebastian Kurz wird ermittelt. Der Kanzler selbst weist jeden Verdacht zurück, doch seine Koalition mit den Grünen steht vor dem Aus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany