Von einem Unfall, der jedem passieren kann
Justiz Wegen eines Unfalls in Neu-ulm stand ein Günzburger vor Gericht. Dabei wurde vor allem deutlich:
In einem Augenblick kann alles anders sein. Mit fatalen Folgen
hielt Richter Walter Henle allerdings für ausgeschlossen - dann hätte der Radfahrer gegen den Kotflügel fahren müssen, sagte er. Doch der Wagen sei am Frontstoßfänger nahe des Kennzeichens beschädigt worden. Der Angeklagte antwortete, er habe den Eindruck gehabt, dass der Radler schnell gewesen sei, was der Richter auch infrage stellte. „Der Mann ist circa 70 und war auf einem Trekkingrad unterwegs.“Eigentlich hätte der damals 20-Jährige 300 bis 400 Meter weit Richtung Innenstadt sehen können, vor allem, wenn er auf dem Radweg gestanden sei. Der Mann müsse ihm eigentlich fast entgegengekommen sein. Der Angeklagte sagte, er habe den Radfahrer einfach nicht gesehen.
Verteidigerin Evelin Braun betonte, dass das kaum beschädigte Fahrrad nicht darauf hindeute, dass ihr Mandant schnell angefahren sein könne. Ein Polizist, der den Unfall damals aufgenommen hat, konnte allerdings auch nicht dazu beitragen, den Hergang aufzuklären. Die Lage des Verunglückten sei nur grob festgehalten worden, da sich die Verletzungen erst später als so gravierend herausgestellt hätten. Der Richter war damit nicht zufrieden.
Das Unfallopfer konnte nicht am Prozess teilnehmen, da es seit dem 2. Mai stationär behandelt wird und noch Wochen, wenn nicht Monate im Krankenhaus bleiben muss, erklärte der Richter. Vom Hals aus sei der Mann, der damals einen Helm trug, nach unten gelähmt, „er wird ein Leben lang ein Pflegefall bleiben“.
Dessen Ehefrau habe sich am Telefon über die Befragung der Polizei echauffiert, doch ihr Mann habe kein Interesse, dass der Verursacher strafrechtlich verfolgt wird. Auf Nachfrage von Henle sagte der Angeklagte, dass er den Radfahrer telefonisch nicht erreichen konnte, ihm aber einen Brief geschrieben habe, in dem er sein Bedauern über den Unfall ausdrücke und ihm Hilfe anbiete.
Da weder der Richter noch die Staatsanwältin und die Verteidigerin davon ausgehen, dass der Verunglückte zur Aufklärung des Hergangs etwas beitragen kann, wurde davon abgesehen, ihn für einen etwaigen späteren Termin zu laden. Schließlich habe er direkt nach dem
Unfall gegenüber der Polizei kaum etwas sagen können, und die Erinnerung werde mit der Zeit für gewöhnlich nicht besser. Auch ein Gutachten werde nichts bringen, weil schlicht die Anknüpfungspunkte fehlten.
Jedenfalls, betonte Henle, habe der Autofahrer eine gesteigerte Sorgfaltspflicht, wenn er von einem Grundstück fahre. Das sei im Gesetz so festgeschrieben. „Und der ist er augenscheinlich nicht nachgekommen.“Aber nicht, weil er ein Verkehrsrowdy sei, sondern aufgrund eines „Augenblicksversagens“, das bereits die Verteidigerin angeführt hatte.
Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe schlug die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts vor, was bei Fällen im Straßenverkehr ohnehin so gehandhabt werde, weil es hier in der Regel keine jugendtypischen Delikte gebe, erläuterte der Richter. Es sei denn, man lasse sich etwa auf der Fahrt von einer Party von der Gruppe im Auto ablenken. Rechtsanwältin Braun aber meinte, die Verletzung der Sorgfaltspflicht komme bei Heranwachsenden öfter vor, ihr Mandant wohne auch noch bei seiner Mutter, „ganz flügge ist er noch nicht“. Deshalb solle nach Jugendstrafrecht geurteilt werden.
In ihrem Plädoyer betonte die
Staatsanwältin, dass ein solcher Unfall jedem passieren könne, „man hat nicht immer alles im Blick“. Man sehe dem Angeklagten an, dass ihn das alles beschäftige. 50 Tagessätze zu 60 Euro reichten aus, außerdem ein zweimonatiges Fahrverbot.
Die Verteidigerin sagte, es sei ein Unglück, von dem jeder hoffe, dass es ihn nicht selbst treffe. Ihr Mandant könne die Folgen nicht wiedergutmachen, habe aber zivilrechtlich alles getan, damit das Opfer sich keine finanziellen Sorgen machen müsse. Sie stellte die Geldauflage ins Ermessen des Gerichts, ein Fahrverbot nach einem solchen Unfall gerade in jungen Jahren hielt sie aber für kontraproduktiv. Ihr Mandant sagte in seinem Schlusswort, dass er es nicht ungeschehen machen könne, aber glücklich sei, dass das Unfallopfer und dessen Familie seine Entschuldigung weitgehend akzeptiert hätten.
Richter Henle verurteilte den Mann wegen fahrlässiger Körperverletzung zu 50 Tagessätzen zu je 50 Euro. So etwas könne jedem passieren, zum Glück seien die Folgen nur selten so gravierend. Dass er noch zu Hause wohne, belege keine Reifeverzögerung, die die Jugendgerichtshilfe auch nicht attestiert hatte, somit sei kein Jugendstrafrecht gerechtfertigt.
Ein Fahrverbot hänge mit einer Pflichtverletzung zusammen, die es auch nicht gebe, sondern ein Augenblicksversagen. Eine zusätzliche Strafe sei nicht nötig, weil der Angeklagte durch den Vorfall und die Verhandlung sichtlich beeindruckt sei. Alle Seiten nahmen das Urteil direkt an.