Wo Kinder schlafen und wovon sie träumen
Ausstellung II Eine Kindheit im Steinbruch oder ein Zuhause in der edelsten Wohngegend: Das Scharff-museum zeigt Kinder der Welt
Neuulm Unterschiedlicher kann Kindheit kaum sein: Die siebenjährige Indira wohnt mit ihrer Familie in einem Einraum-haus bei Kathmandu (Nepal), arbeitet seit vier Jahren im Steinbruch – und träumt davon, Tänzerin zu werden. Kaya, vier Jahre alt, lebt in Tokio, besitzt 30 aufwendige Kleider und 30 Paar Schuhe, mehrere Perücken und ein Kinderzimmerchen voll Spielzeug. Wie Kinder leben und vor allem, wie und wo sie schlafen, zeigt eine berührende Foto-ausstellung „Where Children Sleep“im Edwinscharff-museum, die am Freitagabend eröffnet wurde.
Man muss Zeit mitbringen, denn der Dokumentarfotograf James Mollison konfrontiert den Betrachter sehr nahe mit den Gesichtern der Kinder, stellt die Porträts jeweils neben den Ort, wo die Kinder leben und schlafen, und kleine Texte erzählen von den Kindern und ihren Wünschen und Träumen. 35 der Fotografien-paare Mollisons hat Museumschefin Helga Gutbrod klug ausgewählt; Mädchen und Jungen aus 16 Ländern auf vier Kontinenten begegnet der Museumsbesucher in dieser Schau, die erstmals eine Brücke schlägt zwischen dem Edwin-scharff-kunstmuseum und dem Kindermuseum, das im Edwinscharff-museum beheimatet ist. Die Schau ist für Erwachsene und Kinder gleich faszinierend, auch wenn für junge Besucherinnen und Besucher die kunstvolle und manchmal fast an ein Gemälde erinnernde Raum-fotografie des in Kenia geborenen und in Oxford aufgewachsenen und ausgebildeten Dokumentarfotografen vielleicht weniger interessant ist als die Kinderporträts und die Texte.
Den westlichen Blick sollten Besucher und Besucherinnen auf jeden Fall zu Hause lassen bei dieser Fotoserie, die ursprünglich als Konzept zum Thema Kinderrechte entstand, und die Mollison fortsetzt. Denn würde man diese 35 Kinder fragen, ob sie glücklich sind, ob sie sich ein anderes Leben wünschen, wenn es denn möglich wäre – welche der Kinder würden sich genau ihr Leben wieder aussuchen, welche sind unglücklich? Die Frage ist nicht zu beantworten. Vom Ort des Lebens, von Reichtum oder Armut scheint sie aber nicht abzuhängen. Und der Besucher erkennt: Schlafen ist ein Bedürfnis, das alle Menschen verbindet, weltweit, so verschieden die Schlafgelegenheiten auch sein mögen.
Voll Kraft und neugierig-kritisch blickt Indira den Fotografen an. Dass sie im Steinbruch arbeitet, macht ihr nichts aus, erzählt sie – nur würde sie lieber spielen. Kaya dagegen ist der ganze Stolz ihrer Eltern, sie wirkt in dem von der Mutter genähten Erdbeerkleidchen fast wie eine Puppe. Der neunjährige Tzvika mit dem strengen Blick ist Sohn einer orthodoxen jüdischen Familie im Westjordanland, er möchte Rabbiner werden. Der blonde Vierjährige mit dem kessen Blick, dessen Name ungenannt bleibt, lebt mit seiner ohne Papiere aus Rumänien nach Italien eingereisten Familie im Freien. Unglücklich, fast ängstlich schaut dagegen
Jivan aus der edelsten Wohngegend Brooklyns in die Welt. In einem Bauernhaus in Italien wohnt der neunjährige Ernesto mit seinen Eltern und seinen Brüdern. Platz wäre reichlich vorhanden – aber die drei Söhne lieben es, in einem Zimmer zu schlafen. Risa aus dem japanischen Kyoto und Nantio aus dem Norden Kenias sind beide 15 Jahre alt. Beide Mädchen sind – nach der Tradition ihrer Herkunft – üppig geschmückt und legen offenbar sehr viel Wert auf ihr Äußeres; die eine ist Japans jüngste Geisha-schülerin, die andere ein Mädchen vom Stamm der Rendille im bald heiratsfähigen Alter. Samantha aus New York, mit neun Jahren dreifache Karate-weltmeisterin, der gleichaltrige Bauernsohn Dong in China, die 14-jährige Erlen aus Rio de Janeiro, die zum dritten Mal schwanger ist: Die Ausstellung konfrontiert mit den vielfältigen Schicksalen, sie sich Kinder nicht ausgesucht haben. Und lange lassen den Besucher das Gesicht der vierjährigen Jazzy aus Kentucky und ihr Zimmer nicht los. An über hundert Schönheitswettbewerben hat die Kleine bereits teilgenommen, 82 Kronen und Krönchen füllen den Raum.
Internet Zur Ausstellung gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm, ein zusehen unter edwinscharffmuseum.de.