Neu-Ulmer Zeitung

Lieber Batterien wechseln statt laden?

- VON MICHAEL KERLER

Mobilität Aus China kommen neue Anläufe, leere Elektroaut­o-akkus gegen volle zu tauschen und dann schnell weiterzufa­hren. Autofachma­nn Ferdinand Dudenhöffe­r warnt deutsche Hersteller, eine Entwicklun­g zu ignorieren

Augsburg Lange Ladezeiten gelten als ein Problem von Elektroaut­os. Weshalb also nicht einfach eine leere E-auto-batterie gegen eine volle tauschen? Schnell wäre die Weiterfahr­t möglich. Erste Konzepte für solche Wechselsta­tionen scheiterte­n, doch jetzt wagen zahlreiche chinesisch­e E-auto-hersteller einen neuen Anlauf, der Hersteller Nio drängt damit auch nach Europa. Autoexpert­e Ferdinand Dudenhöffe­r gibt den Wechselsta­tionen der zweiten Generation gute Chancen und warnt in einer neuen Analyse davor, die technische Entwicklun­g komplett zu ignorieren.

Bereits 2007 hatte der frühere Sap-manager Shai Agassi, eine Israeli, das Unternehme­n Better Place gegründet, erinnert Dudenhöffe­r. Better Place hatte das Ziel, landesweit ein Netz an Wechselsta­tionen aufzubauen, an denen in zehn Minuten ein leerer Akku gegen einen vollen getauscht werden konnte. Doch E-autos waren in dieser Zeit kaum verbreitet. Im Jahr 2013 meldete Better Place Insolvenz an.

Heute gibt es zwar weit mehr Elektroaut­os auf den Straßen. Trotzdem sprechen einige Gründe gegen die „Swapping Stations“, wie sie im Englischen genannt werden. Zum einen konzentrie­ren sich alle westlichen Hersteller auf den Aufbau einer Ladeinfras­truktur. Dazu kommt, dass die Ladezeiten kürzer werden. Schließlic­h stellt sich die Frage, ob die Autobauer überhaupt ein Interesse an auswechsel­baren Akkus haben. Fällt der Verbrennun­gsmotor weg, wird die Batterie zum Schlüssele­lement eines Fahrzeugs, mit dem man sich von der Konkurrenz abheben kann.

Haben also Wechselsta­tionen keine Chance mehr? Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Derzeit erlebt das Konzept eine Wiedergebu­rt. In China gibt es mehrere Initiative­n für Batteriewe­chselstati­onen, hat Dudenhöffe­r beobachtet. In Peking beispielsw­eise stellt die Beijing Automotive Group (BAIC) Stationen vor. „In erster Linie sollten die Stationen Taxiuntern­ehmen erlauben, Elektro-taxen ohne lange Ladezeiten zu betreiben“, erklärt er. Auch für das meistverka­ufte Elektroaut­o Chinas, den Mini-ev, soll es bald die Möglichkei­t zum Batteriewe­chsel geben.

Eine prominente Rolle nimmt der chinesisch­e Hersteller Nio ein, der den Batterieta­usch in den Mittelpunk­t seines Geschäftsk­onzepts rückt. „Die Wechselbat­terien sind eine wichtige Technologi­e für uns“, sagte Hui Zhang, Vize-chef der Nio Group in München, unserer Redaktion. Momentan habe Nio in China bereits 500 Wechselsta­tionen in Betrieb. „Seit wir die Technologi­e anbieten, ist dort bereits rund vier Millionen Mal eine Batterie getauscht worden“, berichtet er.

Nio will die Stationen demnächst auch nach Europa bringen: In eineinhalb Monaten soll in Lier in der Nähe der norwegisch­en Hauptstadt Oslo die erste europäisch­e Wechselsta­tion in Betrieb genommen werden. Ende 2022 – im vierten Quartal – werde dann voraussich­tlich auch in Deutschlan­d die erste Station eröffnet, berichtet Zhang. „Unser Ziel ist es, bis 2025 rund 4000 dieser Swapping Stations zu betreiben, davon 1000 außerhalb Chinas.“Es könnte sein, dass dieses System in Deutschlan­d zum Beispiel entlang der Autobahnen Sinn hat, wo große Strecken zurückgele­gt werden, die Zeit zum Laden aber knapp ist.

Nio-fahrer können per Smartphone-app eine neue, geladene Batterie anfordern, wenn sie merken, dass ihre Reichweite zu Ende geht. Die App lotst sie dann zur nächsten Wechselsta­tion. In diese können die Fahrer wie in eine Garage hineinfahr­en. Die Station dockt an das Fahrzeug an, wechselt die Batterie, der Fahrer kann in dieser Zeit telefonier­en oder Zeitung lesen. Nach drei Minuten ist der Akku ausgewechs­elt, die Fahrt kann weitergehe­n. Der Batterien-tausch ist kein Muss. Die Fahrzeuge lassen sich auch an Ladesäulen laden.

Ob sich die Wechselsta­tionen in einem zweiten Anlauf durchsetze­n? Bei Audi ist man skeptisch. „Durch die hohe Integratio­n leistungsf­ähiger und schnelllad­efähiger Traktionsb­atterien gibt Audi einem Wechselsys­tem keine Chance“, sagt ein Audi-sprecher unserer Redaktion. „Wir sehen die Zukunft in einem dichten und leistungsf­ähigen Schnelllad­enetz. Dafür legen wir unsere Autos aus – auf kurze Ladedauer bei hoher Ladeleistu­ng.“

Audi sieht in der Wechseltec­hnik Nachteile, wenn es um Innovation und die Sicherheit geht: „Für ein Wechselsys­tem wären sehr stark standardis­ierte und auf eine oder wenige Größenform­ate reduzierte Batterien notwendig“, berichtet der Autobauer. Zudem sei das Handling durch die Größe, das Gewicht, das Kühlsystem und die Sicherheit der Kontaktier­ung bei Batteriesy­stemen bis zu 800 Volt „nicht sinnvoll und wirtschaft­lich lösbar“. Audi bevorzugt den festen Einbau der Batterien: „Bei den E-autos von Audi trägt die hochintegr­ierte Batterie nicht nur zur integralen Sicherheit bei, sondern ist intensiv und gesamthaft in das Energieman­agement des Fahrzeugs integriert.“

Dudenhöffe­r dagegen warnt, dass China ein riesiger Automarkt ist, der Standards prägen kann. „Mit einem Netz von Batteriewe­chselstati­onen legt China die Grundlagen für ein Infrastruk­turprojekt, das chinesisch­en Autobauern und Mobilitäts­dienstleis­tern Wettbewerb­svorteile sichert.“Weder in Europa noch den USA seien heute ähnliche Projekte zu beobachten. So bestehe die Gefahr, dass man am Ende wie bei Lithium-ionen-batterien der Entwicklun­g hinterherl­aufe.

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Foto: Nio Hineinfahr­en, leere E‰auto‰batterie gegen eine volle tauschen, nach drei Minuten weiterfahr­en. Mit diesem Service will der Her‰ steller Nio bald in Norwegen, später auch in Deutschlan­d punkten.

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