Neu-Ulmer Zeitung

Meuthen geht – wird die AFD noch radikaler?

- VON SIMON KAMINSKI

Analyse Der Vorsitzend­e der Alternativ­e für Deutschlan­d hat den Kampf gegen seine Widersache­r von Rechtsauße­n

aufgegeben. Der rechtsextr­eme „Flügel“im Osten könnte seinen Einfluss auf die Partei nun weiter ausbauen

Augsburg Wechselhaf­t, manchmal chaotisch, aber letztlich von erstaunlic­hen Erfolgen geprägt – die Geschichte der Alternativ­e für Deutschlan­d (AFD) ist alles, nur nicht langweilig. Das zumindest wird Jörg Meuthen, der am Montag seinen Abschied als einer der beiden Sprecher des Bundesvors­tands – so werden die Vorsitzend­en in der AFD genannt – ankündigte, bestätigen.

Doch es gibt auch Kontinuitä­ten in der jungen Partei-historie. So gab es gleich drei Weichenste­llungen, die durch den Rückzug von Spitzenper­sonal eine ganz eigene Dynamik auslösten. Zuerst traf es Bernd Lucke. Der Professor der Makroökono­mie hatte die AFD 2013 als euroskepti­sche, konservati­ve, aber zugleich wirtschaft­sliberale Partei mitgegründ­et und zu schnellen Erfolgen geführt. Doch er wurde 2015 abgewählt – gescheiter­t an dem erstarkend­en rechten Flügel. Luckes Gegenspiel­erin im Bundesvors­tand, Frauke Petry, die als nationalko­nservativ galt, erging es ähnlich. 2015 wurde sie an der Seite des neuen Co-vorsitzend­en Jörg Meuthen wiedergewä­hlt. Doch in der Folge war es Petry, die von weiter rechts stehenden Protagonis­ten wie Alice Weidel oder Alexander Gauland aus der Partei gedrängt wurde. 2017 gab sie auf – so wie jetzt Meuthen.

Das Muster, nach dem die Umbrüche abliefen, ähnelt sich verblüffen­d. Das Aus für Lucke sowie später für Petry wurde von politische­n Beobachter­n jeweils als weitere Radikalisi­erung der AFD gewertet, die den Anfang vom Ende der Partei einläuten werde. Doch während erstere Prophezeiu­ng immer zuverlässi­g eintraf, erwies sich die daran anschließe­nde Prognose stets als falsch.

Jörg Meuthen ist, was taktisches Geschick angeht, seinen Vorgängern überlegen. Nicht umsonst hielt er sich Jahre an der Parteispit­ze – ein einsamer Afd-rekord. Wenn es Meuthen opportun erschien, biederte sich der Wirtschaft­sprofessor ohne Skrupel bei Vertretern der extremen Rechten unter Führung von Björn Höcke an. Im Laufe des Jahres 2020 änderte Meuthen seine Strategie. Zunächst setzte er durch, dass der ideologisc­he Vordenker des rechten „Flügels“, Andreas Kalbitz, aus der AFD ausgeschlo­ssen wurde. Im November desselben Jahres attackiert­e er auf dem Bundespart­eitag in Kalkar die Radikalen frontal. Er sprach von „Politikkas­perle“, die „allzu gerne rumkrakele­n und rumprollen“.

Doch Meuthen hatte sich verrechnet. Sein Plan, die Partei, die heute mehr als 30000 Mitglieder hat, aus den Fängen rechtsextr­emer Kräfte zu befreien, um sie auf Sicht koalitions­fähig zu machen, ist grandios gescheiter­t. Längst haben sich Rechtsextr­emisten, Querdenker, Identitäre und sogar Reichsbürg­er nicht nur häuslich in der AFD eingericht­et, sondern auch untereinan­der vernetzt.

Vieles von dem, was Meuthen nach seiner Ankündigun­g, nicht mehr als Vorsitzend­er zu kandidiere­n, an die Adresse seiner Widersache­r in der Partei sagte, klang trotzig: „Doch deren Freude wird nicht von Dauer sein. Denn wenn sie glauben, jetzt seien sie mich los, irren sie. Die werden sehr schnell merken, dass ich nicht weg bin. Das ist kein Rückzug“, sagte Meuthen der Internetpl­attform t-online. Ein Satz, wie das berühmte Pfeifen im Walde, gewürzt mit einer Portion Realitätsv­erweigerun­g.

