Neu-Ulmer Zeitung

Schulen suchen die Super‰software

- VON PHILIPP WEHRMANN

Bildung Noch immer herrscht vielerorts Unmut über die Lernplattf­ormen und -programme

des Freistaats. Wo die Probleme liegen und welche Lösung in Sicht scheint

Augsburg Als die Corona-pandemie über das Land hereinbrac­h, war kaum eine Schule darauf vorbereite­t. Distanzunt­erricht, digitale Arbeitsblä­tter, all das war für viele vorher nie dagewesen. „Teams“war als Software eine naheliegen­de Wahl, ein Programm des Us-amerikanis­chen Softwareko­nzerns Microsoft. Das Problem: Es gibt große Bedenken angesichts der Frage, wie viele und welche Daten das Unternehme­n über seine Nutzer erhebt – und ob diese unter Umständen in den USA verarbeite­t und gespeicher­t werden, wo laxe Datenschut­zvorschrif­ten gelten.

In der Hochphase der Pandemie sah man darüber teilweise hinweg. Doch selbst damals galt: Aufgrund „offener datenschut­zrechtlich­er Fragen“müsse eine Einwilligu­ng der Schülerinn­en und Schüler beziehungs­weise von deren Eltern vorliegen, schrieb der Bayerische Datenschut­zbeauftrag­te in seinem aktuellste­n Tätigkeits­bericht. Damit diese wirksam ist, muss sie freiwillig sein. Sprich: Die Schule muss im Zweifelsfa­ll Schülerinn­en und Schülern dieselbe Teilhabe bieten, ohne dass sie „Teams“nutzen eine hohe, womöglich sogar kaum zu erfüllende Anforderun­g an den Alltag in Bayerns Klassenzim­mern. Immerhin etwas Optimismus verbreitet­e der Beauftragt­e: „Erfreulich­erweise hat das Kultusmini­sterium im Sommer 2020 entschiede­n, die bayerische Bildungspl­attform mebis durch ein nachhaltig datenschut­zkonformes Kommunikat­ionswerkze­ug zu ergänzen.“

Mittlerwei­le gibt es das: Seit April können Schulen dieses Videokonfe­renz-programm namens „Visavid“nutzen. Aber längst nicht alle Schulen tun das auch. „Nach unserem Eindruck nutzen sehr viele Schulen weiter Teams“, sagt Simone Fleischman­n, Vorsitzend­e des Bayerische­n Lehrer- und Lehrerinne­nverbands (BLLV), unserer Redaktion. Angesichts der Folgen der Pandemie stünden Schulen und Lehrkräfte vor großen Aufgaben – da sei ein Umstieg auf andere Software und damit verbundene Fortbildun­gen nicht die Nummer eins auf der Prioritäte­nliste, zumal Videokonfe­renzen in der Regel dank des Präsenzunt­errichts derzeit kaum notwendig seien.

Auch viele Augsburger Schulen setzen weiter auf „Teams“, „da es von Seiten des Freistaate­s Bayern keine dauerhafte, gut funktionie­rende und vollumfäng­liche Alternativ­e gab“, sagt Martina Wild, Bildungsre­ferentin und Zweite Bürgermeis­terin der Stadt Augsburg. „Auch jetzt gibt es dies noch nicht“, fügt die Grünen-politikeri­n hinzu. „Teams“werde von den Schulen bevorzugt genutzt. Diese hätten die „außergewöh­nliche Robustheit, Zuverlässi­gkeit und den breiten Funktionsu­mfang von Microsoft Teams schätzen gelernt“. Die Software werde auch außerhalb des Distanzunt­errichts eingesetzt, biete mehr als nur Videokonfe­renzen und sei daher mit Visavid nicht zu vergleiche­n.

„Die Nutzung von Visavid ist für die Schulen freiwillig“, sagt ein Sprecher des Bayerische­n Kultusmini­steriums auf Anfrage unserer Redaktion. Aktuell hätten sich 3220 Schulen für die Nutzung der Software registrier­t. In Bayern gibt es mehr als 4600 allgemeinb­ildende Schulen. Während der Freistaat also nun ein Unternehme­n für die Entwicklun­g und den Betrieb von „Visavid“bezahlt – wie viel, will das Ministeriu­m nicht verraten –, zahlen viele Kommunen für ihre Schulen Geld an Microsoft. In Augsburg sind es nach Angaben der Bildungsre­ferentin vier Euro pro Schülerin, Schüler oder Lehrkraft und Jahr.

Bllv-chefin Fleischman­n betont, Schulen müssten ihre Software in jedem Fall selbst wählen dürfen, weil die Gegebenhei­ten vor Ort unterschie­dlich seien. Sie sieht trotz der Vorbehalte vieler Lehrkräfte in „Visavid“zumindest einen Schritt in die richtige Richtung. „Langfristi­g müssen Schulen eine komplette Softwarelö­sung erhalten, die alle Funktionen unter einem Dach vereint.“

Zumal auch „Visavid“in Sachen Datenschut­z nicht fehlerfrei ist: Im Juli enttarnte die It-sicherheit­sforscheri­n Lilith Wittmann eine Sicherheit­slücke. Das mittlerwei­le behobene Problem ermöglicht­e Unbefugten, nur mit der Raumnummer unbemerkt Videokonfe­renzen aufzurufen und mitzuschne­iden. „Die

Antwort auf große Monopolist­en, die sich nicht an deutsches Datenschut­zrecht halten, darf nicht sein, auf noch schlechter­e Lösungen von Anbietern zu setzen, die höchstens auf dem Papier die datenschut­zrechtlich­en Anforderun­gen erfüllen“, schrieb die It-expertin in einem Beitrag.

Der Freistaat arbeitet indes bereits an einer eigenen Rundum-lösung, wie sie auch der Bllv-vorsitzend­en Fleischman­n vorschwebt. „Bayernclou­d Schule“heißt sie und soll laut dem Ministeriu­m „ein schnelles, zuverlässi­ges, am Nutzer orientiert­es und sicher konzipiert­es Software-paket für den Unterricht und die Verwaltung bieten“. Als Nächstes soll ein Web-portal entstehen, das insbesonde­re die mebisanwen­dungen bequem erreichbar macht. Geplant sind auch ein Messenger sowie ein Cloud-speicher und Office-programme. Wann diese Funktionen den Schulen aber wirklich zur Verfügung stehen, beantworte­t der Ministeriu­mssprecher nicht.

Schulen vertrauen Microsoft mehr als dem Freistaat

 ?? Foto: Stefan Puchner, dpa ?? Die bayerische Bildungspl­attform „mebis“ist in Zeiten des Homeschool­ings während der Pandemie aufgrund zahlreiche­r Ausfälle und fehlender Funktionen in die Kritik geraten. Aktuell arbeitet der Freistaat an einer neuen Lösung.
Foto: Stefan Puchner, dpa Die bayerische Bildungspl­attform „mebis“ist in Zeiten des Homeschool­ings während der Pandemie aufgrund zahlreiche­r Ausfälle und fehlender Funktionen in die Kritik geraten. Aktuell arbeitet der Freistaat an einer neuen Lösung.

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