Denn, dass er als Abgeordnet­er des Europa-parlaments nennenswer­te Durchschla­gskraft entfalten wird, ist wenig wahrschein­lich. „Aus dem Brüsseler Schmollwin­kel heraus alles schlecht zu reden, bringt uns dabei nicht weiter“, sagte seine Intimfeind­in, Fraktionsc­hefin Alice Weidel schon mal prophylakt­isch. Meuthen sitzt seit 2017 für die AFD im Brüsseler Eu-parlament.

Fast noch trotziger klingt Meuthens Hinweis, dass er jeden besiegt hätte, egal wer gegen ihn angetreten wäre. Wenn der 60-Jährige für etwas steht, dann ist es pragmatisc­hes Taktieren – andere nennen es Opportunis­mus. Man kann also getrost davon ausgehen, dass seiner Entscheidu­ng, sich aus der Parteispit­ze zurückzuzi­ehen, eine gründliche Abwägung vorausgega­ngen ist. Das Ergebnis dieses Prozesses dürfte gewesen sein, dass eine Kandidatur mit einiger Wahrschein­lichkeit fehlgeschl­agen wäre.

Wie zuvor Lucke und Petry muss sich nun auch Meuthen den Vorwurf gefallen lassen, dass er als gemäßigter­er Afd-chef dazu beigetrage­n hat, dass der rechtsradi­kale Flügel hinter der nationalko­nservative­n Fassade der Bundespart­ei seinen Einfluss festigen und ausbauen konnte. Offen ist, wer Meuthen an der Spitze nachfolgt. Der Sachse

Tino Chrupalla will erneut antreten. Nach der Parteiarit­hmetik müsste es ein Westdeutsc­her sein. Weidel werden Ambitionen nachgesagt. Sie wäre auch dem rechten „Flügel“vermittelb­ar.

Vieles spricht dafür, dass sich der Gegensatz zwischen der deutlich erfolgreic­heren AFD in den östlichen Bundesländ­ern und der Partei im Westen weiter vertiefen wird. Die AFD landete im Bund bei 10,3 Prozent, 2017 waren es noch 12,6 Prozent. Während die Verluste in Baden-württember­g, Nordrheinw­estfalen, Rheinland-pfalz, Hessen oder Niedersach­sen schmerzhaf­t waren, blieb sie in Sachsen trotz leichter Einbußen mit fast 24,6 Prozent die mit Abstand stärkste Partei. In Thüringen – dort ist Björn Höcke Parteiund Fraktionsc­hef – erreichte sie dieses Ziel erstmalig.

„Es gibt zwei Richtungen in der Partei. Die einen können sich vorstellen, koalitions­fähiger Teil eines national-konservati­ven politische­n Spektrums zu werden, die anderen sehen die AFD als politische Bewegungsp­artei, die nicht zuletzt auf außerparla­mentarisch­e

Rechtsextr­emisten und Querdenker sind vernetzt

Die erfolgreic­he Ost‰afd wird Ansprüche stellen

Proteste setzt letztere Strömung wird von der ostdeutsch­en AFD vertreten. Leute wie Björn Höcke stehen für eine Radikalisi­erung der politische­n Landschaft“, sagte Politikwis­senschaftl­er Gero Neugebauer nach der Wahl unserer Redaktion.

Die Gefahr, die in der relativen Schwäche der Partei in den alten Bundesländ­ern liegt, sieht auch die westdeutsc­he Afd-politikeri­n Alice Weidel: „Wir werden hart daran arbeiten, dass das kein Ostphänome­n bleibt“, sagte Weidel angesichts des frappieren­den Ost-west-gefälles. Dazu gibt es 2022 gleich drei Gelegenhei­ten. Im Saarland wird bereits am 27. März gewählt, am 8. Mai folgt Schleswig-holstein, dann stehen am 15. Mai die Landtagswa­hlen im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland Nordrhein-westfalen an. Drei schwache Ergebnisse im Westen würden Björn Höcke und Co. weitere Munition geben, ihren radikalen Kurs auch auf Bundeseben­e durchzuset­zen. Jörg Meuthen wird diesem Druck dann wohl nicht mehr viel entgegense­tzen können.

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Foto: Sebastian Willnow, dpa Entnervt warf auch Frauke Petry schlie߉ lich hin.
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Foto: Maja Hitij, dpa Sah keinen Weg seine Ideen zu verwirk‰ lichen: Bernd Lucke.
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Foto: dpa Nach sechs Jahren als Afd‰vorsitzend­er gibt Jörg Meuthen auf.

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